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ENTWICKLUNGSHILFE/403: Sam Worthington - Nichtregierungsorganisationen verschwinden nicht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2010

Entwicklung: 'NGOs verschwinden nicht' - 'InterAction'-Chef fordert Umdenken

Von Aprille Muscara


New York, 28. Juli (IPS) - Sam Worthington ist Vorsitzender der größten Vereinigung US-amerikanischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Im Gespräch mit IPS erläutert er ihre Rolle in Haiti, den Vereinigten Staaten und anderen Teilen der Welt.

IPS: In Haiti ist die Phase der Rettungsaktionen vorbei, der Schwerpunkt liegt jetzt auf dem Wiederaufbau des Landes. Welche Rolle sehen Sie für die NGOs im Allgemeinen und 'InterAction' im Besonderen?

Sam Worthington: Die hinter InterAction stehenden rund 190 Organisationen haben zusammen 510 Millionen Dollar für den Wiederaufbau zugesagt. InterAction hat mit seinen Mitgliedern und anderen NGOs ein Führungskomitee der größten Organisationen zusammengestellt. Es hat seine Arbeit bereits aufgenommen und soll jetzt einen Vertreter in das übergeordnete Gremium entsenden.

InterAction hat außerdem die Arbeitsgebiete und Projekte der einzelnen NGOs zusammengestellt und auf einer Karte festgehalten, die jetzt im Internet abgerufen werden kann. Die Daten werden ständig mit dem Haiti-Sondergesandten und den Vereinten Nationen abgeglichen.

IPS: InterAction arbeitet aktiv bei der Kampagne 'Reform Within Reach' des 'Modernizing Foreign Assistance Network' mit, um eine Änderung der Entwicklungspolitik Washingtons zu erreichen. Warum ist das notwendig, und wie genau soll die neue Politik aussehen?

Worthington: InterAction ist Gründungsmitglied des Netzwerks. Wir wollen eine ganze Reihe von Änderungen erreichen - vor allem, weil die Entwicklungshilfe der Vereinigten Staaten strukturell nicht mehr funktioniert. Fast 30 verschiedene Behörden mischen mit, und es gibt keine klare übergeordnete Linie.

Wir fordern daher eine nationale Entwicklungsstrategie der Regierung, und scheinen damit auch Erfolg zu haben. Wir wollen erreichen, dass das Gesetz zur Entwicklungshilfe geändert wird, und arbeiten dazu eng mit dem Kongress an der Neufassung zusammen. Entwicklungshilfe muss enger mit den Empfängern abgestimmt werden.

Dabei meinen wir nicht allein die Regierungen der Empfängerländer. Wir streben auch nach einer stärkeren Einbeziehung und Förderung der verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen, privat-öffentlichen Partnerschaften mit Unternehmen und einem aktiven Engagement internationaler NGOs gemeinsam mit der Zivilgesellschaft am Ort. Diese Bemühungen finden immer mehr Rückhalt in den USA. Wir stehen vielleicht vor einer der größten Reformen der Entwicklungshilfe seit über einer Generation.

IPS: Der UN-Generalsekretär hat zu einem Gipfel zur Förderung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) im September eingeladen. Was erwarten Sie von der Veranstaltung?

Worthington: Der Gipfel gibt den Spitzenpolitikern der Welt die Chance zu einer Bestandsaufnahme. Wir glauben allerdings, dass der Gipfel in vieler Hinsicht seine Ziele verfehlen wird, denn es muss einfach mehr getan werden.

Wir halten engen Kontakt mit der US-Regierung und wissen daher, dass Washington und andere Geldgeber wie die Europäische Union den Schwerpunkt auf groß angelegte neue Initiativen legen, um bestimmte Entwicklungsziele zu erreichen. Ein Beispiel ist das Ernährungsprogramm 'Feed the Future', ein anderes der Kampf gegen Malaria.

Diese Programme werden signifikant zur Erreichung der Entwicklungsziele beitragen, doch wir befürchten, dass angesichts der Wirtschaftsprobleme in den USA und Europa wesentlich weniger Entwicklungshilfe fließen wird. Wir werden daher darauf hinweisen, dass NGOs Milliardenbeträge aus privaten Quellen aufbringen und daher eine wesentliche Rolle bei der Erreichung er MDG weltweit spielen.

IPS: Kofi Annan hat die Nichtregierungsorganisationen einmal "das Gewissen der Menschheit" genannt. Die NGO arbeiten traditionell eng mit den Vereinten Nationen und ihren Unterorganisationen zusammen. In jüngster Zeit wurde aber immer wieder die Kritik laut, dass unter Generalsekretär Ban Ki-Moon diese Kooperation nur noch auf dem Papier stattfinde. So dürfen NGO-Vertreter nicht mehr an Vollversammlungssitzungen teilnehmen und wurden zuletzt von den Verhandlungen für ein globales Waffenhandelsabkommen ausgeschlossen. Was ist Ihre Position dazu?

Worthington: Die Welt muss mit der Globalisierung und zahlreichen anderen Problemen fertig werden, die die ganze Menschheit betreffen. Gleichzeitig haben am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer mehr nichtstaatliche Organisationen an Bedeutung gewonnen und eine wichtige Rolle bei der Lösung globaler Probleme gespielt.

Weltweit haben diese NGOs Milliarden Dollar erhalten, weil man darauf vertraut, dass sie ihre Versprechen halten und dem allgemeinen Wohl dienen. Die Zusammenarbeit der UNO mit den NGOs ist unterschiedlich. In einigen Bereichen, zum Beispiel bei der humanitären Hilfe, klappt es sehr gut. Haiti ist solch ein Beispiel.

In anderen Bereichen überwiegt kritische Distanz. Bestimmte Staaten haben Angst davor, dass nichtstaatliche Organisationen zu viel Einfluss bekommen könnten.

Dieses Spannungsverhältnis wird langfristig bestehen bleiben, denn die NGOs werden nicht verschwinden. Sie sind Teil der globalen Infrastruktur. Bei einer Bestandsaufnahme der internationalen Hilfsmaßnahmen kommt man nicht an der Tatsache vorbei, dass private Akteure zweistellige Milliardenbeträge in die Entwicklungshilfe einbringen.

Diese NGOs - seien es international agierende Organisationen oder Stiftungen wie die von Bill und Melinda Gates - sind ein bedeutender Beitrag zur Lösung der Probleme in der Welt. Es ist daher wichtig, dass die Regierungen unsere wichtige und einzigartige Rolle respektieren. (Ende/IPS/sv/2010)


Links:
http://www.interaction.org/
http://ipsnews.net/Files/worthington_qa_full.doc
http://haitiaidmap.org
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=522679

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2010