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MELDUNG/037: Atomwaffenprogramme zu Lasten der Sozialetats - Kürzung gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juli 2012

Abrüstung: Atomwaffenprogramme zu Lasten der Sozialetats - Kürzung gefordert

von Haider Rizvi



New York, 30. Juli (IPS) - Zur Wiederaufnahme der UN-geführten Abrüstungsgespräche in Genf am heutigen Montag haben Kernwaffengegner die Nuklearstaaten zu Kürzungen ihres Atomwaffenetats und zur Verwendung der freigesetzten Gelder für Entwicklungsziele aufgefordert.

"Die hohen Beträge, die für Atomwaffen aufgebracht werden, sind rausgeworfenes Geld, weil die Waffen selbst keinen Sinn machen", erklärte David Krieger von der US-amerikanischen 'Nuclear Age Peace Foundation'.

Trotz der Versprechen, atomar abzurüsten, steigen in neun von 193 UN-Mitgliedsstaaten die Etats für die Erhaltung und Modernisierung der jeweiligen Atomwaffenarsenale. Im letzten Jahr gaben die Länder unabhängigen Schätzungen zufolge dafür etwa 105 Milliarden Dollar aus. Allein der Anteil der USA lag bei 61 Milliarden Dollar.

Wie aus einer jüngsten Untersuchung der internationalen Abrüstungsbewegung 'Global Zero' ebenfalls mit Sitz in den USA hervorgeht, investierte Russland 2012 14,9 Milliarden Dollar in seine Atomwaffenarsenale. China, Frankreich und Großbritannien butterten 14,9 Milliarden, 7,6 Milliarden beziehungsweise 5,5 Milliarden Dollar in ihre Kernwaffen.

Nicht nur die fünf offiziellen, auch die vier inoffiziellen Atommächte lassen sich nicht lumpen, wenn es um die Bereitstellung von Mitteln für Atomwaffen geht. Indien investierte im vergangenen Jahr 4,9 Milliarden, Pakistan 2,2 Milliarden, Israel 1,9 Milliarden und Nordkorea 700 Millionen Dollar. Diese von Global Global Zero ermittelten Zahlen beinhalten die Kosten für Forschung, Entwicklung, Anschaffung, die Durchführung von Tests, Instandhaltung und die Aufrüstung.


Ungleiche Prioritäten

Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Ausgaben trotz finanzieller Engpässe infolge der anhaltenden Wirtschaftskrise in diesem Jahr etwa gleich hoch ausfallen werden. Kernkraftgegnern zufolge sind die Regierungen offenbar eher bereit, den Sozialhaushalt zusammenzustreichen, als den Rotstift beim Atomwaffenetat anzusetzen.

"Dieser Trend ist in Anbetracht der Tatsache, dass Millionen Menschen auf der ganzen Welt hungern, von Seuchen bedroht und obdachlos sind, obszön", betonte Krieger. "Kernwaffen absorbieren Mittel, die sich sinnvoller für die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) verwenden ließen."

UN-Vertreter wollen jährlich mindestens 400 Milliarden Dollar für Entwicklungszwecke zusammenbringen. Doch wird es immer schwieriger, die Gelder aufzutreiben, da die meisten führenden Industriestaaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.

Nach UN-Angaben klafft bei der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) eine Lücke von 167 Milliarden Dollar. Sie macht es den armen Ländern schwer, die MDGs bis 2015 zu erreichen. Dabei ließe sich die ODA leicht erhöhen, wenn bei den Atomwaffenprogrammen gespart würde.

"Die Länder im Besitz von Atomwaffen geben jeden Tag für ihre nukleare Streitkraft um die 300 Millionen Dollar aus", rechnete Tim Wright von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen in einer Pressemitteilung vor. "Es gibt zweifellos Besseres, als das Geld in Waffen zu stecken, die uns alle bedrohen."

Schätzungen zufolge verfügen die Atommächte über etwa 19.500 atomare Sprengköpfe, wie 'Critical Will' berichtet. Die Nichtregierungsorganisation arbeitet in Fragen der Nichtverbreitung von Kernwaffen und atomarer Abrüstung eng mit den Vereinten Nationen zusammen.

Trotz des neuen START-Abkommens (Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen), das 2010 unterzeichnet wurde, rüsten USA und Russland ihre atomaren Bestände weiter auf. Das Gleiche gilt für Großbritannien, Frankreich und China und die anderen Atommächte.

Wissenschaftlern zufolge verhindert der Mangel an Transparenz realistische Informationen über die Atomwaffenbestände der fünf offiziellen Atommächte. Noch schwieriger sei es, sich von Arsenalen der inoffiziellen Staaten ein Bild zu machen. Im Fall von Pakistan etwa, das jenseits des Atomwaffensperrvertrags (NPT) laviert, werden die Kosten zur Anschaffung von Atomwaffen nicht öffentlich bekannt gemacht. Sie sind ein Staatsgeheimnis.

"Ich weiß nicht", lautete die Antwort eines pakistanischen Diplomaten unlängst auf die Frage zu den Kosten des Atomprogramms seines Landes. "Halten Sie sich doch an US- und andere Diplomaten. Offenbaren die ihrer Bevölkerung, wie viel sie ausgeben?" Die Frage des Diplomaten impliziert, dass die von den offiziellen Atommächten gegebenen Zahlen nicht zwingend richtig sind.


Programme am Bürger vorbei

"Alle Atomwaffenstaaten haben ihre Waffenprogramme ohne das Wissen ihrer Bürger gestartet", meint Zia Mian, Leiter des Projekts für Frieden und Sicherheit an der Princeton University. "Diese Geheimniskrämerei über die Vorgänge hinter den Kulissen und Kosten für den Steuerzahler ist ein Versuch, jeder Rechenschaftspflicht zu entgehen."

Die ersten Opfer dieser Atomprogramme seien Menschen, die von ihren Staaten eigentlich geschützt werden sollten, sagte der Experte und wies darauf hin, dass Pakistan gerade einmal ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit und Bildung ausgibt. Etwa die Hälfte aller Pakistaner sind Analphabeten.

David Krieger zufolge zeigt das Versagen der Atomwaffenstaaten, die Welt von solchen Massenvernichtungswaffen zu befreien, nichts weniger als die grausame Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen, denen es schlecht geht. Gleichzeitig sorgten die gleichen politischen Entscheidungsträger dafür, dass ihre eigenen Bürger auch weiterhin der Gefahr von Atomwaffen ausgesetzt blieben.

Die UN-Abrüstungskonferenz endet am 14. September. Vorangegangene Konferenzen hatten einige größere internationale Abkommen zustande gebracht. Dazu zählen sowohl der Atomwaffensperrvertrag als auch das Umfassende Verbot von Nuklearversuchen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.globalzero.org/
http://www.ippnw.de/atomwaffen/atomwaffen-abschaffen.html
http://www.ipsnews.net/2012/07/govts-boost-nukes-while-cutting-aid-social-services/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2012