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MEDIEN/397: Wie die sozialen Netzwerke den Wahlkampf 2013 beeinflussen (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2013

Twitter-Politik, Facebook-Follower und Fast Checking
Wie die Sozialen Netzwerke den Wahlkampf 2013 beeinflussen

von Aleksandra Sowa



"Twittern" und "bloggen" gehören heutzutage als Mittel der politischen Kommunikation eindeutig zum Instrumentenkasten von Wahlkämpfern. In diesem Bereich sind nach wie vor die USA führend. Aber auch in Deutschland bewegt sich etwas. Damit Internet-Wahlkampf aber auch erfolgreich sein kann, müssen, anders als beim "PeerBlog", zwei Dinge berücksichtigt werden: der Humor und die Verbindung zur realen Welt.


Das Jahr 1998 war das Wahlkampfjahr, in dem das Internet erstmalig im Vorfeld der Bundestagswahlen massiv als Kommunikations- und Propagandamittel eingesetzt wurde. "Schuld daran<> war das Wahlkampfteam um Gerhard Schröder. Seine Berater hatten den Wahlkampf des damaligen US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton intensiv beobachtet und analysiert. Das Ergebnis waren neuartige Wahlkampfkonzepte wie die Etablierung einer Wahlkampfzentrale (der sogenannten "Kampa"), eine Image- und Personality-Kampagne für den Spitzenkandidaten der SPD ... und die Entdeckung des Internets. Die SPD setzte bei der Wahlkampagne auf die Erkenntnisse über elektronische Kommunikation, die in den USA seit Ende der 70er Jahre gesammelt worden waren. Der Wahlkampf der SPD "basiert auf den Erfahrungen von Clintons Wahlkampagne im Internet", bestätigte der Presse Anna Siebenborn, die 1998 aus der "Kampa" heraus die Online-Wahlen für die SPD führte. Ein mobiles Wahlkampfteam begleitete Schröder auf Schritt und Tritt bei seiner Wahlkampftour und etablierte etwas im damaligen Deutschland vollkommen Neues: eine Liveberichterstattung, die schneller war, als die traditionellen Medien Presse und Fernsehen.

Online-Wahlkampf bedeutet aber viel mehr, als nur einen neuen, direkten, effektiven und effizienten Kommunikationsweg zu den Wählern zu etablieren. Wahlkampf im Internet gilt gleichermaßen als Signal der Modernität, des Up-To-Date-Seins, der Agilität und Innovation. Dies erkannten 1998 auch die Christdemokraten und planten für den Spitzenkandidaten der CDU, Helmut Kohl, entsprechende Maßnahmen ein. Darunter auch den in der Presse als "etwas missglückt" bezeichneten Live-Chat mit Kohl. Der Spitzenkandidat der CDU meldete sich verspätet beim Chat, beantwortete nur einige der Fragen und verabschiedete sich zügig. "Hauptprobleme beim Online-Chat mit dem CDU-Chef waren (...) weniger virtuelle Krawallmacher oder kritische Fragen, sondern eine überlastete Technik", berichtete darüber Uly Foerster in dem Beitrag "Kohl: Der Elefant im Netz" für Spiegel-Online. "Der Mantel der Geschichte weht anderswo", kommentierte die Presse den Versuch.


Der Offline-Kandidat?

Nun schreiben wir das Jahr 2012. Barack Obama ist der erste US-amerikanische Präsident, der das Instrument des "Bloggens" und "Twitterns" im Wahlkampf effektiv einsetzte. Dabei sendete Obama keine weltbewegenden Nachrichten, eher optimistisch-patriotische Botschaften wie "Heute fiebern wir alle mit unserer Basketballmannschaft", "Gratulationen an unsere Olympioniken" oder "Ich bin bewegt, wenn ich den wachsenden Turm am Ground Zero sehe". Doch das genügte: Millionen Menschen meldeten sich für den Blog des Präsidenten an und lasen dessen Nachrichten, wie Wahlanalytiker herausgefunden haben. Ob er nun dank Internet und Twitter vom amerikanischen Volk für die zweite Amtszeit zum Präsidenten gewählt wurde oder nicht - geschadet hat es Barack Obama auf keinen Fall.

Das Jahr 2013 in Deutschland. Der Online-Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Dies ist nicht weiter schlimm, denn die Bundestagswahlen finden erst im Herbst statt. So haben die Parteien, die Spitzenkandidaten und ihre Berater noch reichlich Zeit, den Wahlkampf im Internet zu konzipieren und zu betreiben. Dies hat man jedenfalls vor, denn "auch soziale Medien müssen bedient werden", wie der SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück vom DeutschlandradioKultur in dem Beitrag "Kaum Präsenz im Netz" vom 2. Oktober 2012 zitiert wird. Dies (die sozialen Medien bedienen) erledigt für Peer Steinbrück sein Mitarbeiterstab, denn der Spitzenkandidat der SPD würde den persönlichen Kontakt höher bewerten als den über soziale Medien, zitiert DeutschlandradioKultur weiter aus dem Blog UdL-Digital. "Der Offline-Kandidat" betitelte Spiegel Online dementsprechend einen gemeinen Text über Steinbrück.

Dabei hat Peer Steinbrück, laut taz, "ein erfrischend altmodisches Verhältnis zum Internet". "Von Social Media, Facebook, Twitter, diesem ganzen Quatsch, hält der wortgewaltige Hanseat wenig", kommentierte Ulrich Schulte in seinem Beitrag "Kicher, prust, ho ho, ho" vom 16. Oktober 2012 Peer Steinbrücks Experiment mit dem Internet-Chat. "Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden. Im Gegenteil, es hat etwas Sympathisches, wenn sich ein Politiker dem Dauergeschwätz auf Twitter verweigert, welches manch anderen daran hindert, mal einen klugen Gedanken zu fassen."

"Die Verbindung von Offline- und Online-Welt ist dabei der Schlüssel: Wem Wähler wie vertrauen, dies kann man heute technisch über Twitter messen", hält der Politikwissenschaftler Karl Rudolf Korte in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung dagegen. In dem Artikel vergleicht er den Wahlkampf von Kanzlerin Merkel und US-Präsident Obama und kommt dabei auch auf den Online-Wahlkampf zu sprechen. Korte zeigt sich skeptisch: "Ob die Merkel-Union dies besser als andere Parteien nutzen wird, kann man bezweifeln". Seiner Meinung nach wird die Union aber unbedingt die hohe Popularität ihrer Spitzenkandidatin nutzen wollen.


Entertainment als zentrale Komponente

Noch 1998 klagten die Medien, die typischen Entertainment-Elemente würden auf den Internetseiten der deutschen Parteien fast völlig fehlen. "Ein typisch deutsches Problem", kommentierte dies die damalige Online-Wahlkampf-Beraterin der SPD, Anna Siebenborn: "Wir sind einfach zu ernst und bewerten seriöse Informationen am höchsten". Auch das wurde noch während der Online-Wahlkampagne 1998 geändert.

Um die Internet-Nutzer beim Besuch der Internet-Seiten der SPD nicht zu übermüden, sorgte die damalige SPD-Redaktion für Entspannung mit einem Service, bei dem ernsthafte politische Inhalte nur im Hintergrund standen. Im August wurde den Websites ein Grußkarten-Versand angeschlossen. Jeder, der eine elektronische Karte kostenlos per Internet schicken wollte, konnte zwischen neun Motiven aus der SPD-Wahlkampagne auswählen. Darunter war unter anderem das Motiv der untergehenden Titanic "Soziale Marktwirtschaft - Regie: Helmuth Kohl" zu finden. Sowie das schier unsterbliche Rote-Socken-Motiv mit der Überschrift: "Worauf Sie sich bei der CDU verlassen können: Immer dieselbe Politik, immer dieselbe Reklame, keine neuen Ideen."

Was die Reklame betrifft, so scheint die SPD Recht zu behalten. Denn die Rote-Socken-Kampagne kehrte auch 2012 zurück. Diesmal als eine Neuauflage der Kampagne aus den 70ern, der sogenannten "Linke-Socken-Kampagne", mit dem Slogan "Komm aus Deiner linken Ecke!" unter der Regie der Hessen-CDU (www.linke-ecke.de). Womit die Christdemokraten offenbar nicht gerechnet hatten, war die Reaktion der sogenannten "LULZ-Fraktion" (der Begriff LULZ bezeichnet Unfug und humorige Pöbeleien im Netz) der deutschen Politikszene, der Piratenpartei. Zwar reagierten auch andere, vom hessischen Wahlkampf betroffene Parteien mit ironischen Kommentaren und Stellungnahmen auf die Kampagne.

Aber erst der Piratenpartei ist ein wahres technisches "Meisterstück" gelungen, indem sie eine Kopie der CDU-Internetseite (nach Piratenangaben innerhalb weniger Stunden) anfertigte, veränderte und unter der Domäne www.rechte-socke.de freischaltete. "Häng auf deine rechte Socke!", hieß es ironisch auf der Internetseite der Piratenpartei Hessen, wobei einige schwarze Socken über dem Kamin hängend - sowie das CDU-Logo - abgebildet waren. Eine ironische Anspielung auf die "Rote-Socken"-Plakate, gestaltet auf dem "gleichen Niveau", wie die Kampagne der CDU, so der Piraten Landesvorsitzender Thumay Karbalai Assad in hr-online. Den Verweis der Piraten auf die freie Meinungsäußerung und die satirische Aussage der Aktion ließ die CDU nicht gelten und sah in der Internetseite eine Verletzung der Namen- und Markenrechte, wie Christian Albrecht in hr-online berichtete. Die Hessen-CDU soll den Piraten eine Abmahnung zugeschickt und eine sofortige Abschaltung der Internetseite gefordert haben.

Die Piraten schalteten die Seite zwar nicht ab, passten diese aber angemessen an (bis auf den kleinen Verweis auf die früheren Inhalte mit der Zensur-Aufschrift: "banned by CDU") und luden alle Besucher der neu gestalteten Webseite dazu ein, eigene Plakate zu erstellen. "Liebe Hessinnen und Hessen, offenbar herrscht seit vier Jahrzehnten Stillstand in Hessen. Denn wie die CDU durch ihre aktuelle Plakatkampagne eindrucksvoll beweist, werden statt der Skizzierung von innovativen Lösungen für die drängenden Probleme der Gegenwart lieber Motive aus dem Jahr 1975 zur polemischen Lagerpolitik herangezogen. Notwendige Antworten auf aktuelle Fragen sehen anders aus. Deshalb rufen wir Euch auf, der CDU und uns Eure Meinung zu sagen. Entwerft Euer Plakat, Euren Slogan, Eure Politik!" - hieß es in dem Aufruf der Piratenpartei Hessen auf der Internetseite (http://www.rechte-socke.de/). Viele Bürger folgten diesem Aufruf.


Die neue politische Kommunikation

"Problematisch ist jede Übertragung zwischen den USA und Deutschland im Hinblick auf konkrete Wahlkampf-Techniken", urteilte Karl-Rudolf Korte in seinem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Dies betrifft "twittern" und "bloggen" als Mittel politischer Kommunikation ebenso wie das Thema Humor.

Als ein gelungenes Beispiel für Humor in politischer Kommunikation im Internet gilt in den Vereinigten Staaten der durch und durch erfolgreiche Blog "Texts from Hillary" (http://textsfromhillary.tumblr.com/). In einem grafischen Blog ließen die Autoren - von Spiegel Online als "zwei Washingtoner Lobbyisten Adam Smith und Stacy Lambe" enttarnt - in aus zwei Bildern bestehenden Kurzgeschichten die Außenministerin Hillary Clinton fiktive Kurznachrichten mit Politikern und Prominenten austauschen. Auf einem Bild ist Mitt Romney, der US-amerikanische Multimillionär, Politiker der Republikaner und Kandidat für das Amt des US-Präsidenten in seinem Wahlkampfbüro zu sehen. "Irgendwelche Ratschläge?", möchte er von der Hillary Clinton wissen. "Trinke", antwortet die für trockene Aussagen bekannte US-Außenministerin knapp.

Zurück in Deutschland. Auf der Facebook-Seite von Peer Steinbrück wurde verkündet, dass sein bundesweit erstes "Wohnzimmer-Gespräch" in Edesbüttel im Kreis Gifhorn stattfindet. Der Spitzenkandidat der SPD nahm sich 90 Minuten Zeit für den "zwanglosen Plausch" mit der Familie Bebnowski. "Wir haben extra Eierlikör für ihn gekauft", verriet Frau Bebnowski der Braunschweiger Zeitung. Der Besuch sei aber so spannend gewesen, dass sie ganz vergessen habe, den Eierlikör zu servieren. Getrunken habe man daher (noch) nicht.


Aleksandra Sowa leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst-Görtz-Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Sie ist Autorin zahlreicher Fachpublikationen und aktuell in einem großen Telekommunikationskonzern tätig.

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2013, S. 58 - 61
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und Peter
Struck (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2013