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MENSCHENRECHTE/246: Indonesien - Opfer der Kommunistenhatz von 1965 warten auf Gerechtigkeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2012

Indonesien: Opfer der Kommunistenhatz von 1965 warten auf Gerechtigkeit - Doch ASEAN-Menschenrechtskommission zahnlos

von Kanis Dursin


Mudjayin mit der Kopie eines Dokuments, das ihn als ehemaligen politischen Häftling ausweist - Bild: © Kanis Dursin/IPS

Mudjayin mit der Kopie eines Dokuments, das ihn als ehemaligen politischen Häftling ausweist
Bild: © Kanis Dursin/IPS

Jakarta, 30. November (IPS) - Dem ehemaligen politischen Gefangenen Mudjayin läuft die Zeit davon. Der 82-jährige Indonesier hofft, dass ihm noch zu Lebzeiten Recht widerfährt. Doch die Mühlen der Gerechtigkeit stehen still, denn die Menschenrechtskommission des Verbands Südostasiatischer Staaten (ASEAN) ist weitgehend machtlos.

2010 hatten Mudjayin und andere Opfer des indonesischen Staatsterrors von 1965 ihren Fall vor die 2009 eingerichtete ASEAN-Menschenrechtskommission gebracht. Doch bisher wurde ihre Klage nicht zugelassen. Offenbar verfügt das Gremium nicht über den politischen Einfluss, um sein Mandat effektiv wahrzunehmen.

"Wir haben noch nichts gehört und wissen nicht, was sie mit unserem Bericht gemacht haben", meint Mudjayin, einer von Zehntausenden Indonesiern, die nach einem Putschversuch am 20. September 1965, der sieben Armeegenerälen das Leben kostete, vom Militär verfolgt wurden. Die Armee machte für den gescheiterten Coup die Kommunistische Partei Indonesiens verantwortlich und massakrierte in den darauffolgenden Tagen und Wochen Hunderttausende vermeintliche Kommunisten.

Das blutige Kapitel der indonesischen Geschichte führte zum Aufstieg Suhartos als Architekten einer Diktatur der 'Neuen Ordnung', die sich mehr als drei Jahrzehnte an der Macht hielt.


14 Jahre unschuldig hinter Gittern

Wie Mudjayin in seinem Haus in Tebet im Süden der Hauptstadt Jakarta gegenüber IPS berichtet, war er im Oktober 1965 ohne Haftbefehl festgenommen und 14 Jahre lang als sogenannter 'Klasse-B-Gefangener' in Haft. Klasse B-Häftlinge waren Indonesier, denen keine Verbindung zur Kommunistischen Partei oder zum September-Putsch nachgewiesen werden konnten und die nie formell angeklagt und verurteilt wurden.

Seine Freilassung erfolgte 1979, doch politisch aktiv wurde er erst nach dem Rücktritt des damaligen Präsidenten Suharto im Mai 1998 nach Massendemonstrationen. Mit der Unterstützung von Rechtshilfegruppen wie dem Nationalen Komitee für Vermisste und Gewaltopfer (Kontras) kämpft Mudjayin gemeinsam mit anderen politischen Gefangenen seit über einem Jahrzehnt um Gerechtigkeit.

Von der Einrichtung der Zwischenstaatlichen ASEAN-Menschenrechtskommission (AICHR) 2009 durch eine Organisation, die sich traditional schwer damit tut, sich mit 'internen' Problemen auseinander zu setzen, hatte er sich neue Möglichkeiten erhofft, Regressansprüche für die Haftjahre geltend zu machen.

Wie Mudjayin hoffen auch die Eltern und Verwandten der Studenten, die während der Anti-Regierungsproteste in Indonesien 1998 und 1999 erschossen worden waren, die Angehörigen der 1997 und 1998 verschleppten Pro-Demokratie-Aktivisten sowie die Familien von 32 in der südphilippinischen Provinz Maguindanao ermordeten Journalisten und einiger burmesischer Menschenrechtsopfer darauf, dass ihnen die ASEAN-Kommission hilft.

Als sie ihre Klage einreichten, hielten sich alle zehn Kommissionsmitglieder, die jeweils eines der zehn ASEAN-Mitgliedsländer - Brunei, Burma, Indonesien, Kambodscha, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam - repräsentieren, in Jakarta auf, wo sie ihr erstes offizielles Treffen nach ihrer Ernennung abhielten. Doch nicht einer habe Anstalten gemacht, sich mit den Opfern zu treffen geschweige denn die Klage entgegenzunehmen, erinnert sich Mudjayin.


Begrenztes Mandat

Dazu meint der indonesische AICHR-Vertreter Rafendi Djamin: "Wir verfügen nicht über das Mandat, uns mit Einzelklagen zu beschäftigten." Die Kommission ist offiziell damit beauftragt, Menschenrechte und fundamentale Freiheiten der Bürger der ASEAN-Staaten zu schützen, die regionale Zusammenarbeit mit Blick auf den Schutz der Menschenrechte zu fördern und für die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards zu sorgen.

Menschenrechtsaktivisten haben zwar die Einrichtung der Kommission begrüßt, gleichzeitig jedoch die begrenzten Möglichkeiten des Gremiums beklagt, sein eigenes Mandat wirkungsvoll umzusetzen. Die Möglichkeiten der AICHR, sich effektiv für die Förderung und Stärkung der Menschenrechte einzusetzen, seien gering, meint Yap Swee Seng vom Asiatischen Forum für Menschenrechte und Entwicklung in Bangkok.

Die Effektivität des Gremiums wurde ferner unterlaufen, indem die Mehrheit der ASEAN-Mitgliedstaaten Regierungsvertreter in die Kommission beriefen. Acht der zehn Kommissionsmitglieder sind Regierungsvertreter oder Diplomaten. Die beiden einzigen unabhängigen Experten kommen aus Indonesien und Thailand: der Menschenrechtsaktivist Djamin und die thailändische Rechtsexpertin Sriprapha Petcharamesree.

"Dieser Umstand schafft ein institutionelles Problem", meint der Kontras-Koordinator Haris Azhar. "Die Tatsache, dass die AICHR dem ASEAN-Ministertreffen (AMM) Rede und Antwort steht, zeigt, dass die Kommission alles andere als unabhängig ist."

Danny Chian Siong Lee, der im ASEAN-Sekretariat die Abteilung für die Entwicklung von Gemeindebelangen leitet, lobt die Bemühungen der Kommission um eine ASEAN-Menschenrechtserklärung, die die zivilen und politischen, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie die Rechte auf Entwicklung und Frieden auflistet. Der Entwurf sei viel zu schwach, und die darin erhaltenen Standards lägen weit unter denen der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, monieren jedoch Aktivisten.

Nach Ansicht von Rena Herdiyani vom Frauen-Krisenzentrum 'Mitra Perempuan' ist allein die Aufnahme des Rechts auf Entwicklung die einzige Errungenschaft des Dokuments. Allerdings wies sie darauf hin, dass der Vorbehalt der Erklärung, dass die "Umsetzung der Menschenrechte im regionalen und nationalen Kontext unter Berücksichtigung der unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen, kulturellen, historischen und religiösen Hintergründe" betrachtet werden müsse, die Ausübung der fundamentalen Menschenrechte zu einer höchst subjektiven Aufgabe mache. Darüber hinaus biete die Erklärung den sexuellen Minderheiten und indigenen Völkern keinen Schutz.


Fehlende Transparenz

Yap beklagt vor allem einen Mangel an Transparenz innerhalb der AICHR. Dies erkläre auch die schlechte Performance innerhalb der erstem beiden Jahre (2010-2011). "Das lässt sich nicht zuletzt daran festmachen, dass keinerlei Dokumente, auch nicht der Jahresbericht 2011 für die ASEAN-Außenminister, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden." Er bemängelt ferner, dass der Kommission die Mittel fehlten, um effektiv funktionieren zu können.

Und während die Kommission noch in den Kinderschuhen steckt, wartet Mudjayin weiter auf Gerechtigkeit. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://aichr.org/about/?doing_wp_cron=1354281830.7177429199218750000000
http://www.ipsnews.net/2012/11/critics-slam-asean-rights-commission/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2012