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REDE/814: Westerwelle auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz (AA)


Auswärtiges Amt - Pressemitteilung vom 06.02.2010

Rede von Bundesminister Westerwelle auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz

München, 06.02.2010


Lieber Herr Ischinger,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

Die Welt, in der wir Politik gestalten, ist geprägt von der Globalisierung. Die Globalisierung ist ein Faktum, keine Wahlmöglichkeit, der man sich verschließen könnte. Noch immer wird diese Globalisierung vor allem unter wirtschaftlichen Aspekten diskutiert. Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Werte und Wissen globalisieren sich. Einsichten und Ansichten. Lebensstile globalisieren sich, ganz gewiss nicht immer zu unserer persönlichen Freude. Denn oft genug geht dieser Prozess auch mit kulturellen Verlusten einher.

Die Gewichte der internationalen Politik verschieben sich. Das war in der Geschichte immer wieder so. Aber doch noch nie mit solcher Geschwindigkeit wie heute.

Die Globalisierung verändert damit auch den Rahmen für unsere nationale und die internationale Sicherheit. Vielen Menschen hierzulande mag nicht gegenwärtig sein, wo genau Afghanistan oder Jemen auf der Weltkugel liegen. Aber die Entwicklungen dort betreffen uns unmittelbar. Verantwortungsvolle Außenpolitik muss sich dieser Konflikte annehmen.

Wo Probleme globaler werden, da muss auch Verantwortung globaler organisiert werden. Nur so können wir vermeiden, dass aus dem Prozess der Vernetzung durch Globalisierung eine Bedrohung unserer Sicherheit erwächst. Deshalb müssen wir die Antworten auf die Risiken der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, auf radikale, fundamentalistische Ideologien, auf Terrorismus, Fanatismus und zerfallende Staaten, gemeinsam geben.

Die Globalisierung macht diese Probleme sichtbarer und undurchsichtiger zugleich. Nötiger denn je für vorausschauende Außen- und Sicherheitspolitik sind daher ein klarer Kompass und gemeinsam verabredete, verbindliche Regeln. Zum deutschen Kompass möchte ich drei Anmerkungen machen.

I.

Deutsche Außenpolitik ist wertegeleitet und interessenorientiert.

Das wird auch am institutionellen Fundament deutscher Außen- und Sicherheitspolitik deutlich. Die Europäische Union und das Nordatlantische Bündnis sind seit Jahrzehnten eine so verlässliche Grundlage deutscher Politik, weil sie eben mehr sind als Clubs ähnlich gelagerter Interessen. EU und NATO sind zuallererst Wertebündnisse.

Die transatlantische Freundschaft und Partnerschaft gehört zum festen Boden, auf dem wir stehen. Über den Atlantik hinweg bilden wir einen Raum gleicher Grundwerte. Wir teilen die besondere Wertschätzung für die Freiheit des Einzelnen.

Deutschlands Einsatz für die Universalität der Menschenrechte gehört dazu. Aber es ist keine Politik des erhobenen Zeigefingers. Mit dem unveräußerlichen Schutz der Menschenwürde zieht unser Grundgesetz die Lehren aus unserer eigenen Geschichte. Sie zu schützen ist Verpflichtung des Staates im Innern. Für sie beharrlich zu werben und sich überall auf der Welt für sie einzusetzen ist und bleibt eine Verpflichtung deutscher Außenpolitik.

Von unserem festen Wertefundament aus neue Partnerschaften zu entwickeln ist für mich der Schlüssel zu einer erfolgreichen Außen- und Sicherheitspolitik im Zeitalter der Globalisierung.

Ich habe mich gefreut, dass mit meinem Kollegen Yang gestern zum ersten Mal ein chinesischer Außenminister hierher nach München zur Konferenz gekommen ist. Und ich freue mich ebenso, heute meinen Kollegen Sergej Lawrow neben mir zu wissen. Die strategische Partnerschaft mit Russland ist nicht nur unverzichtbar für die europäische Sicherheit, sondern auch für die Lösung globaler Probleme. Wir wollen diese Partnerschaft und wir wollen sie dort, wo uns gemeinsame Interessen verbinden, auch weiter ausbauen. Dazu gehört auch eine substanzielle Diskussion der Vorschläge von Präsident Medwedew zur europäischen Sicherheit.

Mit anderen aufstrebenden Mächten wie beispielsweise Brasilien, Indien oder Südafrika verbinden uns gemeinsame Interessen und Herausforderungen, aus denen wir stabile Partnerschaften schmieden müssen. Mit den Golfstaaten haben wir uns vergangene Woche in London auf gemeinsame Ansätze zur Stabilisierung des Jemen verständigt. Die Neuausrichtung des internationalen Afghanistan-Engagements haben wir im Kreis von über 70 Delegationen beschlossen.

An der Stabilisierung Afghanistans und an vielen anderen Friedensmissionen beteiligt sich Deutschland auf der Grundlage eines Mandats der Vereinten Nationen. Die VN sind nur so stark, wie es ihre Mitgliedstaaten zulassen. Aber sie bilden für uns einen unverzichtbaren, überwölbenden Rahmen für die internationale Sicherheit. Deutschland bleibt den Idealen der Vereinten Nationen genauso verpflichtet wie der konkreten Unterstützung für die vom Generalsekretär benannten Herausforderungen.

II.

Deutsche Außenpolitik setzt auf Kooperation statt auf Konfrontation.

Die europäische Einigung war die Lehre aus der Katastrophe des Nationalismus, aus der von Deutschland ausgehenden Selbstzerstörung unseres Kontinents. Das europäische Kooperationsmodell haben wir mitgeprägt, und es hat uns geprägt. Aber auch sein Erfolg ist nicht selbstverständlich. Beim Thema Europa reden viele darüber, was es kostet. Wir sollten mehr darüber reden, was es uns wert ist. Das geeinte Europa ist erst dann gesichert, wenn auch meine Generation, die Krieg, Leid und Hunger nie am eigenen Leib erfahren hat, fest zur europäischen Einigung steht. Dafür hat meine Generation die Chance, dieses Kooperationsmodell weit über Westeuropa hinaus auszubauen, vielleicht sogar auf den ganzen europäischen Kontinent.

Mit dem Lissaboner Vertrag haben wir ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Europäische Union ist demokratischer und parlamentarischer geworden. Lissabon ist kein Endpunkt, sondern ein Anfang.

So zeichnet der Vertrag eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor. Die Bundesregierung will auf diesem Weg vorangehen. Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer europäischen Armee unter voller parlamentarischer Kontrolle. Die Europäische Union muss ihrer politischen Rolle als globaler Akteur gerecht werden. Sie muss eigenständig Krisenmanagement betreiben können und sie muss rasch, flexibel und im gemeinsamen Verbund handeln können.

Dafür muss sie aber auch in Zeiten knapper werdender Ressourcen Kräfte bündeln, Prioritäten setzen und Verantwortungen verteilen können.

Das im Lissaboner Vertrag vorgesehene Instrument der "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" gibt die Möglichkeit, mit einzelnen EU-Staaten voranzugehen, um die europäische Vision weiter zu entwickeln. Das europäische Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas sein.

Wir wollen ein starkes europäisches Krisenmanagement. Dies soll andere Sicherheitsstrukturen nicht ersetzen. Mehr Europa richtet sich gegen niemanden. Vor Europa muss sich niemand fürchten, aber auf Europa soll sich jeder verlassen können.

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird die europäische Antwort auf die Globalisierung sein. Sie ist der Beitrag für die euro-atlantische Sicherheitspartnerschaft.

Auch die NATO sucht nach neuen Antworten auf die Globalisierung. Wir unterstützen ihre Arbeit an einem neuen "Strategischen Konzept", das Sicherheit in einem umfassenden politischen Zusammenhang sieht. Auch dies wird die euro-atlantische Sicherheitspartnerschaft stärken.

III.

Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.

Heute ist die unkontrollierte Weiterverbreitung von atomaren Waffen die wohl größte Bedrohung unserer Sicherheit. Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag aus den 60er Jahren war mehr als eine Festschreibung des status quo. Er enthält bis heute ein gegenseitiges Versprechen. Der Selbstverpflichtung zur Nichtverbreitung steht die Selbstverpflichtung der Atomwaffenstaaten zur Abrüstung gegenüber. Einerseits wollen wir eine Weiterverbreitung der Atomwaffenfähigkeit verhindern, andererseits die Arsenale dieser Waffen verringern.

Deshalb ist die Kontroverse um das iranische Nuklearprogramm auch keine regionale Angelegenheit, sondern eine Frage mit globalen Auswirkungen.

Der Iran hat das vertraglich verbriefte Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Gruppe der E3+3 hat sogar weitreichende Unterstützung angeboten, um Iran dabei zu helfen, wenn dieser im Gegenzug den Nachweis des ausschließlich friedlichen Charakters seines Nuklearprogramms erbringt. Unsere Hand bleibt ausgestreckt, aber bisher greift sie ins Leere. Und auch nach dem gestrigen Tag kann ich bedauerlicherweise zu keiner anderen Einschätzung kommen. Wenn es wirklich einen neuen Ansatz zur Zusammenarbeit geben sollte, dann müssen den Worten aus dem Iran konkrete Taten folgen. Eine Einigung mit der Wiener Atomenergiebehörde über den Teheraner Forschungsreaktor wäre ein vertrauensbildender Schritt. Er wäre aber kein Ersatz für Verhandlungen, um den zivilen Charakter des Iranischen Nuklearprogramms sicher zu stellen. Eine atomare Bewaffnung Irans ist für uns nicht akzeptabel. Sie würde zu einer Destabilisierung der ganzen Region und zu einer womöglich fatalen Schwächung des Nichtverbreitungsregimes führen.

Die andere Seite der Medaille ist die Reduzierung der Atomwaffenarsenale. Wir unterstützen daher die laufenden amerikanisch-russischen Verhandlungen über eine Reduzierung der strategischen Waffen. Ein Erfolg dort wird auch positive Auswirkungen auf die im Mai anstehende Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrages haben.

Abrüstung ist kein weltfremder Traum, sondern unter den Bedingungen der Globalisierung eine Notwendigkeit. Gerade erst haben wir in Berlin gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker - leider ohne den erkrankten Egon Bahr - und ihren amerikanischen Gegenübern Henry Kissinger, Sam Nunn, William Perry und George Shultz darüber gesprochen, wie in einem nächsten Schritt nicht nur die Zahl, sondern auch die militärische Bedeutung von Atomwaffen reduziert werden kann. Auch damit wollen wir das Fenster der Gelegenheit weiter aufstoßen.

Eingebettet in eine solche Strategie wollen wir uns auch eine deutsche Friedensdividende politisch erarbeiten. Die letzten Nuklearwaffen in Deutschland sind ein Relikt des Kalten Krieges. Sie haben keinen militärischen Sinn mehr. Deshalb setzt sich die Bundesregierung in Gesprächen mit unseren Partnern und Verbündeten dafür ein, die Bedingungen für einen Abzug zu schaffen. Dabei wollen wir auch mit Russland über vertrauensbildende Maßnahmen und eine Reduzierung seiner Waffen sprechen.

Nukleare Abrüstung darf aber nicht dazu führen, dass konventionelle Kriege wieder führbar werden. Wer eine atomwaffenfreie Welt, wer "Global Zero" ernst meint, muss auch die konventionelle Rüstungskontrolle und Abrüstung mit einbeziehen. Wir wollen einer Erosion des Vertrages über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) aktiv entgegenwirken. Nukleare Abrüstung und konventionelle Abrüstung müssen Hand in Hand gehen.

IV.

Die Vorstellung einer Welt ohne Atomwaffen erscheint vielen als naiv. Aber nicht Abrüstung ist unverantwortlich, sondern ein Beharren auf dem status quo, das die neuen Risiken übersieht. Natürlich braucht Abrüstung einen langen Atem, aber warum soll sie nicht möglich sein?

Mein Jahrgang ist 1961. Damals wurde quer durch Berlin und Deutschland die Mauer gebaut. Manche hatten auch die Wiedervereinigung längst aufgegeben. Ich war noch keine 30, als der Freiheitswille von Millionen die Mauer zum Einsturz brachte. Visionen sind noch keine Politik, aber ohne Visionen kann Politik nicht gestalten.

Wir stehen am Anfang eines neuen Jahrzehnts. Die Bundesregierung wird nach Kräften ihren Beitrag dazu leisten, dass es zu einem Jahrzehnt der Abrüstung wird.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 06.02.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2010