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REDE/924: Thomas de Maizière zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen vor dem Bundestag, 13.06.13 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zur Haltung der Bundesregierung zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen vor dem Deutschen Bundestag am 13. Juni 2013 in Berlin:



Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Bartels, es ist interessant, dass Sie jetzt hauptsächlich zu dem Zusatzpunkt, dem Antrag der Linken, gesprochen haben. Das finde ich für Sozialdemokraten ungewöhnlich.

Davon abgesehen, haben Sie als Sozialdemokraten die Entscheidung getroffen, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Das ist Ihr gutes Recht. Ich sehe dem gelassen entgegen. Das führt natürlich dazu, dass ich die Antworten auf alle Fragen, die Sie hier stellen, in meiner Zeugenaussage im Untersuchungsausschuss sorgfältig und gründlich vortragen werde. In der Zwischenzeit werde ich natürlich meine Amtspflichten erfüllen und Ihnen nicht auf den Leim gehen.

Deswegen erlauben Sie mir, dass ich auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zum Thema Drohnen eingehe. Das haben Sie auf die Tagesordnung gesetzt. Deswegen will ich es Ihnen gerne erläutern.

In ihrer Antwort hat die Bundesregierung festgehalten, dass wir eine breite gesellschaftliche Debatte über den Einsatz von Drohnen für notwendig halten. Wir führen sie auch. Wie Sie wissen, habe ich sie selbst vor einem Jahr eröffnet.

In der Antwort auf die Große Anfrage stellt die Bundesregierung fest:

"Eine abschließende Entscheidung zur Beschaffung bewaffneter UAS ist von der Bundesregierung noch nicht getroffen worden."

Eine Debatte darüber gehört natürlich ins Parlament. Ich habe im Januar in einer Aktuellen Stunde sieben Gründe formuliert, die aus meiner Sicht für die Beschaffung von Drohnen, auch bewaffnungsfähigen Drohnen, sprechen. Ich will sie heute nicht alle wiederholen.

Derzeit prägt natürlich - das haben Sie durch eine Personalisierung gemacht; das ist okay - die Diskussion über die Entscheidung zur Nichtanschaffung der Euro-Hawk-Serie den Hintergrund für unsere Beratungen. Für alle, die nicht im Verteidigungsausschuss sind und mit den Dingen nicht so vertraut sind, will ich gerne noch einmal festhalten: Der Typ Euro Hawk fliegt sehr hoch. Er ist unbewaffnet und dient der Aufklärung. Das, was Gegenstand der Großen Anfrage ist, sind Drohnen, die in mittlerer Höhe fliegen, die ebenfalls aufklären und bewaffnungsfähig sein können. Dann gibt es Drohnen, die in niedriger Höhe fliegen. Diese hat die Bundeswehr seit Jahrzehnten, völlig unstreitig. Im Übrigen haben auch unsere Verbündeten Drohnen: auch alle drei Typen. Frankreich zum Beispiel hat gerade eine Serie von Drohnen vom Typ Predator in den USA bestellt.

Sie sehen: An diesem Thema kommt niemand vorbei. Wir brauchen diese Debatte.

Am Anfang jeder militärischen Beschaffung steht ein ermittelter und belegter Bedarf. Das ist ein wesentliches Prinzip auch unseres neuen Beschaffungsprozesses. Wir kaufen, was wir brauchen, und nicht, was uns angeboten wird. Der militärische Bedarf ist auch im Falle bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge mittlerer Höhe vom Generalinspekteur klar formuliert. Wir brauchen die damit verbundenen Fähigkeiten zum Schutz unserer Soldaten und zum Schutz unserer Verbündeten.

Es geht zunächst um fünf bewaffnungsfähige unbemannte Systeme ab etwa 2016. Sie sollen eine Überbrückungslösung sein bis zur Beschaffung eines neuen, möglichst europäischen Systems ab Mitte des nächsten Jahrzehnts. So habe ich Sie, Herrn Arnold, und andere immer verstanden: Über das Erfordernis der Entwicklung einer europäischen Drohne bestand mit den Sozialdemokraten bisher immer Einigkeit. Ich hoffe, das gilt auch weiterhin.

Derzeit werden verschiedene auf dem Markt verfügbare und einsatzerprobte Systeme untersucht. Eine abschließende Entscheidung ist noch nicht getroffen worden. Aber wer eine Debatte will, der braucht eine Diskussionsgrundlage. Eine Auswahlentscheidung kann Ende des Jahres gefällt werden, sodass sie dem neu gewählten Bundestag zur Bewilligung vorgelegt werden kann. Die Erfahrungen im Hinblick auf die Probleme bei der Zulassung des Euro Hawk fließen natürlich in die Prüfung der Optionen ein. Es gibt dabei einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Entwicklungsvorhaben Euro Hawk und den aktuell für die Beschaffung zu prüfenden Optionen. Die jetzt zu prüfenden Systeme, etwa aus Amerika oder aus Israel, werden heute bereits von mehreren alliierten Partnern im Einsatz geflogen, nicht zuletzt auch zum Schutz deutscher Soldaten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich etwas zu dem Hauptpunkt unserer Debatte rund um das Thema Drohnen sagen: zur Bewaffnung. Auf die damit verbundenen ethischen, rechtlichen, politischen Fragen müssen wir als Gesellschaft, als Regierung, als Parlament eine Antwort finden wie auf jede einzelne Anfrage zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte auch. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein Luftfahrzeug bewaffnet ist oder nicht. Ob es hingegen bemannt oder unbemannt ist, kann militärisch einen großen Unterschied machen. Das ist zur Beurteilung der Rechtsfragen jedoch nicht entscheidend. Denn das Luftfahrzeug selbst steht nicht im Mittelpunkt der rechtlichen, der politischen oder der ethischen Prüfung, sondern im Mittelpunkt steht stets derjenige, der es steuert, stehen diejenigen, die ihm dazu den Befehl geben, und die Grenzen, in denen dies geschieht. Wir müssen darüber diskutieren, in welchen Fällen, unter welchen Bedingungen, mit welchem Auftrag und mit welchen Einschränkungen wir den Einsatz militärischer Gewalt für richtig halten oder ablehnen. Das gilt dann auch für Einsätze von bewaffneten Drohnen.

Unser Kollege Steinbrück hat nun kürzlich festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland keine bewaffneten Drohnen braucht. Herr Kollege Oppermann, ich habe das einmal in Ihrem Wahlprogramm nachgelesen. Da finde ich diesen Satz nicht. In Ihrem Wahlprogramm heißt es:

"Eine überstürzte Entscheidung zur Beschaffung von Kampfdrohnen lehnen wir ab. Wir fordern, dass vorher alle sicherheitspolitischen, völkerrechtlichen und ethischen Fragen umfassend beantwortet werden."

Deswegen stehen wir hier und diskutieren darüber. Aber wir nehmen das Ergebnis nicht vorweg, wie Herr Steinbrück es getan hat.

Eine namhafte überregionale Zeitung kommentierte die Rede von Herrn Steinbrück übrigens dahin gehend - an anderen Teilen der Rede gibt es nicht viel zu kritisieren -, dass jeder Leutnant, der schon einmal eine Patrouille in unsicheres Gebiet führen musste, erklären könne, warum es doch gut wäre, wenn die Bundeswehr über bewaffnete Drohnen verfügte.

Dazu genügt ein Blick in unsere Einsatzrealität. Mit unseren unbewaffneten Drohnen vom Typ Heron eins kann eine Besatzung von Masar-i-Scharif aus einen Patrouillenführer bei Kunduz unterstützen, der in einen Hinterhalt Aufständischer geraten ist. Sie kann ihm über Funk mitteilen, wo sich die Angreifer befinden. Sie kann ihn warnen, wenn sich weitere Aufständische nähern, und ihm mitteilen, von wo sie angreifen.

Kurz: Die Besatzung kann aus großer Höhe den Überblick behalten und die eigenen Kräfte am Boden mit Aufklärung in Echtzeit unterstützen. Aktiv ins Geschehen eingreifen kann das Heron-Bedienpersonal hingegen nicht, denn der Heron eins ist unbewaffnet. Er kann bei andauernden Angriffen nicht das Leben deutscher Soldaten schützen und retten, indem er die Angreifer mit einem Warnschuss abschreckt oder in letzter Konsequenz auch gezielt bekämpft. Es kann nicht sein, dass wir Soldaten in Einsätze schicken und dann nicht willens sind, ein System einzuführen, das unsere Soldaten bei der Erfüllung ihres Auftrages unterstützt, schützt und ihr Leben retten kann.

Derzeit sind unsere Soldaten in einer solchen Situation auf die Luftnahunterstützung durch bemannte Kampfflugzeuge oder bewaffnete unbemannte Luftfahrzeuge unserer Partner angewiesen; Sie alle kennen das: Close Air Support. Allerdings ist dies in der Regel mit einem deutlichen Zeitverzug verbunden, der entscheidend sein kann, und wir sind bisher zumeist auf Verbündete angewiesen. Der Einsatz von Drohnen mittlerer Höhe ist aufgrund ihrer Verweildauer und Präzisionsfähigkeit oftmals die einzig erfolgversprechende Möglichkeit, eigene Kräfte zeitnah und wirksam zu unterstützen. Das kann auch bei einem Einsatz nötig sein, der keinen Kampfauftrag mehr enthält, wie in Afghanistan ab 2015. Denn der Schutz der eigenen Soldaten bleibt natürlich notwendig.

Wie bei allen anderen Mitteln der Anwendung militärischer Gewalt sind bei einem Einsatz von Drohnen die im Einzelfall geltenden verfassungs- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen und das humanitäre Völkerrecht zu beachten. Wir haben uns dazu verpflichtet, und das gilt für jeden Einsatz der Bundeswehr, mit welchen Mitteln auch immer. Es würde auch für den Einsatz bewaffneter Drohnen gelten. Wir sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, so selbstbewusst sein, nicht von der Einsatzmethode anderer Staaten auf diejenige der Bundeswehr oder des Einsatzmittels insgesamt zu schließen.

Nun sagen viele, es gebe bei Drohnen eine emotionale Ferne; sie setzten die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt herab. Das ist ein gewichtiges Argument; ich habe es im Januar schon vorgetragen. Eine größere emotionale Distanz unserer Besatzungen zum Geschehen im Einsatzland lässt sich aber nicht belegen. Jeder von Ihnen, der unsere Truppen in Afghanistan schon besucht hat, weiß: Die Besatzungen unserer unbemannten Luftfahrzeuge dienen vor Ort; sie nehmen in Masar-i-Scharif an Trauerveranstaltungen für gefallene Kameraden teil, sie stehen Spalier für die Särge auf dem Weg zur Transall. Diese Soldaten sind sich der ethischen, rechtlichen und moralischen Dimension ihres Handelns vollkommen bewusst.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - In einem sind wir uns sicher einig: Wir wollen keinen Automatenkrieg. Die Waffen dürfen sich nicht von Entscheidungen durch Menschen lösen und verselbstständigen. Mit bewaffnungsfähigen Drohnen sind wir weit davon entfernt. Erhalten wir uns bitte die Kraft zur Differenzierung, insbesondere wenn wir über Wert und Unwert von Waffen reden. Im Mittelpunkt der Debatte sollte stehen, was die Bundeswehr zur Erfüllung ihres Einsatzes braucht. Die Bundeswehr besteht aus Menschen, die verantwortungsvoll und im Rahmen der Gesetze handeln. Ihr Schutz ist uns Verpflichtung.

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Quelle:
Bulletin vom 13. Juni 2013
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière,
zur Haltung der Bundesregierung zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen
vor dem Deutschen Bundestag am 13. Juni 2013 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2013