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SICHERHEIT/076: Modernisierung statt Abschaffung, atomare Abrüstung eine Mär (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. November 2011

Rüstung: Modernisierung statt Abschaffung - Atomare Abrüstung eine Mär

von Ramesh Jaura


Berlin, 8. November (IPS/IDN*) - In der derzeitigen Situation, die an Stanley Kubricks Film 'Dr. Seltsam oder Wie ich lernte die Bombe zu lieben' erinnert, denkt derzeit keine Atommacht über eine kernwaffenfreie Zukunft nach. Vielmehr kommt ein neuer Bericht zu dem Schluss, dass der Einsatz von Atombomben eine realistische Gefahr darstellt, die immer weiter zunimmt.

Mit Verweis auf einige weltweit beunruhigende Trends heißt es in dem Papier: "Obwohl das neue START-Abkommen zwischen USA und Russland der wohl wichtigste Fortschritt im Bereich der Waffenkontrolle der letzten zwei Jahrzehnte bedeutet, enthält es Mängel, die nicht notwendigerweise zu einer deutlichen Verringerung der Zahl der Atomwaffen in beiden Ländern führen werden." Das am 5. Februar 2011 in Kraft getretene START-Abkommen regelt die Verringerung strategischer Waffen.

"Wie immer sich auch die aktuelle globale Rhetorik der Atomwaffenstaaten mit Blick auf die nukleare Abrüstung ausnimmt, so lässt das Ausbleiben von Durchbrüchen bei der atomaren Abrüstung auf eine Modernisierung und Zunahme von Atomwaffen schließen", warnt Ian Kerns in dem Bericht, den die britische 'Trident Commission' unter dem Dach des 'British American Security Information Council' (BASIC) herausgegeben hat. Der unabhängige und parteiübergreifende Ausschuss will seinen im November 2011 erschienenen Bericht als Diskussionspapier verstanden wissen.

Obwohl die Atomwaffenarsenale seit Mitte der 1980er Jahren verkleinert wurden, hat die Zahl der Atomwaffenstaaten zugenommen. "Die rund 20.000 existierenden Kernwaffen befinden sich heute in einigen der instabilsten und gewalttätigsten Regionen der Welt", stellt die Studie fest. Außerdem gebe es in Nordostasien, Nahost und Südasien ernste Konflikte, die zur Verbreitung von Atomwaffen und somit zu einer erhöhten Gefahr eines Atomkriegs führen könnten.

Dem Bericht zufolge laufen in allen Staaten, die Atomwaffen besitzen, langfristige Programme zur Modernisierung oder Aufrüstung von Nuklearwaffen. Diese Länder - darunter auch China, Indien und Pakistan - hätten für solche Maßnahmen hunderte Milliarden US-Dollar vorgesehen.


Neuere Atomwaffen

Fast alle Atomwaffenstaaten produzieren neue oder modernere Atomwaffen. Länder wie Pakistan und Indien sind offenbar an kleineren und leichteren Waffen mit kleiner und größerer Reichweite interessiert.

In China und Indien sind bereits größere Raketenabschussprogramme in Arbeit, die sowohl die Reichweite und die Fähigkeiten der Bodenabschussraketen erhöhen als auch den Aufbau ganzer Flotten von Atom-U-Booten mit ballistischen Raketen ermöglichen sollen.

Im Fall von Israel wird die Flotte der Atom-U-Boote vergrößert. Auch ist das Land dem Bericht zufolge auf dem besten Wege, im Rahmen seines Satelliten-gesteuerten Raketenprogramms an einer Interkontinentalrakete (ICBM) zu arbeiten.

Pakistan wiederum erhöht nicht nur die Zahl seiner atomaren Sprengköpfe, sondern baut an neuen Reaktoren zur Herstellung von Plutonium, durch die sich das Land mehr Spaltmaterial beschaffen könnte.

Frankreich, das kürzlich die Modernisierung seiner U-Boote mit ballistischen Raketen abgeschlossen hat, führt derzeit neue und fähigere Kampfflugzeuge für seine Luftstreitmacht ein. Auch sollen neue und bessere atomare Sprengköpfe für See- und Luftraketen eingeführt werden.

Dem Bericht zufolge erachten alle Atomwaffenstaaten Kernwaffen als wichtig im Sinne der nationalen Sicherheit. Für einige Länder wie Russland, Pakistan, Israel und Frankreich sind Atomwaffen mehr als nur Instrumente der nuklearen Abschreckung. Indien hat offengelassen, ob es auf mögliche Anschläge mit biologischen oder chemischen Waffen mit Kernwaffen reagieren würde.

Die unabhängige Internationale Kommission über nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung (ICNND) wies darauf hin, dass China Atomwaffen nur im Fall eines nuklearen Angriffs verwenden wolle.


Schuldzuweisungen

Alle Atomwaffenstaaten rechtfertigen ihre Modernisierungs- und Aufrüstungsprogramme mit der Gefahr einer strategischen oder vermeintlich strategischen Unterlegenheit angesichts der weltweiten Weiterentwicklung konventioneller und Atomwaffen. Moskau beispielsweise führt US-amerikanische Fähigkeiten wie die Entwicklung des 'Conventional Prompt Global Strike' und die eigene Schwäche gegenüber China ins Feld. Der Conventional Prompt Global Strike soll den weltweiten Einsatz konventioneller Waffen binnen einer Stunde ermöglichen.

China wiederum begründet die Modernisierung und Aufrüstung seiner Raketenprogramme mit ähnlichen Entwicklungen in den USA und in Indien. Neu-Delhi argumentiert mit der Sorge über eine nukleare Überlegenheit Pakistans und Chinas, Pakistan mit der Überlegenheit Indiens bei den konventionellen Waffen. Frankreich begründete die Entscheidung, seine Kernwaffen zu modernisieren, damit, dass auch anderswo auf der Welt Atomwaffenlager zunehmen. (Ende/IPS/kb/2011)


* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland unter dem Dach von GlobalNewsHub.Net.

Links:
http://www.basicint.org/sites/default/files/commission-briefing1.pdf
http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/520-modernisation-of-nukes-acquiring-priority

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011