Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

SICHERHEIT/096: Afghanistan - Sicherheitslage instabil, UNAMA-Chef wirbt für regionale Kooperation (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Juni 2012

Afghanistan: Sicherheitslage instabil - UNAMA-Chef wirbt für regionale Kooperation

von Aline Jenckel



New York, 1. Juni (IPS) - Obwohl Regierung und Wirtschaft in Afghanistan weiterhin auf unsicheren Füßen stehen und die Sicherheitslage instabil ist, planen die 28 NATO-Mitgliedsstaaten, ihre Schutztruppe ISAF bis 2014 abzuziehen. Sie halten die Zeit für gekommen, die Verantwortung an den zentralasiatischen Staat zu übertragen. Mit dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Afghanistan, Jan Kubis, sprach IPS über die aktuelle Lage in dem Land und die Rolle der Nachbarstaaten im Stabilisierungsprozess.

Ein Jahrzehnt nach der Entsendung von ISAF drohen Taliban und Drogen Afghanistan auseinander zu reißen. Dennoch wollen westliche Staaten auch nach dem ISAF-Abzug ihre Unterstützung fortsetzen. Auf dem NATO-Gipfel in Chicago vom 20. bis 21. Mai wurde eine 'Roadmap' für die Zeit nach 2014 vorgestellt.

Außer ISAF wurde auch die UN-Unterstützungsmission in Afghanistan (UNAMA) vom Weltsicherheitsrat damit beauftragt, innerhalb des Landes in den Bereichen Entwicklung, Politik und humanitäre Fragen tätig zu werden. Der Übergang sei mehr als nur die Übergabe der Sicherheitsverantwortung, sagt Kubis, der auch Leiter von UNAMA ist. Es gehe dabei unter anderem auch um Wirtschaft, Entwicklung, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

IPS: Auf dem NATO-Gipfel in Chicago diskutierten die Mitglieder kürzlich über den Abzug der ISAF-Truppen bis 2014. Die afghanische Wirtschaft ist aber noch schwach und die Regierung korrupt. Was muss ihrer Meinung nach im Anschluss an den Truppenrückzug für die langfristige Sicherheit und Unterstützung getan werden?

Jan Kubis: Obwohl der NATO-Gipfel ein ISAF-Gipfel war, der sich auf die Sicherheitsaspekte konzentrierte, wurde klar festgestellt, dass der Übergang umfassender ist als die Übergabe der Sicherheitsverantwortung. Er betrifft zahlreiche Fragen, darunter auch die Notwendigkeit, den Übergang im Sicherheitsbereich durch die Wirtschaft, die Entwicklung, den Respekt für Menschenrechte und Freiheit sowie gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit zu stützen. So erschien es etwa notwendig, die Errungenschaften der letzten Jahre zu bewahren und weiterzuentwickeln, auch in Bezug auf Frauenrechte und auf die Landesverfassung. Diesen Fragen muss größere Aufmerksamkeit zukommen, damit die Fortschritte der vergangenen zehn Jahre erhalten bleiben.

IPS: Erst kürzlich wurden Schulen in Afghanistan angegriffen. Wie lässt sich die Sicherheit von Frauen, Mädchen und Kindern langfristig gewährleisten? Denn sie sind die Zukunft des Landes.

Kubis: Wir, als UN-Familie und UNAMA, sind sehr unglücklich über die Lage, seit die Angriffe zugenommen haben, und über die Anschläge regierungsfeindlicher Kräfte auf die Schulen in der Region. Lehrer und Schüler wurden drangsaliert und getötet.

Wir haben die afghanischen Behörden und das internationale Militär auf die Entwicklungen hingewiesen und Konsequenzen gefordert. Denn tatsächlich geht es dabei um die Zukunft des Landes.

Es ist eine unangenehme Überraschung zu beobachten, dass die Taliban einerseits behaupten, Lehren aus der Vergangenheit gezogen zu haben und die Bildung von Frauen zulassen zu wollen. Andererseits haben ihre Angriffe auf Schulen zugenommen. Wir würden uns wünschen, dass die Anti-Regierungskräfte ihr Wort halten und diese Attacken beenden.

Auch und vor allem die Polizei sowie die Sicherheitskräfte haben die Verantwortung, alles zu tun, um Kindern und insbesondere Mädchen einen sicheren Schulbesuch zu ermöglichen. Oft sind Mädchenschulen die ersten Angriffsziele.

IPS: Afghanistan liegt in einer Konfliktregion zwischen Ländern wie Pakistan und dem Iran. Viele Menschen glauben nicht daran, dass der Frieden in Afghanistan wiederhergestellt werden kann, da sich die Nachbarn einmischen. Manche sagen sogar vorher, dass Afghanistan zu einem zweiten Irak werden könnte. Kommuniziert Ihre Mission auch mit den Nachbarstaaten?

Kubis: Wenn ich mich nochmals auf den NATO-Gipfel in Chicago beziehe, kann ich glücklicherweise sagen, dass dort zum ersten Mal Teilnehmer aus zentralasiatischen Staaten wie Pakistan anwesend waren. Alle stimmten darin überein, dass die Abschlusserklärung eindeutige Regelungen enthalten müsse. Die Teilnehmer sprachen über die Notwendigkeit, die regionalen Kooperations- und Aussöhnungsprozesse zu unterstützen.

Was die Vereinten Nationen und insbesondere UNAMA betrifft, so ist die regionale Zusammenarbeit Teil meines Mandats. Ich habe in den ersten Monaten meines Aufenthalts in Afghanistan fast alle Nachbarstaaten besucht. Bis zu diesem Sommer will ich in allen Ländern gewesen sein, auch in Pakistan und im Iran. Sie spielen eine wichtige Rolle für die Stabilisierung und die Entwicklung Afghanistans.

Wir müssen sie dazu ermutigen, Afghanistan politisch zu unterstützen, sich für Frieden, Aussöhnung und Stabilisierung einzusetzen und sich dort auch wirtschaftlich zu engagieren. Das ist der nachhaltigste Beitrag.

Ein weiterer Aspekt, der Afghanistan, Pakistan und den Iran betrifft, sind die gemeinsamen Anstrengungen zur Verbesserung der Lage der Flüchtlinge. Vor allem in Pakistan und im Iran leben noch Millionen Flüchtlinge. Ein regionaler Plan, der dieses Problem lösen soll, erhielt glücklicherweise Anfang Mai auf einer Konferenz des Hohen UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) Unterstützung. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://unama.unmissions.org/default.aspx?/
http://www.chicagonato.org/
http://www.unhcr.org/4fa0e8319.html
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107977

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 1. Juni 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2012