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SICHERHEIT/130: Nahost - Konferenz in Jerusalem über Chancen einer atomwaffenfreien Zone (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. November 2013

Nahost: Konferenz in Jerusalem über Chancen einer atomwaffenfreien Zone

von Pierre Klochendler



Ostjerusalem, 11. November (IPS) - Während die palästinensisch-israelischen Friedensgespräche und die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm weitergehen, fand in Jerusalem eine einzigartige Konferenz zum Thema 'Ein Naher Osten ohne Massenvernichtungswaffen' statt.

An dem Treffen nahmen Ziad Abu Zayyad, der ehemalige Leiter der palästinensischen Delegation bei den multilateralen Gesprächen über Rüstungskontrolle und regionale Sicherheit (ACRS), Dan Kurtzer, ein früherer Friedensvermittler und US-Botschafter in Israel und Nahost sowie Anti-Atomwaffenaktivisten teil. Auch der ehemalige israelische Atomtechniker Mordechai Vanunu war anwesend, dem Israel verboten hat, mit Ausländern zu sprechen und das Land zu verlassen.

Mit der Begründung, Massenvernichtungswaffen abzulehnen, hatte Vanunu 1986 gegenüber der britischen 'Sunday Times' Details über das israelische Atomwaffenprogramm publik gemacht. Daraufhin wurde er von Mossad-Geheimagenten verschleppt und für 18 Jahre in ein israelisches Gefängnis gesperrt. Elf Jahre seiner Gefangenschaft brachte er in Einzelhaft zu.

"Vor zehn Jahren hätten wir von einer solchen Konferenz nicht zu träumen gewagt", meinte Kurtzer. Dass man in Israel inzwischen auf einer öffentlichen Veranstaltung über ein Thema diskutieren könne, das der Öffentlichkeit gern vorenthalten werde, sei ein Fortschritt.

Organisiert hatte das Event das 'Palestine-Israel Journal' (PIJ), eine Zeitschrift der Zivilgesellschaft mit Sitz im von Israel besetzten Ostjerusalem, die sich für einen Frieden in Nahost einsetzt und die Sichtweisen beider Seiten - von Israelis und Palästinensern - darstellt.

"Die zweispurige Diplomatie hat auf jeden Fall Vorzüge gegenüber der einspurigen, der formellen Diplomatie", meinte der Nahostexperte Kurtzer, der inzwischen an der Princeton-Universität lehrt. "Sie dürfte spätestens im nächsten oder übernächsten Jahr greifen."

Die Konferenz fand nur wenige Tage vor dem 7. November statt, dem Beginn der zweiten Runde der Atomgespräche zwischen dem Iran und den P5+1-Staaten China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA. Die dreitägigen Verhandlungen in Genf wurden aufgrund unüberbrückbarer Differenzen auf den 20. November vertagt.


Atomare Frage ist "letztes israelisches Tabuthema"

Dem Iran wird vorgeworfen, mit seinem Atomprogramm den Bau von Atomwaffen zu verfolgen. Derzeit ist jedoch Israel das einzige Land der Region, das aller Wahrscheinlichkeit nach Kernwaffen besitzt. Entsprechende Berichte wurden von der Regierung weder bestätigt noch dementiert. Israel hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet. "Die Nuklearfrage ist das letzte israelische Tabuthema", meinte dazu der israelische Experte für nichtkonventionelle Waffen, Reuven Pedatzur.

In seinem Vortrag über die Kontrolle von Spaltmaterial in Nahost plädierte der Physikprofessor an der Princeton-Universität, Frank von Hippel, für ein Verbot, Plutonium zu spalten und zu verwenden sowie Uran auf über sechs Prozent anzureichern und weitere Anreicherungsanlagen zu bauen. Im Gegenzug sollte Israel seinerseits darauf verzichten, Plutonium anzureichern sowie sich zur atomaren Abrüstung seiner Plutonium- und Uranlager zu verpflichten.

Obwohl sich die Konferenzteilnehmer einig waren, dass eine Unruheregion wie der Nahe Osten von Massenvernichtungswaffen befreit werden müsse, schieden sich die Geister in der Frage, inwieweit die Umsetzung eines solchen Ziels mit Israel als derzeit einzigem Atomwaffenstaat realistisch sei.

Der "ausgezeichnete Vorschlag" einer atomwaffenfreien Region Nahost kommt nach Ansicht von Pedatzur zu früh. Dem Experten zufolge könnte bestenfalls der Druck der USA hilfreich sein. "Doch kann ich keine diesbezügliche US-Initiative erkennen." Ähnlich pessimistisch äußerte sich Kurtzer. Washington habe zwar Interesse daran, dass jede Verbreitung von Atomwaffen gestoppt werde. Doch was Israel angehe, sei man wieder auf den Status als nicht erklärte Atommacht und auf die starken bilateralen Beziehungen zwischen den USA und Israel zurückgeworfen.

Im Anschluss an die Madrider Friedenskonferenz von 1991 hatte Israel zwar an den multilateralen Gesprächen über atomare Abrüstung und regionale Sicherheit teilgenommen. Für Israel stand damals die regionale Sicherheit im Vordergrund, den arabischen Staaten unter Führung Ägyptens ging es vor allem um den Aspekt der Waffenkontrolle, womit die Kontrolle der israelischen Kernwaffenarsenale gemeint war. Die Gespräche wurden 1995 abgebrochen.

"Israel will vor allem erreichen, dass die internationale Gemeinschaft seinem Nuklearstatus de facto zustimmt", betonte Abu Zayyad. Gleichzeitig sei es nicht gegen eine atomwaffenfreie Region Nahost. "Das ist widersinnig." Abu Zayyad vertrat in Jerusalem die traditionelle palästinensische Position, wonach die Atomwaffen- und Friedensfrage gleichzeitig und nicht sukzessiv geklärt werden muss. Israel weist jedoch jede Verbindung zwischen seinem Atomprogramm und jeglicher regionaler Entspannung zurück.


Bei Chancen für atomwaffenfreien Nahost gehen die Meinungen auseinander

Dass sich zwischen Russland und den USA eine Einigung für einen Abzug chemischer Waffen aus Syrien abzeichne und sich ein US-Präsident erstmals wieder seit 1979 zu Verhandlungen mit einem iranischen Amtskollegen bereit erklärt habe, seien vielversprechende Entwicklungen für die Umsetzung einer atomwaffenfreien Zone, meinte der PIJ-Redakteur Hillel Schenker.

"Doch der Einsatz chemischer Waffen im syrischen Bürgerkrieg, das bisherige Versagen, die iranische Atomkrise zu lösen, der fortgesetzte Atomwaffenbesitz Israels und die Besatzung Palästinas sprechen gegen eine baldige atomwaffenfreie Zone Nahost", sagte Pedatzur.

Abu Zayyad befürwortet ein globales Arrangement. "Wenn wir über Israel sprechen, spricht Israel über den Iran, der Iran über Pakistan, Pakistan über Indien usw.", meinte er. Diese nukleare Kette gelte es international zu durchbrechen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.pij.org/
http://fissilematerials.org/library/2013/10/fissile_material_controls_in_t.html
http://www.ipsnews.net/2013/11/israels-nuclear-ambiguity-prodded/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2013