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INTERNATIONAL/074: Gelingt der UN die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens? (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Perspektive

Hoffnung für verschuldete Staaten
Gelingt den Vereinten Nationen die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens?

von Jürgen Kaiser
Dezember 2014



• Erstmals haben die Vereinten Nationen im September 2014 eine Führungsrolle bei der Bewältigung von Staatsschuldenkrisen geltend gemacht. Gegen die Stimmen wichtiger Industrieländer - darunter Deutschland - hat die Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer dies in der Generalversammlung der Vereinten Nationen durchgesetzt.

• Der konfrontative Beschluss der Mehrheit ist Ausdruck der großen Frustration, die im globalen Süden gegenüber dem bestehenden Regime zum Umgang mit Schuldenkrisen herrscht. Dieses von den Industrieländern bestimmte Regime wird als ineffizient und unfair eingestuft.

• Bis zum September 2015 haben die Industrieländer nun die Gelegenheit, ihre Blockadehaltung aufzugeben und sich mit eigenen Positionen konstruktiv in den Prozess einzubringen.

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Am 9. September 2014 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) mit deutlicher Mehrheit »die Erarbeitung und Verabschiedung (...) eines multilateralen Rechtsrahmens für die Restrukturierung von Staatsschulden«. Mehr noch: Sie beschloss, dass diese Restrukturierung nicht in einem zeitlich offenen, womöglich mehrjährigen Prozess durchzuführen sei, sondern im Rahmen der laufenden Sitzungsperiode, d.h. bis Ende September 2015.

Dieser Beschluss gibt der Diskussion zum Umgang mit Schuldenkrisen, die schon seit dem Ausbruch der »Schuldenkrise der Dritten Welt« in den 1980er Jahren geführt wird, eine neue Dimension: Wie können zahlungsunfähige Staaten ebenso effizient und rechtsstaatlich zu einem Neuanfang kommen, wie das für Unternehmen in einem Insolvenzverfahren möglich ist?

Diese Frage ist heute nicht weniger dringlich als vor 30 Jahren. Die Eurokrise ist noch lange nicht überwunden und der Schuldenstand einiger europäischer Staaten bleibt alarmierend. Ebenso hat das Verschuldungsniveau zahlreicher Entwicklungs- und Schwellenländer erneut bedenkliche Ausmaße angenommen. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) weisen derzeit 15 Länder mit niedrigem Einkommen oder dem Status »Kleiner Inselentwicklungsstaaten« (Small Island Developing States, SIDS) ein »hohes« Risiko erneuter Überschuldung auf. Weitere 29 Staaten zeigen ein »mittleres« Risiko, wobei »hoch« bereits bedeutet, dass nach dem als wahrscheinlich angenommenen IWF-Szenario eine Schuldenkrise auch tatsächlich eintreten wird. »Moderat« ist das Risiko, wenn eines der weiteren vom IWF durchgerechneten Krisenszenarien den Eintritt einer Staatsschuldenkrise prognostiziert.

Die Resolution vom 9. September ist mehr als die nächste Runde in einer dreißigjährigen Debatte. Dies zeigt die Argumentation der elf Staaten, die gegen den Resolutionsentwurf der G77 gestimmt haben. Ihr zentrales Argument lautet, dass solche Diskussionen nicht in die VN gehörten, sondern in den IWF - wo vor zwölf Jahren in Reaktion auf die Pleite Argentiniens tatsächlich ein entsprechender Vorschlag der Washingtoner Institution intensiv aber letztlich ergebnislos diskutiert worden war. Genau das wollten die G77 nicht noch einmal erleben und unterliefen daher bewusst den nirgends formulierten »Konsens«, dass über Reformen der globalen Finanzarchitektur in Washington und nicht in New York entschieden wird.


Der Weg zum VN-Beschluss

Die Anfang August von der Gruppe der »G77 & China« - d.h. von nahezu allen Entwicklungs- und Schwellenländern - eingebrachte Resolution stieß auf Verwunderung und Unverständnis bei den beiden Industrieländergruppen innerhalb des VN-Systems. Obwohl sie von den Initiator_innen seitdem zu mehreren Dialogrunden über die Initiative gebeten worden waren, verweigerten sich die Industrieländer fast vollständig. Die G77 zogen daraus zwei Konsequenzen:

• Sie schwächten den Textentwurf, der zunächst auf die Schaffung einer völkerrechtlich bindenden »Konvention« abgezielt hatte, von sich aus ab, indem nur noch die Schaffung eines »Rechtsrahmens« zum Ziel gesetzt wurde;

• und sie verabschiedeten die Resolution am 9. September mit ihrer eigenen Mehrheit, konkret mit 124 gegen 11 Stimmen bei 41 Enthaltungen.

Formal bedeutet die Entscheidung, dass die Generalversammlung nun ein selbst ausgestelltes Mandat sowie eine Verpflichtung hat, im genannten Zeitrahmen einen Vorschlag vorzulegen. Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine solche Entscheidung in der VN-Vollversammlung mit Mehrheit getroffen wird. Dem Stil der Weltorganisation würde es viel eher entsprechen - wie von den G77 auch angestrebt -, so lange in Arbeitsgruppen und informellen Treffen miteinander zu reden, bis eine von allen getragene Formulierung gefunden wurde.

In der Regel sind diese Formulierungen dann entsprechend allgemein gehalten, wenig verbindlich und vor allem nicht mit einer zeitlich definierten Handlungsverpflichtung versehen. Die Industrieländer hatten damit gerechnet, dass die Initiator_innen von dieser Gepflogenheit nicht abweichen würden. Folglich hoffte man über eine konsequente Verweigerung zu erreichen, dass der Spuk von alleine vergehen würde. Dieses Kalkül des »Nordens« ging jedoch nicht auf, was mehr als bemerkenswert ist und nur vor dem Hintergrund einiger aktueller Entwicklungen im Bereich der Staatsverschuldung verstanden werden kann.

Drei jüngere Ereignisse haben dabei erkennbar eine Rolle gespielt: Das erste ist die Weigerung des Obersten Gerichtshofs der USA, das Urteil eines New Yorker Gerichts zugunsten des Hedgefonds NML Capital gegen Argentinien zur Revision anzunehmen. NML Capital gehört zu den sogenannten »Geierfonds«, deren Geschäftsmodell darin besteht, Schulden von Krisenstaaten billig aufzukaufen und die volle Höhe dieser Forderungen einzuklagen, sobald es den Staaten wieder besser geht. Eine eigenwillige und unter Jurist_innen umstrittene Interpretation der in Anleiheverträgen regelmäßig enthaltenen Pari-passu-Klausel nutzte der New Yorker Richter Thomas Griesa, um Argentiniens Zahlungsverkehr mit seinen legitimen Gläubigern zu unterbrechen, solange Buenos Aires nicht auch den klagenden »Geierfonds« in voller Höhe bediente, der Altschulden Argentiniens aus der Zeit vor dem Schuldentausch 2005 für rund 20 Cent auf den Dollar gekauft hatte. Dieses Urteil erzeugte ein Gefühl der Bedrohung unter den Staaten des globalen Südens, welche seit vielen Jahren und in hohem Umfang Staatsanleihen am Finanzplatz New York ausgegeben hatten. Ein rechtsstaatlich basierter Mechanismus für Staateninsolvenzen würde insofern eine Lösung darstellen, als dieser alle Schulden einbeziehen und so verhindern könnte, dass »Geierfonds« auf Kosten anderer Gläubiger aus Schuldenkrisen Profit schlagen.

Weniger wahrgenommen, aber nicht weniger wichtig, sind zwei weitere Ereignisse: Zunächst die Entscheidung des IWF-Managements, sich an die Vorgabe seiner reichen Mitgliedsländer zu halten und selbst kein ambitionierteres Projekt zur Bewältigung von Schuldenkrisen zu verfolgen als das Einfügen von Collective Action-Klauseln in künftige Anleiheverträge. Im Frühjahr 2013 hatte der IWF eine bemerkenswert offene und selbstkritische Bestandsaufnahme der existierenden Verfahren zur Bewältigung von Staatsschuldenkrisen vorgelegt, die zunächst offen gelassen hatte, in welcher Weise dem angemahnten Reformbedarf entsprochen werden sollte. Bei einer Pressekonferenz im Rahmen der IWF/Weltbank-Frühjahrstagung 2014 hatte die Direktorin des Fonds, Christine Lagarde, dann deutlich gemacht, dass die Ambitionen des Fonds sich auf diese »vertraglichen« Reformen beschränken werden.

Das dritte Ereignis war der Gipfel der G77 und Chinas im Juni 2014 in Santa Cruz, Bolivien. Das von Boliviens Präsident Evo Morales gekonnt inszenierte Treffen war eine seltene Gelegenheit für die disperse Ländergruppe, die beiden anderen Stränge - Argentiniens Bedrohung und die Weigerung des IWF, eine Gefahr für die ärmeren Länder abzuwenden - zu einer gemeinsamen Initiative des »globalen Südens« zusammenzubinden. Wesentliche Formulierungen der VN-Resolution vom 9. September finden sich bereits in der Abschlusserklärung des Gipfels. Ohne die in Santa Cruz offensichtlich unter dem Radar der westlichen Mächte erzielte Übereinstimmung ist der starke Zusammenhalt der Ländergruppe, einschließlich der Schwergewichte der BRICS-Staaten bei der Einbringung ihrer eigenen Initiative kaum zu verstehen.


Die Haltung der Industrieländer

Deutschlands Haltung zum Resolutionsentwurf wurde durch zwei grundlegende Positionen geprägt:

• Über Fragen der globalen Finanzarchitektur ist grundsätzlich nicht in den Vereinten Nationen, sondern ausschließlich im IWF zu verhandeln.

• Mit der angestrebten Resolution instrumentalisiert Argentinien in unzulässiger Weise die Weltorganisation in seiner laufenden Auseinandersetzung mit dem »Geierfonds«.

Die mit dem Thema befassten Ressorts - das Bundesfinanzministerium (BMF), das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie das Auswärtige Amt - teilen diese Argumente durchaus nicht einheitlich. Allerdings liegt die Federführung der inhaltlichen Positionsbestimmung beim BMF und die Ressorts, die offenere Positionen vertraten, waren nicht bereit, formell Dissens anzumelden. Im Falle eines Dissenses zwischen den Ressorts, hätte Deutschland nicht mit Nein gestimmt, sondern sich zusammen mit der Mehrheit der europäischen Staaten der Stimme enthalten.

Unter den europäischen Enthaltungen befanden sich zahlreiche osteuropäische Länder, die es vorzogen, in einem solch kontroversen Punkt keine Stellung zu beziehen. Dazu kam die italienische EU-Präsidentschaft, die zwar die Nicht-Zustimmung im Namen der EU begründete, sich selbst jedoch der Stimme enthielt, sowie die Niederlande, die den Permanent Court of Arbitration in Den Haag als Sitz für eine Institution, wie die Resolution sie anstrebt, ins Gespräch gebracht hatte.

Zwei Industrieländer hätten die Initiative der G77 inhaltlich eigentlich unterstützen müssen, da sie in den letzten Jahren selbst ähnliche Vorschläge gemacht hatten. Sie stimmten gleichwohl nicht mit Ja, weil sie (a) mit Sprache und Duktus der G77-Initiative ihre Probleme hatten und (b) die informelle Solidarität mit den ablehnenden Staaten in Europa nicht gänzlich aufkündigen wollten - auch im Interesse künftiger Kompromisse.

Dabei handelte es sich um:

• Norwegen, das in den letzten Jahren zum Motor der internationalen Diskussionen um die Bewältigung von Schuldenkrisen avancierte und diesen Ambitionen auch nach dem Wechsel von einer Mitte-links- zu einer Mitte-rechts-Regierung nicht abgeschworen hat, sowie

• die Schweiz, deren Ständerat (kleine Kammer des Parlaments) den Bundesrat (die Regierung) zu Initiativen bezüglich der Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens verpflichtet hatte.

Unter den elf Nein-Stimmen gaben die USA und Großbritannien den Ton an. Mit der von Deutschland monierten Protagonisten-Rolle Argentiniens konnten zumindest die USA eigentlich kein Problem haben, da sich die US-Regierung in einem Amicus Curiae-Brief an den Supreme Court auf die Seite Argentiniens gestellt hatte. Handlungsleitend war für London und Washington daher vor allem das Bemühen, das Monopol des von den Industrieländern dominierten IWF aufrechtzuerhalten.

Auf tönernen Füssen stehen beide Argumente:

• Der IWF ist formal eine Unterorganisation der Vereinten Nationen. Beide sind durch ein komplexes Vertragswerk, welches u. gegenseitige Weisungen ausschließt, miteinander verbunden. Der IWF hat weit reichende Möglichkeiten, auf der Grundlage seiner Articles of Agreement Spielregeln für das internationale Finanzsystem zu definieren. Jedoch ist nirgendwo festgelegt, dass er darauf ein Monopol hat. Auf der anderen Seite können im Rahmen der VN grundsätzlich völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen getroffen werden. Es gibt keinen Grund, warum dies nicht auch für den Umgang mit Staatspleiten gelten sollte.

• Die Begründung, Argentinien missbrauche die VN-Generalversammlung im Kontext eines gegen das Land erfolgten Gerichtsurteils, überzeugt schon deshalb nicht, weil schwer vorstellbar ist, wie ein gerade erst anlaufender VN-Prozess eine vor US-Gerichten bereits auf höchstrichterlicher Instanz erfolgte Entscheidung noch beeinflussen soll. Argentiniens Außenminister, Héctor Timerman, hat bei der Pressekonferenz am 10. September daher deutlich gemacht, dass es nicht um Argentinien gehe, sondern »um alle, die sich künftig in der gleichen misslichen Lage wie wir wiederfinden werden«.

Die Ablehnung New Yorks als Geburtsort für ein - allseits als wünschenswert erachtetes - Staateninsolvenzverfahren wurde auch damit begründet, dass mit den Prozessen in Washington - also im IWF - die Finanzministerien und Notenbanken befasst seien, während in New York die Federführung bei den in der Sache eigentlich nicht kompetenten Außenministerien liege. Warum sollte man also die längst vorhandene »Washingtoner-Kompetenz« außen vor lassen und in New York das Rad neu erfinden?

Eine Reihe von Statements bei der IWF-Jahrestagung - darunter das Kommuniqué der G24, d.h. der Vertretung der Entwicklungs- und Schwellenländer bei IWF und Weltbank - zeigten nur wenige Wochen nach der VN-Entscheidung vom 9. September jedoch, dass es keinesfalls um eine »Kompetenz-Frage« geht: Die Finanzminister_innen und Notenbankchefs des »Südens« unterstützten ausdrücklich den von ihren Außenamtskolleg_innen in New York begonnenen Prozess. Somit halten sie die »inkompetente« VN offensichtlich für den fruchtbareren Boden zur Entwicklung eines sinnvollen Vorschlags als den von den G7 dominierten IWF.


Wie geht es weiter?

Am 5. Dezember wurde mit einer ähnlichen Mehrheit (128:16:34) ein von den G77 vorgelegtes »Modalitäten«Papier - ein Fahrplan für den Prozess bis zum September 2015 - im Zweiten Komitee der VN-Vollversammlung angenommen. Hauptakteur ist demnach bis zum Ende der 69. Sitzungsperiode ein zu gründendes Ad-hoc-Komitee unter paritätischem Vorsitz der Nord- und Südstaaten. Ende Januar, im Mai sowie im Juni/Juli 2015 soll das Komitee jeweils für drei Tage zusammentreten und sowohl die Delegationen als auch relevante Stakeholder, einschließlich zivilgesellschaftlicher Organisationen, anhören. Derart offene und transparente Prozesse sind eine der Stärken des VN-Systems im Vergleich zu anderen zwischenstaatlichen Organisationen.

Nichtregierungsorganisationen, wie erlassjahr.de, die im Verbund eines internationalen Netzwerks schon seit vielen Jahren auf die Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens hinarbeiten, werden sich dort einbringen. Ob die Staaten ab September 2015 ihre Zahlungsunfähigkeit tatsächlich geordnet bewältigen können, wird davon abhängen, ob es den Protagonisten des »Rechtsrahmens« gelingt, einen Vorschlag zu entwickeln, der gleichzeitig einen spürbaren Fortschritt gegenüber dem bisherigen »Nicht-System« darstellt und zumindest für einen wesentlichen Teil der sich bislang ablehnend zeigenden Länder akzeptabel ist.

Dabei ist der politische Konsens ausdrücklich wichtiger als die schnelle Umsetzung eines Konzepts in internationales Recht. Schließlich gründet sich das Management von Staatsschuldenkrisen seit jeher allenfalls teilweise auf verbindliches Völkerrecht, sondern vielmehr auf informelle Vereinbarungen wie den Pariser Club, der nicht einmal eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, oder die schlichte Durchsetzungsmacht der Internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank. Die Latte liegt - was den rechtlichen Status eines von der VN zu schaffenden Verfahrens angeht - also zunächst nicht sehr hoch, was natürlich nicht heißt, dass rechtliche Verbindlichkeit nicht angestrebt werden sollte.

Wichtig ist darüber hinaus, dass niemand in New York das Rad der geordneten Staateninsolvenz neu zu erfinden braucht. Die VN-Konferenz für Handel und Entwicklung (United Nations Conference on Trade and Development, UNCTAD) arbeitet seit 1986 zu diesem Thema und unterhält aktuell eine Arbeitsgruppe, die seit zwei Jahren an einem solchen Vorschlag arbeitet. Ähnliches gilt für das United Nations Department of Economic and Social Affairs (UNDESA), bei dem die Federführung für den Financing for Development-Prozess liegt. Auch der Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM), der 2001 lancierte Vorschlag des IWF für ein Staateninsolvenzverfahren, enthält Elemente, die für einen »offiziellen« VN-Mechanismus genutzt werden könnten. Und schließlich haben seit der Eurokrise zahlreiche wirtschaftspolitische Thinktanks eigene Vorschläge auf den Tisch gelegt. Beinahe könnte man glauben, dass eher die Fülle der Vorschläge ein Problem für die künftigen Autor_innen in New York darstellt als die Notwendigkeit, in einem relativ kurzen Zeitraum ein solides wie fortschrittliches Papier zu verfassen.

Inhaltliche Vorgaben stellt die Resolution so gut wie keine. Betrachtet man allerdings die Probleme, die zu ihrer Verabschiedung geführt haben, dann sollten mindestens drei Schlüsselelemente im Verfahren gewährleistet sein, um gegenüber dem Status quo tatsächlich einen Fortschritt zu erzielen:

• Ein reformiertes Verfahren muss sich auf alle Ansprüche an den verschuldeten Staat beziehen, statt diesen wie bisher zu zwingen, mit verschiedenen Gläubigern in verschiedenen Foren zu verhandeln.

• An die Stelle des Deutungsmonopols von IWF und Weltbank hinsichtlich der Notwendigkeit von Schuldenerleichterungen (Schuldentragfähigkeitsanalysen) muss eine unabhängige Begutachtung treten.

• Anstelle der bisher in eigener Sache richtenden Gläubiger muss eine unparteiische Entscheidung über Erlass, Restrukturierung oder Weiterzahlung von Schulden treten.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Zielen wären die G77 gut beraten, sich so flexibel wie möglich bei der Gestaltung eines künftigen Verfahrens zu zeigen. Der jetzt anlaufende Prozess bedeutet eine große Chance für ein seit 1982 ungelöstes Problem der internationalen Finanzbeziehungen. Eine systematische Blockade durch die elf Ablehner könnte den hoffnungsvollen Anfang schon mit profanen Verfahrens- und Finanzierungsfragen wieder zum Erliegen bringen. Dass von Deutschland eine solche Blockadehaltung in den kommenden Monaten nicht ausgehen darf, ist auch eine Herausforderung für die deutsche Zivilgesellschaft, das Parlament und die Wissenschaft. Die Bundesrepublik sollte vielmehr eine konstruktive Rolle in dem VN-Prozess zur Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens einnehmen und sich aktiv in die Diskussion zur inhaltlichen Ausgestaltung des zu schaffenden Verfahrens einbringen.

Anknüpfungspunkte wären vorhanden: Die Koalitionsverträge von 2002 und 2009 hatten damals bereits die gegenwärtigen Ziele der G77 als politische Ziele der jeweiligen Bundesregierungen definiert. Im Rahmen der Financing for Development-Konferenzen der VN von 2002 und 2008 hatte Deutschland auf gute Formulierungen zu diesem Thema gedrängt und auch den SDRM-Vorschlag des IWF zwischen 2001 und 2003 aktiv unterstützt. Oft war damals in Berlin beklagt worden, dass Deutschland mit seiner Initiative alleine stünde, weswegen Fortschritte leider nicht erzielt werden konnten. Jetzt steht die Mehrheit der Staaten der Welt dahinter. Deutschland sollte diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen.



Über den Autor

Jürgen Kaiser ist politischer Koordinator des Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung (j.kaiser@erlassjahr.de).

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2015


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