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FRIEDEN/0985: Leben und sterben von Gnaden Israels ... (SB)



Auch wenn der Bevölkerung des Gazastreifens nichts mehr zu wünschen ist, als daß die mörderischen israelischen Angriffe aufhören, sind die Bedingungen, unter denen dies geschieht, für die Zukunft der Palästinenser inakzeptabel. Das einseitige Vorgehen Israels bietet keine Gewähr dafür, daß ihnen das gleiche nicht noch einmal passiert oder gar schlimmeres droht. So konsequent es für die Regierung in Tel Aviv ist, einen vernichtenden Krieg, den sie willkürlich begonnen hat, ebenso willkürlich wieder zu beenden, so rational ist die Reaktion der angegriffenen Hamas, sich darauf nur unter Vorbehalten einzulassen.

Wie schon der einseitige Disengagement-Plan Ariel Sharons, der die Voraussetzung dafür schuf, daß aus Gaza ein Großlager wurde, das nach Belieben abgeschottet und beschossen werden kann, so hat Israel auch anschließend unilateral über das Leben der Palästinenser entschieden. Während Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zum Vasallen aufgebaut wurde, ohne daß dies den Palästinenser im Westjordanland irgendwelche Vorteile gebracht hätte, so wurde die demokratisch gewählte Hamas boykottiert und als terroristische Organisation zur Unperson erklärt. Seit die islamische Partei die palästinensische Regierung innehatte, hat man den Gazastreifen in zunehmendem Maße von der Außenwelt abgeschnitten, und die Lebensgrundlagen seiner Bevölkerung wurden dezimiert. Seit dem Scheitern von Camp David 2000, das keineswegs der Verweigerungshaltung Jassir Arafats geschuldet war, wie die Legende behauptet, lautet das Grunddogma der Politik Israels gegenüber den Palästinensern, daß man auf ihrer Seite keinen Verhandlungspartner habe.

Ein solcher scheint nur akzeptabel zu sein, wenn er so gut wie bedingungslos die in Tel Aviv und Washington gestellten Forderungen abzeichnet. Eine palästinensische Regierung, die wie die der Hamas den Vorschlag, einen langfristigen Waffenstillstand mit Israel abzuschließen, daran knüpft, daß Israel die Grenzen von 1967 inklusive Ost-Jerusalem und das Rückkehrrecht der Flüchtlinge respektiert, ist aus naheliegenden Gründen für keine israelische Regierung ein Verhandlungspartner. Sie kann daher nur, wie in den letzten drei Wochen vorexerziert, niedergemacht werden, und zwar unter Einbeziehung der Bevölkerung. Indem Israel alle Objekte und Personen, die mit der Hamas assoziiert werden können, zu legitimen Angriffszielen erklärte, führte es einen totalen Krieg, bei dem nicht umsonst international geschützte UN-Gebäude angegriffen und Zivilisten, die sich auf der Flucht befanden, gezielt beschossen wurden.

Die israelische Regierung greift unter einem Vorwand, der leicht zu entkräften ist, wenn man die Vorgeschichte diese Krieges minutiös auseinandernimmt und bis zum völkerrechtlichen Status der Besatzung zurückverfolgt, ein Territorium an und stürzt seine Bevölkerung in tiefste Not. Dann stellt sie die Angriffe ein, weil sie die Kriegsziele erreicht habe, behält sich aber vor, die einmarschierten Soldaten vor Ort zu lassen und bei jedem Angriff der anderen Seite erneut alle Register der Zerstörung zu ziehen. Hier von einem einseitigen Waffenstillstand zu sprechen ist ein Euphemismus, müßte ein solcher doch auch eingehalten werden, wenn militante Fraktionen oder Hamas-Kämpfer der unilateralen Vorgehensweise Israels nicht entsprechen. Zudem unterstellt die darin enthaltene Parität eine auch nur annähernd gleichgeartete Kampfkraft auf Seiten der Hamas, wovon keine Rede sein kann. Nur weil diese Propagandaformel in der EU und den USA wie ein Mantra rezitiert wird, kann Tel Aviv überhaupt mit diesem Vorgehen gegenüber der Staatengemeinschaft bestehen.

Wenn die Regierung Israels über eine staatenlose, ausgehungerte und in jeder Beziehung von äußerer Hilfe abhängige Bevölkerung mit der militärischen Überlegenheit einer kleinen Supermacht herfällt, weil sich deren Kämpfer herausgenommen haben, das ihnen zustehende Widerstandsrecht mit Nadelstichen von eher symbolischer Art wahrzunehmen, nachdem der Aggressor auf keine Offerte zu einer gütlichen Einigung eingegangen ist, dann negiert sie die andere Seite nicht nur als Verhandlungspartner, sondern in ihrer Menschlichkeit. Nachdem die israelischen Streitkräfte bekundetermaßen mit äußerster Gewalttätigkeit tätig geworden sind, entspricht die Einstellung der Angriffe unter Beibehaltung der Angriffsposition und -absicht etwa dem Nachlassen des Schmerzes bei der Folter, der jede weitere Mißhandlung um so unerträglicher macht.

So lange Israel nicht alle Palästinenser als Verhandlungspartner akzeptiert, wissen diese, daß sie ihr Leben von Gnaden Tel Avivs fristen. Wie alle anderen Menschen wollen auch die Palästinenser frei von der virulenten Bedrohung ihrer jederzeit möglichen Aushungerung und Vernichtung sein. Erleichterung über diesen Schritt Israels zu empfinden ist kontraindiziert, weil er den Keim zur Wiederholung des Massakers in sich birgt. Selbstverständlich wird die Hamas, sollte sie sich dem Waffenstillstand nicht anschließen oder, wie am 19. Dezember, die Nichteinhaltung israelischer Zusagen gewaltsam beantworten, mehr noch als zuvor als blindwütige terroristische Bande dargestellt werden, gegen die sich zu verteidigen Israel alles Recht habe. Wer den Palästinensern abverlangt, dabei zuzuschauen, wie ihnen schrittweise die Luft zum Atmen genommen wird, reproduziert ein weiteres Mal das dem Konflikt zugrundeliegende Gewaltverhältnis.

18. Januar 2009