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FRIEDEN/0991: Massive Zerstörung palästinensischer Lebensgrundlagen (SB)



Die Dezimierung landwirtschaftlicher Flächen der Palästinenser durch bauliche Maßnahmen oder militärische Zerstörung gehört seit jeher zu den Mitteln, mit denen die israelische Besatzungsmacht das Leben der Bevölkerung im Westjordanland und Gazastreifen erschwert. Das mutwillige Niederwalzen ganzer Olivenhaine oder Einebnen fruchtbarer Äcker durch die israelische Armee, das Abtrennen von Agrarflächen durch die Apartheidsmauer oder ihre Deklaration zu Sicherheitszonen verschlechtern die Möglichkeiten der Palästinenser, sich aus eigener Kraft zu ernähren. Die daraus resultierende Abhängigkeit von internationaler Hilfe wiederum versetzt die Besatzer in die Lage, durch deren Unterbindung erheblichen Überlebensdruck auf die Palästinenser auszuüben.

Insgesamt handelt es sich um eine strategische Form der sozialen Kriegführung, die den Vorteil hat, als solche kaum zum Gegenstand internationaler Proteste zu werden. Es ist weit unspektakulärer, die Lebensgrundlagen einer Bevölkerung zu vernichten, als sie, wie bei den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen, unter direkten Beschuß zu nehmen. Doch auch in diesem Rahmen kam es zu Maßnahmen, die offensichtlich das Ziel hatten, den Palästinensern das Leben so schwer zu machen, daß sie sich bedingungslos geschlagen geben oder gar das Land verlassen. In diesem Licht ist auch die Politik Israels und seiner Verbündeten, die Untertunnelung der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu verhindern, zu bewerten. Obwohl der Schmuggel von Waffen nur einen Bruchteil der auf diesem Weg transportierten Güter beträgt, hat die Zerstörung der Tunnel unter diesem Vorwand das Ergebnis, daß die Überlebensmöglichkeiten der Palästinenser weiter eingeschränkt werden.

Dieser Absicht lag offensichtlich auch der Beschuß des größten Lagerhauses der UN-Mission für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) in Gaza am letzten Tag des Krieges zugrunde. Laut UNRWA-Sprecher Christopher Gunness wandte sich UNRWA-Chef John Ging direkt nach dem Einschlag der ersten Granate an das israelische Verteidigungsministerium, wo man ihm zusicherte, den Beschuß der dort bekannten UN-Einrichtung einzustellen. Dennoch schlugen eine Stunde später noch drei Phosphorgranaten in das Lagerhaus ein und setzten es in Brand, so daß Hunderte Tonnen dringend benötiger Hilfsgüter vernichtet wurden. "Sie wollten uns endgültig zermürben und uns auch den letzten Glauben an ein humanes Weltgewissen rauben", so der UNRWA-Sprecher verbittert (NZZ Online, 30.01.2009).

Wie die britische Sonntagszeitung The Observer (01.02.2009) berichtet, wurden laut Angaben von UN-Organisationen und palästinensischer Behörden in dem dreiwöchigen Krieg zwischen 35 und 60 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Gazas vernichtet. Laut Christine van Nieuwenhuyse vom World Food Programme (WFP) könnten 60 Prozent des Landes im Norden des Gebiets, wo die Landwirtschaft am intensivsten betrieben wurde, auf längere Zeit für die Nahrungsmittelproduktion ausfallen. Während man früher Lebensmittel als Nahrungsergänzung an die Bewohner des Gazastreifens ausgegeben habe, müsse man sie nun mit vollständigen Rationen versorgen, weil die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln für die nächsten sechs bis acht Monate weitgehend ausfalle.

Laut dem für Gaza zuständigen Chef der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO), Ahmad Sourani, sind 13.000 Familien direkt davon betroffen, sich nicht mehr durch Land- und Viehwirtschaft oder Fischerei ernähren zu können. Ein Viertel der Palästinenser verdienen in der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt. Vor dem Krieg hätte man in Gaza die Hälfte der erforderlichen Nahrungsmittel produziert, nun sei nur noch ein Viertel möglich. Sourani erklärte gegenüber dem Observer zudem, daß die Sicherungsmaßnahmen der israelischen Armee, die früher nur einen 50 Meter breiten Streifen an der Grenze betrafen, nun die Bewirtschaftung der Felder zwischen 300 Meter und einem Kilometer vor den israelischen Grenzbefestigungen unmöglich mache. Dies sei "indirekte Konfiszierung durch Angst", so der UN-Funktionär, der befürchtet, daß die 30 Prozent des fruchtbarsten Lands im Gazastreifen vereinnahmenden Sicherheitszonen auf Dauer eingerichtet seien.

Generell sind die Zerstörungen aller für die agrarische Produktion wichtigen Faktoren wie Äcker, Brunnen, Wasserleitungen, Landmaschinen und Straßen durch den Einsatz von Bulldozern oder Beschuß mit Explosivmunition und Brandbomben aus weißem Phosphor so umfassend, daß das Überleben der palästinensischen Bevölkerung selbst bei Öffnung der Grenzen für Hilfsgüter langfristig in Frage gestellt ist. Begonnen wurde die Politik der Aushungerung bereits kurz nach dem Wahlsieg der Hamas. Damals kündigte der israelische Regierungsberater Dov Weissglas an, man werde den Palästinensern eine "Diät" auferlegen, die sie "um einiges dünner macht, aber an der sie nicht sterben". Die an einer Bevölkerung exekutierte Schlankheitskur, deren Jahreseinkommen 2005 pro Kopf 1327 Dollar betrug, während es in Israel bei 22.200 Dollar lag, wird allerdings nicht mit der Absicht vollzogen, die Menschen gesünder zu machen, sondern ihr Leben so oder so zu verkürzen.

4. Februar 2009