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FRIEDEN/1018: Homophobie in Israel - Schwule zwischen allen Stühlen (SB)



Mehr als 20.000 Demonstranten protestierten am Samstag auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv gegen die Schwulenfeindlichkeit der israelischen Gesellschaft, die in einem Mordanschlag auf einen Club für junge Schwulen und Lesben, Bar-Noah, eine Woche zuvor gipfelte. Der 24jährige Nir Katz und die 24jährige Liz Trobishi wurden von einem unbekannten Mann erschossen, 15 weitere Personen, die sich an einer Coming-out-Gruppe beteiligten, wurden zum Teil schwer verletzt.

Auf der gestrigen Demonstration war auch Israels Präsident Shimon Peres zugegen. Mit seiner Mahnung "Wir sind das Volk des Gebotes 'Du sollst nicht töten'" könnte er mit Regierungschef Benjamin Netanjahu, der den Anschlag von Tel Aviv mit der Aussage quittierte "Unser Land wurde auf dem Prinzip der Toleranz erbaut" in einen Wettbewerb der Verlogenheit treten. Nicht nur die Palästinenser in den besetzten Gebieten und in den Flüchtlingslagern der Nachbarstaaten, auch die Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit können ein Lied davon singen, wie wenig beide Behauptungen zutreffen.

Im Deutschlandfunk (09.08.2009) wurde ein Demonstrationsteilnehmer mit den Worten zitiert: "Es war ein Schock, denn es waren nicht Haß und Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis wie üblich, sondern etwas neues. Das ist ein Schock." Wer in Israel lesbisch oder schwul ist, hätte allen Anlaß dazu, sich zumindest mit säkularen Palästinensern als Opfer eines fundamentalistischen jüdischen Selbstverständnisses, dem Homosexualität so widernatürlich wie sein Anspruch auf ganz Palästina gottgegeben ist, solidarisch zu erklären. Die gegen Palästinenser gerichtete Feindseligkeit unterscheidet sich von der Homophobie führender Kreise des orthodoxen Judentums nur in der Wahl des Haßobjekts, nicht im rassistischen Charakter dieses Hasses.

Die der israelischen Gesellschaft hierzulande im Vergleich zu den arabischen Nachbarn zugutegehaltene Liberalität muß nicht weniger hart gegen seine Feinde verteidigt werden als etwa die Freiheit der LGBT-Community in den USA und die Sicherheit von Schwulen in muslimischen Gesellschaften. Der in Israel zwischen den Fürsprechern eines liberal-aufgeklärten Humanismus und den Verteidigern einer nationalkonservativen Trutzburg, in der sich religiös-orthodoxe Eiferer und zionistische Demagogen bestens ergänzen, tobende Kulturkampf ist eben kein isoliertes, allein auf die israelische Gesellschaft zu reduzierendes Geschehen.

Der Konflikt mit den Palästinensern hat die Brutalisierung der israelischen Gesellschaft erheblich vorangetrieben. Allein die Allgegenwart von Bewaffneten schafft ein Klima, in dem diskriminierte Minderheiten es nicht eben leicht haben, auf die Wahrung ihrer Rechte zu pochen. Daß die verfassungsrechtliche Entwicklung des israelischen Staates aufgrund seiner unklaren territorialen Grenzen, der praktizierten Diskriminierung der arabischen Bürger und des spezifisch jüdischen Anspruchs, den seine Begründer wie die amtierende Regierung auf ihn erheben, stagniert, kommt benachteiligten Minderheiten wie Homosexuellen oder äthiopischen Juden nicht zugute. Sie können sich nicht im gleichen Ausmaß wie Schwule und Nichtweiße in westlichen Gesellschaften auf das grundrechtliche Gleichheitsgebot und auf Antidiskriminierungsgesetze berufen, sind also ihren Feinden noch schutzloser ausgeliefert.

Von daher läge es nahe, wenn sich israelische Schwule und Lesben in besonderer Weise für die Rechte der Palästinenser stark machten und durch ihr Beispiel zudem die Liberalisierung arabischer Gesellschaften vorantrieben. Es liegt nicht zuletzt in der Verantwortung Israels, daß der säkulare Fortschritt in Gesellschaften mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung stagniert, ist das Erstarken des politischen Islam doch direkt mit der Schwächung aus dem Westen importierter Ideologien wie der des panarabischen Sozialismus verknüpft. Die Dominanz Israels, das heute kaum weiter entfernt sein könnte von der sozialistischen Agenda seiner Gründerzeit, und der USA, die linke arabische Regierungen stets bekämpften und dazu den Aufstieg islamistischer Kräfte aktiv beförderten, haben in ganz Nahost jene Kräfte nach oben gespült, denen die individuelle Freiheit der sexuellen Orientierung nicht nur Verstoß gegen die von ihnen propagierte Glaubensdoktrin, sondern auch Keim möglicher Emanzipationsbestrebungen und daher bekämpfenswert ist.

Wer die Befreiung von Lesben und Schwulen als ausschließliches Anliegen einer bürgerlichen Rechtskultur betrachtet, muß sich über Rückschläge durch Kräfte, die im Kernkonflikt kapitalistischer Gesellschaften und seiner imperialistischen Entuferung hegemonial sind, nicht wundern. Hier gilt es aufzuschließen zu einer Konfrontation mit Interessen, die ansonsten die Felder emanzipatorischer Kämpfe okkupieren und in ihr Gegenteil umwidmen, indem sie etwa behaupten, Kriege zur Befreiung von Frauen und Homosexuellen zu führen.

9. August 2009