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FRIEDEN/1097: Die Sache der Palästinenser in den Mühlen der Diplomatie (SB)



Wenn die vielbeschworene internationale Gemeinschaft, der das Schicksal der Palästinenser jahrzehntelang gleichgültig war, für eine kurze Frist gebannt deren Streben verfolgt, einen eigenen Staat auszurufen, ist Skepsis geboten. So entschieden das Vorhaben gegen alle Anfeindungen und Diskreditierungsversuche zu verteidigen ist, so kritisch gilt es zugleich die Frage aufzuwerfen, mit welchen Gefahren für die Sache des palästinensischen Volkes diese Strategie verbunden ist. Nicht die unverhohlen angedrohten Sanktionen sind es, welche den Widerstand gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Marginalisierung in seinem Kern bedrohen, sondern fehlgeleitete Hoffnungen auf die so lange entbehrte Unterstützung durch fremde Mächte. Zwar kann der Kampf der Palästinenser um eine menschenwürdige Existenz jede Solidarität gebrauchen, doch wird diese niemals die eigene Positionierung und Entschiedenheit ersetzen. Werden die Palästinenser seit mehr als 60 Jahren durch die israelische Suprematie und deren Rückendeckung in der westlichen Welt drangsaliert, so war ihr Verhängnis nie allein der offenkundige Feind. Nicht minder folgenschwer blieb der Verrat vermeintlicher Freunde und die Kollaboration in den eigenen Reihen, wenn im fließenden Übergang vom Treueschwur zum Meuchelmord das Brot gebrochen und hinterrücks der Dolch gezückt wurde.

So geschehen vor wenigen Tagen in der jordanischen Hauptstadt Amman, als sich der deutsche Außenminister Guido Westerwelle und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas vor laufenden Kameras freundlich lächelnd die Hände schüttelten. Abbas hatte zum Essen geladen, um beim Tischgespräch die Lage im Nahen Osten zu erörtern. Westerwelle wurde von einem Sprecher mit den Worten zitiert, man unterstütze das "Ziel eines lebensfähigen palästinensischen Staates". Allerdings seien die Palästinenser "gut beraten, Schritte zu vermeiden, die Fortschritte auf dem Weg zur Zwei-Staaten-Lösung erschwerten. Mit Blick auf eine mögliche palästinensische Befassung der Vereinten Nationen sei die entscheidende Frage, was diene dem Friedensprozess und was behindere ihn". Westerwelles palästinensischer Amtskollege Riad Malki übersetzte diese Aussage später im palästinensischen Rundfunk in Klartext: "Deutschlands Position ist wie die anderer europäischer Staaten nicht positiv". Westerwelle habe versucht, Abbas von seinem Vorhaben abzubringen. [1]

Natürlich war von der Bundesregierung nichts anderes zu erwarten, die im Schulterschluß mit Washington zu den engsten Verbündeten Israels zählt. Die von diesem Trio in vorderster Front erhobene Forderung, nur Friedensgespräche könnten tragfähige Lösungen herbeiführen, ist nachgerade absurd. Die Palästinenser werden seit mehr als 40 Jahren mit diesem Argument hingehalten, während Israel unterdessen im völkerrechtswidrig besetzten Westjordanland durch seine Siedlungspolitik systematisch Fakten schafft und damit die mögliche Lebensfähigkeit eines eigenen palästinensischen Staates untergräbt. Auf diese Weise wurden mit massiver staatlicher Förderung auf den 22 Prozent ihres ursprünglichen Territoriums, die den Palästinensern verblieben waren, einschließlich des arabischen Ostjerusalem fast 500.000 Israelis angesiedelt. Internationaler Protest und Entschließungen der UNO wurden von Israel durchweg ignoriert, ohne daß dies Konsequenzen nach sich gezogen hätte. [2]

Der Friedensprozeß geriet so zur Farce, ja schlimmer noch zur Falle für die Palästinenser, in der sie im Laufe der Jahre unablässig Positionen preisgaben, während Israel seine Übermacht perfektionierte und den Palästinenserstaat seiner Voraussetzungen beraubte. Nicht wenige Kritiker gehen längst davon aus, daß die Zweistaatenlösung, würde sie denn realisiert, auf ein Protektorat hinausliefe, das den israelischen Zugriff innovativ fortschriebe und für die Palästinenser unannehmbar wäre. Das dürfte auch dem deutschen Außenminister bewußt sein, der Mahmoud Abbas die Hand schüttelte, um ihn dann in eben jene Ecke zurückzudrängen, in der das Schicksal palästinensischer Interessen seit jeher besiegelt wird.

Bedenklich stimmt in diesem Zusammenhang die Frage, wie viele Hände Mahmoud Abbas noch schütteln will, bevor er endlich mit Art und Inhalt des Antrags bei den Vereinten Nationen Farbe bekennt. In Ramallah diskutierte man wochenlang die geeignete Vorgehensweise, da die Meinungen geteilt waren, ob man die USA vor den Kopf stoßen dürfe, wiewohl der Kongreß daraufhin die Hilfsgelder für die Autonomiebehörde einfrieren könnte. In Kairo verhandelten die arabischen Außenminister und Abbas mit EU-Außenministerin Ashton in der Hoffnung, die geschlossene Unterstützung der europäischen Staaten zu erhalten. Deren Außenminister drehten und wendeten die brisante Angelegenheit mit spitzen Fingern, was dem Auswärtigen Amt in Berlin zwischenzeitlich die Ausflucht gestattete: "Von deutscher Seite gibt es keine Festlegung, so lange nicht klar ist, was wann, wo und wie auf den Tisch gelegt wird." [3]

Der böse Verdacht, in den Mühlen internationaler Diplomatie würden derzeit palästinensische Interessen zum Staub der Unterwürfigkeit zermahlen, der nicht einmal dem leisesten Windhauch zu trotzen vermag, harrt seiner Entkräftung.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article13600324/Palaestina-koennte-ein-Staat-wie-der-Vatikan-werden.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/palaestinenser-wollen-un-vollmitglied-werden-warum-die-argumente-gegen-palaestina-kraftlos-sind-

[3] http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/palaestinensische_herausforderung_1.12500648.html

15. September 2011