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FRIEDEN/1107: Nagelprobe Grass - Ostermarschierer beziehen streitbare Position (SB)




Wenn die bundesdeutsche Konzernpresse der Friedensbewegung alle Jahre wieder genüßlich unter die Nase reibt, daß die Ostermärsche zu ihren Hochzeiten 1968 und 1983 Hunderttausende Demonstranten auf die Straße gebracht, in jüngerer Zeit hingegen geringen Zulauf verzeichnet hätten, harrt diese voreilige Grabrede ihrer Widerlegung. Mag die Phalanx der Kriegsparteien in der politischen Landschaft überwältigend anmuten und der bellizistische Furor im Namen von Demokratie und Menschenrechten den Diskurs okkupieren, so haben die diesjährigen Ostermarschierer doch mit bemerkenswerter Klarheit Position bezogen. Daß diese nicht mehrheitsfähig ist, steht außer Frage, was keineswegs zur Konsequenz haben muß, eine emanzipatorische Bewegung durch Verwässerung zugunsten der Mehrheitsmeinung überflüssig zu machen. Als Stachel im Fleisch saturierter ökonomischer Dominanz, politischer Hegemonie und neoimperialistischer Suprematie fällt einer streitbaren Antikriegsbewegung die Aufgabe zu, in der gesellschaftlichen Widerspruchslage Partei zu ergreifen und der medialen Gleichschaltung die Stirn zu bieten.

Deren Schulterschluß liegt auf der Hand, ließe sich doch gerade in Deutschland die Kehrtwende von Weltkriegsschuld und Reueschwüren zum Export des Guten in der Welt aus den hiesigen Waffenschmieden und der Feuerkraft in Bundeswehrhänden anders kaum einbleuen. Die Fortschritte sind in der Tat phänomenal: Deutschland ist zum drittgrößten Waffenexporteur hinter den USA und Rußland aufgestiegen und liefert in mehr als 80 Staaten todbringendes Gerät. Regime, die die eigene Bevölkerung unterdrücken, Bürgerkriegsparteien, Spannungsgebiete - heilig sind allenfalls die Profite der Rüstungskonzerne und deren Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Der zehneinhalbjährige Krieg in Afghanistan hat über 100.000 Menschen das Leben gekostet, seine Fortsetzung auch über 2014 hinaus ist längst beschlossene Sache.

Verheerende Kriegsfolgen im Irak und in Libyen, Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und den Iran, während mit jedem weiteren Besatzungsregime, Sanktionsdruck und Säbelrasseln unter deutscher Beteiligung die Normalisierung aggressivster Durchsetzung der Interessen westlicher Eliten voranschreitet. Flankiert von sozialrassistischen Kampagnen im Innern sortiert man die Welt nach überlebensrelevanten Minderheiten und entmenschlichten Mehrheiten, indem man letztere auf Grundlage überlegener Waffengewalt mit ökonomischen, politischen, administrativen und eben auch militärischen Zwangsmitteln ausplündert und ausgrenzt, verelendet und vernichtet.

Krieg mit Entschiedenheit abzulehnen heißt zugleich einem Frieden den Kampf anzusagen, der als alternierende Verlaufsform derselben Herrschaftsverhältnisse zivil dominierte Cluster schafft, indem er die Waffengänge auslagert. Daß dies nur befristet geschieht, unterstreicht die Militarisierung und Polizeistaatlichkeit einer Innenpolitik, die möglichen Hungerrevolten einer verelendeten Bevölkerung präventiv den Boden zu entziehen trachtet. Wer gegen den Krieg zu Felde zieht, wo immer er stattfinden mag, kann sich daher nicht mit ausgewogenen Appellen an die jeweiligen Konfliktparteien begnügen und damit die Augen vor den Kräfteverhältnissen und Interessenlagen verschließen.

Nachdem Günter Grass mit seinem Poem "Was gesagt werden muss" ins Wespennest gestochen und dafür heftigste Schelte geerntet hat, stand den Ostermarschierern unverhofft eine Nagelprobe ins Haus. Halbherzig zwischen Für und Wider zu lavieren, sich zu distanzieren oder gar selbst den Prügel gegen den Stein des Anstoßes zu schwingen wäre ein Leichtes gewesen und hätte der Friedensbewegung allseitiges Lob eingebracht - sie zugleich aber auch als wachsweich und irrelevant diskreditiert. Das Gegenteil war der Fall, hat doch der Bundesausschuß Friedensratschlag nicht nur Grass den Rücken gestärkt, sondern dessen Warnungen anhand der Faktenlage präzisiert. Wie es in einer Erklärung hieß, die der Sprecher des Bündnisses, Peter Strutynski, in Kassel vortrug, gebe es im Konflikt um das iranische Atomprogramm nicht den einen Schurken auf der einen und friedfertige Staaten auf der anderen Seite.

Daß Israel über 250 einsetzbare Atomsprengköpfe besitze, dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sei, keinerlei internationale Kontrollen über seine Atomanlagen zulasse und zudem offen einen möglichen "Präventivkrieg" gegen den Iran diskutiere, seien Tatsachen, die Grass auf seine Weise ins rechte Licht gerückt habe. Die Reaktion der israelischen Rechts-Regierung, den Literaturnobelpreisträger zur Persona non grata zu erklären, zeuge von derselben Geisteshaltung, mit der einst der israelische Atomphysiker Mordechai Vanunu wegen Hochverrats und Spionage zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er einer britischen Zeitung gegenüber enthüllt hatte, daß Israel Atomwaffen hergestellt habe. Nicht Günter Grass gehöre an den Pranger, sondern diejenigen Politikerinnen und Politiker, die weiterhin an der Eskalationsschraube im Nahen und Mittleren Osten drehten, indem sie den Iran mit Wirtschaftssanktionen immer mehr in die Enge trieben. Die logische Folge dieses Sanktionsregimes heiße Krieg. [1]

Es gebe kein Recht auf Präventivkriege und Erstschläge, betonte die bundesweite Informationsstelle Ostermarsch in Frankfurt am Main. Dies hätten viele Redner bei Ostermarsch-Kundgebungen betont. Die Friedensbewegung teile die Auffassung, daß die Nahost-Region umfassend demilitarisiert werden müsse. Was Grass angestoßen habe, könne nicht als antisemitisch unter den Teppich gekehrt werden, betonte der Sprecher der Informationsstelle, Willi van Ooyen. "Es war ein richtiges Wort von Grass." Zuvor waren bereits jüdische Friedensaktivisten aus Deutschland dem Nobelpreisträger beigesprungen. Die "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" hatte Grass "für seine aufrichtige Aussage in Bezug auf die Atompolitik Israels" gelobt. [2]

Die Friedensbewegung war gut beraten, in der eskalierenden Kontroverse Farbe zu bekennen, veranlaßte sie doch auch die Mainstreammedien, ihre Auffassungen in deren Berichterstattung zumindest in den Kernaussagen wiederzugeben und damit einer breiten Leserschaft zu Gehör zu bringen. Wollte man die auch von Grass angeprangerte mediale Gleichschaltung konterkarieren, war dies das Gebot der Stunde. Noch wichtiger dürfte indessen sein, daß sich die Bewegung gegen den Krieg damit über den Tag hinaus eine Position zu eigen gemacht hat, die ihrem Bestreben um so mehr Substanz und Glaubwürdigkeit verleiht.

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://www.ngo-online.de/2012/04/9/ostern-friedensbewegung/

[2]‍ ‍http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,826401,00.html

9.‍ ‍April 2012