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HEGEMONIE/1551: Pläne zur unumkehrbaren Entrechtung der Palästinenser (SB)



Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer einseitigen Parteinahme für Israel eine Position bezogen, hinter der ihr Außenminister Frank Walter Steinmeier nicht zurückstehen will. Er behauptet zwar, sich für einen Waffenstillstand zwischen Israel und den Palästinensern einzusetzen, ohne dem die Schuldfrage voranzustellen, tut jedoch eben dies, indem er die Wiederbewaffnung der Hamas als zu verhinderndes Übel darstellt:

"Ich verstehe jede öffentliche Empörung. Auch ich bin entsetzt über die Bilder, die wir sehen, aber als Außenminister kann ich es nicht bei Empörung belassen, sondern wir müssen für die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand arbeiten, und dazu gehört eben auch, daß wir Israel Angebote machen, wie wie einen Waffenstillstand herstellen, in denen nicht erneut Waffenschmuggel zu einer Wiederbewaffnung der Hamas führt."
(ZDF, 06.01.2009)

Steinmeier stellt damit inhaltlich die gleiche Bedingung, die US-Präsident George W. Bush formuliert hat, als er in seiner wöchentlichen Radioansprache am Samstag einen "Waffenstillstand von Bedeutung" verlangte, der die Hamas ein für alle Mal daran hindere, Raketen auf Israel abzuschießen. Als ob noch nicht genügend Menschen gestorben seien, rief Bush "alle dazu auf, Druck auf die Hamas auszuüben, damit diese sich vom Terror abwendet". Diese Position führte dazu, daß die USA am Sonntag eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die einen sofortigen Waffenstillstand verlangte, blockierte.

Auch wenn Steinmeier andere Worte wählt als der US-Präsident oder etwa der Geschäftsträger der US-Botschaft in Berlin, John Koening, der heute im Deutschlandfunk erklärte, daß die US-Regierung die Offensive der israelischen Streitkräfte begrüße, so läuft seine Position im Kern auf nichts anderes hinaus, als die offizielle militärische Zielsetzung Israels gutzuheißen und zu ihrer Verwirklichung beizutragen. Dies gilt auch für die Stellungnahme des Regierungssprechers Ulrich Wilhelm, der die Verantwortung für die israelischen Angriffe erneut der Hamas zuwies und erklärte, eine Waffenruhe sei nur möglich, wenn die Hamas damit aufhöre, Ziele in Israel zu beschießen und der Waffenschmuggel unterbunden werde (Focus.de, 06.01.2009). Die damit gestellte Bedingung, daß die Hamas vor Beginn einer Waffenruhe den Beschuß einstellen müsse, ist signifikant für die Einseitigkeit aller derzeit verhandelten Waffenstillstandspläne. Ausschließlich der unterlegenen Seite werden Vorleistungen abverlangt, gleichzeitig werden ihr keinerlei Sicherheitsgarantien oder auch nur die Zusage, die Totalblockade aufzuheben, gegeben.

Wenn jemand Sicherheitsgarantien notwendig hätte, dann sind es die Palästinenser, und gerade deshalb wird nicht einmal erwogen, ob dies Bestandteil eines Waffenstillstands sein könnte. Wenn Menschen in ihren existentiellen Belangen lebensbedrohlich behindert und eingeschränkt werden, dann sind es die Palästinenser, die seit zweieinhalb Jahren einem ökonomischen Embargo ausgesetzt sind, das seit Anfang November als Totalblockade des Gebiets verschärft wurde. Letzteres war der Grund, weshalb die Hamas den halbjährigen Waffenstillstand nicht erneuert hat, nun soll sie unter dem Druck der israelischen Angriffe auf die vollständige Kapitulation eingehen, ohne eine belastbare Zusage zu erhalten, daß es mit der hermetischen Abriegelung des Gazastreifen ein Ende hat.

Laut der israelischen Bildungsministerin Juli Tamir (Deutschlandfunk, 06.01.2008) stellt ihre Regierung die Bedingungen, daß der Raketenbeschuß auf den Süden Israels eingestellt wird, daß der Waffenschmuggel der Hamas unterbunden wird und daß Israel den im Gazastreifen gefangengehaltenen Soldaten Gilad Shalit zurückerhält. Dem entspricht die Arabische Liga mit einem Resolutionsentwurf, der die Überwachung der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten durch internationale Kräfte zwecks Unterbindung des Waffenschmuggels vorsieht. Der von der EU unterstützte ägyptische Präsident Hosni Mubarak will einen sofortigen befristeten Waffenstillstand erwirken, der als Gelegenheit zu Gesprächen zwischen Ägypten und Israel über die Sicherheit der Grenze zum Gazastreifen genutzt werden soll.

Bei derartigen Konsultationen hätte die Regierung des Gazastreifens bestenfalls Beobachterstatus. Wahrscheinlich jedoch legt es Israel auch dank des Zuspruchs, den seine Regierung von den Verbündeten erhält, darauf an, die Hamas so schwer zu treffen, daß sie nicht einmal mehr dafür in Frage kommt. Unter dem Vorwand, nicht genügend Sicherheitsgarantien zu erhalten, und unter Verweis auf die eingeleiteten humanitären Maßnahmen zur Versorgung der Bevölkerung könnten die Angriffe noch tage- oder gar wochenlang weitergeführt werden, bis schließlich ein einseitiger Waffenstillstand Israels die Voraussetzung für eine Neuordnung der politischen Verhältnisse im Gazastreifen schüfe.

Diese bestände entweder in einer Rückkehr der Fatah an die dortige Regierung, wozu die Partei des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas bereits Bereitschaft signalisiert hat. Denkbar wäre allerdings auch eine Protektoratslösung unter internationaler oder ägyptischer Verwaltung bei Aufrechterhaltung der israelischen Kontrolle über die Grenzen und den Luftraum des Gebiets. In jedem Fall soll dieser Krieg in eine Verbesserung der Ausgangslage der israelischen Besatzungspolitik münden, ohne daß der Bevölkerung des Gazastreifen irgendwelche Zugeständnisse gemacht werden.

Die sich bereits zuvor in der Einseitigkeit der an die Hamas gestellten Forderungen, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, auf jegliche Gewaltanwendung zu verzichten und die zwischen der PLO und Israel geschlossenen Verträge zu respektieren, ausdrückende Suprematie der Angreifer soll weiter ausgebaut werden, ohne daß es für die Rechte der Palästinenser eine Stimme gäbe, die nicht, wie es bei der Fatah zusehends der Fall ist, durch Israel oder dritte Parteien korrumpiert wäre. Die durch den israelischen Siedlerkolonialismus und das Insistieren auf den jüdischen Charakter des Staates Israel determinierte Unilateralität hat nach Camp David 2000 bereits zum Ausbruch der Zweiten Intifada und zur gewaltsamen Demontage Jassir Arafats und der palästinensischen Autonomie geführt. Nun soll sich die unverhandelbare Dominanz zionistischer Interessen für die Palästinenser auf noch niedrigerem Niveau reproduzieren, indem ihnen keine andere politische Repräsentanz als die einer Quislingregierung gelassen wird und sich an ihrem Leben unter dem Diktat fremder Mächte nichts ändern soll.

Indem die Hamas die ursprünglichen Forderungen der PLO nach vollständig souveräner Eigenstaatlichkeit in den Grenzen von 1967, nach Ost-Jerusalem als eigene Hauptstadt und nach Aufrechterhaltung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge als Bedingung für die Erklärung eines dauerhaften Waffenstillstands aktualisiert hat, wurde ihr als Sachwalterin genuiner palästinensischer Interessen Anfang 2006 die Regierungsverantwortung übertragen. Sie wurde trotz der Tatsache, daß es sich um eine islamistische Partei handelt, von einer der säkularsten arabischen Bevölkerungen gewählt, weil sie eine Glaubwürdigkeit besaß, die die heute im Westjordanland herrschende politische Konkurrenz eingebüßt hatte. Auch den letzten Versuch zu zerschlagen, die legitimen Ansprüche der Palästinenser auf Augenhöhe, sprich ohne jede Benachteiligung der Palästinenser durch die militärische Überlegenheit Israels und den politischen Einfluß seiner Verbündeten, mit der israelischen Regierung auszuhandeln, kann als zentrale Stoßrichtung der derzeitigen Aggression verstanden werden.

Den Waffenstillstand, um den man jetzt mit dem Pathos humanitärer Betroffenheit wirbt, haben führende Hamas-Politiker Israel schon mehrmals konträr zu ihrer vielzitierten Charta als Basis für eine friedliche Koexistenz angeboten. Dies erfolgte unter der Voraussetzung, daß die Palästinenser sich mit 22 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebiets begnügen, obwohl der UN-Teilungsplan von 1947 45 Prozent des Territoriums für eine Bevölkerung vorsah, auf dem über ihren Kopf hinweg ein sie konstitutiv ausschließender Staat gegründet werden sollte. Doch selbst das wäre zu viel gewesen, hätten Palästinenser, die nicht der Kontrolle durch die israelischen Streitkräfte unterlägen, doch in den Augen der israelischen Regierung ein inakzeptables Sicherheitsrisiko dargestellt und zudem jede weitere Expansion des Staatsgebiets Israels verhindert.

7. Januar 2009