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HEGEMONIE/1578: NATO soll globalen Einfluß der westlichen Welt sichern (SB)



Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum anstehenden NATO-Gipfel bot zwar wenig Neues, läßt in der Summe jedoch erkennen, daß die Außenpolitik der Bundesrepublik auch künftig zu einem Gutteil mit dem Mittel angedrohter und ausgeführter Kriegführung definiert werden soll. Merkels Forderung, die NATO bedürfe eines überarbeiteten strategischen Konzepts, um den "neuen Herausforderungen" angepaßt zu werden, ist weitgehend Konsens unter den Regierungen der NATO-Staaten. Ihre Erklärung, auf diese Weise der "operativen Realität" der NATO-Aktivitäten außerhalb des Bündnisgebiets gerecht zu werden und dabei insbesondere auf "Prävention" zu setzen, soll keineswegs bedeuten, daß damit die Vermeidung der Anwendung kriegerischer Gewalt gemeint ist.

Wenn die Kanzlerin Afghanistan als "wichtigste jetzige Bewährungsprobe für die NATO" bezeichnet, dann heißt das nicht, daß die Militärallianz am Hindukusch humanitäre Dienstleistungen anbieten soll, die zivile Organisationen besser verrichten können, sondern daß die NATO sich dort als machtvoller Akteur beweisen soll, der auf allen Terrains und unter allen Umständen handlungsfähig ist. Ihre Forderung, die NATO müsse in Afghanistan mehr mit anderen Organisationen zusammenarbeiten, um den Wiederaufbau zu gewährleisten, erweist sich durch das Bekenntnis, daß "unser grundsätzliches Ziel" darin bestehe, daß von Afghanistan "nicht wieder eine terroristische Bedrohung ausgehen" dürfe, als zweckdienliches Feigenblatt, hinter dem die Militarisierung ziviler Hilfe betrieben wird. Ein baldiger Abzug der Bundeswehr aus dem Land steht keinesfalls zur Disposition, was wiederum bedeutet, daß der Krieg an Intensität zunehmen wird.

Auch die von ihr genannte Bedrohung durch den Iran aktualisiert eine Entwicklung zum Schlimmeren, die nur scheinbar durch die angebliche Offerte des US-Präsidenten Barack Obama an die Bevölkerung des Landes aufgehalten wird. Merkels werbende Worte an die Adresse Rußlands, in diesem Fall mit der NATO zusammenzuarbeiten, während sie gleichzeitig die Beitrittsperspektive Georgiens und der Ukraine bestätigt, läßt erkennen, daß der Rahmen möglicher Zugeständnisse an die Führung in Moskau eng gesteckt ist. Zwar entspricht es durchaus der Staatsräson der Bundesrepublik, gute Beziehungen mit Rußland zu pflegen, wie die Kanzlerin zu beabsichtigen behauptet, doch dies soll offensichtlich nur zum Preis der Einbindung Rußlands in die strategische Isolation des Irans erfolgen.

Dementsprechend ist ihre Absage an eine globale Aufstellung der NATO nicht so spektakulär, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn Merkel betont, daß es Hauptaufgabe der Allianz bleibt, die Sicherheit ihrer Mitgliedstaaten zu gewährleisten, und sie bis auf weitere "europäische Demokratien" nicht mehr Mitglieder aufnehmen soll, dann spricht sie sich für eine Handlungsfähigkeit NATO aus, die gegen den Rest der Welt definiert ist. Anstelle einer "globalen NATO", die immer mehr in die Fläche ginge, so daß am Ende kein nennenswerter Gegner mehr übrig bliebe und die Allianz, wenn sie nicht vollständig zu einem supranationalen Repressionsorgan zur Beherrschung anstehender Verteilungskämpfe mutierte, in eine finale Existenzkrise getrieben würde, soll das Militärbündnis die Interessen der westlichen Welt als globaler Akteur gewaltsam untermauern.

Das kommt auch der Bedeutung der Bundesrepublik im Rahmen einer Allianz entgegen, deren Mitglieder im wesentlichen deckungsgleich mit den führenden Industriestaaten sind, die gegenüber dem Rest der Welt beanspruchen, keinerlei Beschränkungen beim weltweiten Zugriff auf Ressourcen aller Art auferlegt zu bekommen. Im beanspruchten Sinn operativ handhabbar sein kann ein Militärbündnis nur, wenn es über eine politisch, territorial und logistisch kohärente Struktur verfügt. Da die NATO auch für die EU immer mehr die Bedeutung eines militärischen Handlungsarms erhält, müssen ihre Zielsetzungen so weit wie möglich mit den nationalen Interessen ihrer Mitgliedstaaten übereinstimmen.

Merkels Eintreten für eine in den Grenzen des Bündnisgebiets und dem darüber hinausreichenden Aktionsradius klar umrissene NATO ist auch auf Rußland gemünzt, das die strategische Konzeption der Allianz als deren Mitglied auf völlig andere Füße stellte. Abgesehen davon, daß die russische Regierung nicht die Absicht hat, ihr Unabhängigkeit als Mitglied der Militärallianz einzuschränken, erfüllt Rußland als potentieller Gegner der NATO, als der das Land nach wie vor betrachtet wird, den nützlichen Zweck, den inneren Zusammenhalt der Allianz zu stärken, indem der Kreml je nach Lage der Dinge umworben oder angeprangert wird. Die Aufhebung potentieller Konflikte durch einen Ausgleich der Interessen und eine Angleichung der Waffenarsenale, die ansonsten als Zweck eines Bündnisses der kollektiven Sicherheit gilt, soll auf Rußland nicht anwendbar sein, weil die seitens der EU und USA gegenüber dem größten Flächenstaat der Welt verfolgten Absichten in einem solchen Rahmen nicht mehr zu realisieren wären. Zudem muß die EU befürchten, daß eine Integration Rußlands in die NATO zu Lasten des eigenen Einflusses gehen könnte, wäre langfristig doch eine Annäherung zwischen Moskau und Washington zum Zwecke der Eindämmung Chinas und - im NATO-internen Kräfteparallelogramm - der EU nicht auszuschließen.

Unterhalb der Schwelle einer Debatte, in der die Existenz der NATO grundsätzlich gutgeheißen wird, begab sich im Bundestag nur der Chef der Linkspartei, Oskar Lafontaine. Während sich Grüne und FDP mit Einwänden hervortaten, die gemeinsam hatten, daß sie die Unverzichtbarkeit der NATO bestätigten, und der SPD-Verteidigungsexperte Walter Kolbow sich mit der euphemistischen Vokabel einer "Präventionsgemeinschaft" NATO, der man einen "zivilen Arm" geben müsse, auf kriegstaugliche Weise friedenspolitisch gestimmt gab, verlangte Lafontaine die Auflösung dieses "Interventionsbündnisses" zugunsten einer Verteidigungsgemeinschaft, der auch Rußland angehören solle. Da er zudem den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan forderte, stärkte er den bisweilen aus den eigenen Reihen in Frage gestellten Ruf der Linken, eine glaubwürdige Adresse für Kriegsgegner zu sein.

26. März 2009