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HEGEMONIE/1583: Obama setzt auf Religion als machtpolitisches Mittel (SB)



Die Offerten des US-Präsidenten Barack Obama an die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens kranken daran, daß die Nutzung der Religion als Mittel der internationalen Politik von der Handschrift des Terrorkriegs gezeichnet ist. Indem er die Gelegenheit, vor dem Parlament eines Staates mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung aufzutreten, dazu nutzte, die Beiträge des Islams zur Zivilisation zu loben, ließ er eben jenen Paternalismus erkennen, der den Umgang der westlichen Welt mit den Staaten der Region seit jeher bestimmt. Hierzulande empfände man es zweifellos als Herabsetzung, wenn etwa der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad die zivilisatorischen Errungenschaften Europas lobte und damit signalisierte, daß er dies natürlich nur aus der höheren Warte einer noch älteren und entwickelteren Zivilisation tun könne.

Obamas Bekenntnis, die Vereinigten Staaten ständen nicht im Krieg mit "dem Islam" und würden dies auch in Zukunft nicht tun, dokumentiert ein tiefsitzendes rassistisches Mißtrauen gegenüber Bevölkerungen, die sich mehrheitlich zu dieser Religion bekennen. Außer islamischen Milizen in von US-Streitkräften besetzten Ländern und dem notorischen Osama bin Laden, der einst von den USA im Kampf gegen die sowjetfreundliche Regierung Afghanistans unterstützt wurde, behaupten weder Regierungen, die sich per Verfassung als islamisch definieren, noch säkulare Administrationen des Nahen und Mittleren Ostens, mit den USA im Krieg zu stehen. Fakt ist hingegen, daß US-amerikanische Truppen im Irak und in Afghanistan stationiert sind, ohne daß dies von der Mehrheit der Bevölkerungen gutgeheißen würde, daß Washington erheblichen geostrategischen Einfluß auf die Region ausübt und die israelische Besatzungspolitik politisch wie militärisch absichert.

Als Vertreter der sogenannten Freien Welt wäre Obama gut beraten, das Verhältnis der USA zu diesen Staaten nicht kulturalistisch zu definieren, sondern dem eigenen säkularen Selbstverständnis überall dort Gültigkeit zu verschaffen, wo es aufgrund des jeweiligen politischen Systems möglich ist. Alles andere läuft auf die Vereinnahmung seiner Adressaten unter einem Vorzeichen hinaus, mit dem hegemoniale Absichten zu Lasten politischer, ethnischer und religiöser Minderheiten durchgesetzt werden sollen.

Dementsprechend verfehlt ist es, von dem "muslimischen Nato-Verbündeten" oder der "islamischen Türkei" zu sprechen, wie es etwa die Wochenzeitung Zeit in diesem Zusammenhang bei zwei Gelegenheiten tat. Die Türkei ist eine laizistische Republik mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung, die sich zu rund 20 Prozent aus Aleviten zusammensetzt, von denen sich viele nicht als Muslime begreifen. Daß der türkische Staat ihnen dieses Etikett aufdrückt, ist Ergebnis der Politik, einen von ihm institutionell kontrollierten Islam als informelle Staatsreligion gegen Andersgläubige vor allem unter der kurdischen Bevölkerung, aber auch gegen Vertreter des politischen Islam und der Tradition der Sufis durchzusetzen.

Obamas Versuch, die Türkei wieder näher an die EU heranzuführen, ist Bestandteil der seit längerem von den USA und der EU verfolgten Strategie, den südöstlichen Eckpfeiler des NATO-Bündnisgebiets zu einem verläßlichen geopolitischen Akteur aufzubauen. Angesichts der tiefen sozialen Gräben, die die türkische Gesellschaft durchziehen, läuft der Versuch, sich mittels einer kulturalistisch gefärbten Ansprache bei den Eliten des Landes beliebt zu machen, auf die verschärfte Unterdrückung all jener hinaus, die nicht damit einverstanden sind, daß die Religion als Herrschaftsinstrument gegen Arbeiter, Arme und Kurden eingesetzt wird.

Wie dies in der Praxis funktioniert, hat Obama durch seine Vermittlung im Streit um die Wahl des neuen NATO-Generalsekretärs gezeigt. Indem er den Widerstand der türkischen Regierung gegen die Ernennung des dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen dadurch beschwichtigte, daß er diesem die Zusage abrang, die Legalität des in Dänemark ausgestrahlten kurdischen Senders Roj TV zu überprüfen, opfert er für Rasmussen die legitimen Interessen der in der EU wie der Türkei lebenden Kurden. Vor dem türkischen Parlament setzte er ebenfalls auf diese Karte, indem er die Angriffe der PKK auf die Türkei verurteilte, ohne gleichzeitig die Unterdrückung der Kurden in der Türkei und die Angriffe der türkischen Streitkräfte auf PKK-Stellungen im Nordirak zu erwähnen.

Indem er dieses Podium auch dazu nutzte, den Iran auf nicht minder paternalistische Weise zu rügen, als er "den Islam" zum Generalschlüssel Washingtons im Umgang mit den Staaten der Region erklärte, machte der US-Präsident unverhohlen deutlich, daß er sich der Türkei als eines Instruments der eigenen Hegemonialpolitik zu bedienen gedenkt, auch wenn sie dabei Schaden nehmen könnte. Die Vorbehalte, die viele Türken gegen die Außenpolitik der USA hegen, beruhen nicht auf religiösen Differenzen, sondern auf der rüden Interessenpolitik, mit der Washington die Vormachtstellung der USA in der Region sichert. Änderungen daran stellte Obama nicht in Aussicht. Er schlug zwar einen freundlicheren Ton an als sein Vorgänger George W. Bush, doch ein solcher Umgang ist selbstverständlich, wenn man von seinem Gesprächspartner etwas will.

8. April 2009