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HEGEMONIE/1609: Neokonservative fürchten um Deutungshoheit - Kampagne gegen Felicia Langer (SB)



Mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an die jüdische Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer ist Bundespräsident Horst Köhler ein Coup gelungen, über den er selbst inzwischen am allerwenigsten erfreut sein dürfte. "Verdienstkreuz für Israel-Gegnerin bringt Köhler in Bedrängnis" titelt Bild (23.07.2009), und sollte dieser Sachverhalt bis dahin nicht der Realität entsprochen haben, so tut er es spätestens dann, wenn es auf Deutschlands breitestem Boulevard behauptet wird. Wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland und das American Jewish Committee in New York gegen die Verleihung Protest einlegen und den Bundespräsidenten auffordern, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken, dann sollte es, so die Absicht der Betreiber dieser Kampagne, höchste Zeit sein, den Rückwärtsgang einzuschalten und sich real waltenden Machtverhältnissen zu beugen.

Schließlich hat auch die Regierung Israels ihrem Unmut über die Entscheidung Köhlers Ausdruck verliehen: "Langer hat über Jahre immer wieder Kräfte unterstützt, die Gewalt, Tod und Extremismus befürworten". Jedem, der ihr einen Orden verleihe, müßten "die Konsequenzen bewusst sein, wenn man Intoleranz und böse Absichten nachträglich legitimiert", so die Verlautbarung des Sprechers des Außenministeriums, Yigal Palmor (Tagesspiegel, 24.07.2009). Damit meldet sich eine Instanz zu Wort, die zu unterstützen laut Köhlers Parteikollegin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, deutsche Staatsräson ist. Sicherlich könnte man sich trefflich darüber streiten, ob nicht der Absender dieser dem Bundespräsidenten die Ermutigung sinistrer Kräfte unterstellenden Botschaft der eigentliche Experte für das Verbreiten von "Gewalt, Tod und Extremismus" ist, denkt man nur an den blutigen Überfall der israelischen Streitkräfte auf die Bewohner Gazas oder die israelischen Politikern nicht fremde Anwendung rassistischer Stereotypien auf Palästinenser im allgemeinen und deren politische Führer im besonderen.

Doch wo, wenn etwa der Zentralrats-Vizepräsident Dieter Graumann Langer als "militante und fanatische Israel-Hasserin" geißelt, schwerstes demagogisches Geschütz aufgefahren wird, da geht es nur um eins: Keineswegs auf das materielle Gewaltverhältnis, auf die konkrete Unterdrückung der Palästinenser durch den israelischen Siedlerkolonialismus und dessen Akzeptanz durch westliche Regierungen zu sprechen kommen. Langer nennt mit ihrem Kampf gegen die Entrechtung der Palästinenser, den sie nach jahrelanger Arbeit als Anwältin in Israel in der Bundesrepublik unbeirrt fortsetzt, Sachverhalte von einer empörenden Ungerechtigkeit beim Namen, die auf faktischer Ebene nicht gekontert werden können, weil sie, für sich genommen wie bemessen am universalen Anspruch der Menschenrechte, schlicht nicht zu leugnen sind. Dagegen ist nur ein Kraut gewachsen, die durch mediale und politische Hegemonie gedeckte Diffamierung aller Menschen, die sich durch ideologische Dispositionen nicht in ihrem humanen Urteilsvermögen irre machen lassen.

Von daher verbleibt der Streit um die Würdigung Langers auf der symbolischen Ebene, auf der er initiiert wurde, ihrer Auszeichnung durch den höchsten Repräsentanten eines Staates, dessen politische Führung diesen Ehrenakt eigentlich als schallende Ohrfeige hinsichtlich der von ihr geübten Unterstützung der damit kritisierten Politik empfinden müßte. Daß dies nicht der Fall ist, liegt unter anderem daran, daß die Verleihung von Bundesverdienstkreuzen zu den Routinetätigkeiten des deutschen Staatschefs gehört und darüber hinaus - man denke nur an die zahlreichen ehemaligen Nazis, die sich dieser Ehrung erfreuen durften - keine verbindliche politische Norm setzt. Die Verleihung hoher ziviler Orden für Verdienste um das Wohl von Staat und Gesellschaft ist Bestandteil jener Anerkennungspraxis, mit der die sozialen Widersprüche bürgerlicher Herrschaft gebrückt werden. Der nun von Unterstützern der israelischen Regierungspolitik entfachte Eklat belegt, daß in diesem Fall ein Konflikt aktualisiert wurde, der weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus zu den wichtigsten Schlachtfeldern gehört, auf denen um politische, kulturelle und ideologische Deutungshoheit gestritten wird.

Mit der Ordensvergabe an Felicia Langer wird die Vormachtstellung nicht nur bloßer Parteigänger der israelischen Regierung, sondern der Verfechter einer neokonservativen Gesellschaftsdoktrin und imperialistischen Außenpolitik in Frage gestellt. Es ist nicht trivial, wenn Henryk M. Broder auf Spiegel online (23.07.2009) Langer unter Gesinnungsverdacht stellt, indem er sich darüber echauffiert, daß "noch nie in der Geschichte der Bonner und der Berliner Republik (...) einem bekennenden Kommunisten beziehungsweise einer Kommunistin eine solche Ehre zuteil" wurde. Natürlich ist die frühere Mitgliedschaft Langers in der Kommunistischen Partei Israels in einem Land, in dem etwa der Chefredakteur der die israelische Regierungspolitik generell verteidigenden Tageszeitung Die Welt, Thomas Schmid, einst Mitglied im "Revolutionären Kampf" war und Arbeiter für die Revolution agitiert hat, ohne jede Bedeutung für ihre öffentliche Würdigung. Auch Broders Klage, Langer wuchere mit dem "Dreifachpfund (...) Jüdin, NS-Opfer, Antizionistin", trägt nicht zur Diskreditierung einer Frau bei, deren Vorwurf, das Vermächtnis der Holocaust-Opfer würde durch seine Inanspruchnahme für die israelische Besatzungspolitik mißbraucht, in ihrer Biografie verankert ist. Die Instrumentalisierung der Opfer genozidaler Gewalt zur Negation der legitimen Ansprüche von Menschen, die nicht zu den Tätern gehörten, ist ein legitimes Ziel der Kritik, auch wenn diese von Nichtjuden oder Deutschen ausgeht.

Genau dort, in der durch Kritiker Israels vermeintlich entwerteten Hypothek deutscher Schuld, setzt Broder in seinem mit "Feigenblatt des schlechten Gewissens" überschriebenen Beitrag auf Spiegel online den Hebel seines Raisonnements an:

"Und was hat die Botschafterin der Menschlichkeit in den letzten 20 Jahren, seit sie ihre Anwaltslizenz zurückgegeben hat, geleistet? Hat sie eine Suppenküche aufgebaut, Kriegswaisen bei sich aufgenommen oder alten Leuten im Krankenhaus vorgelesen? Sie hat ein paar Bücher geschrieben. Das tun viele. Sie wurde ausgezeichnet, weil sie "als eine massiv vom Holocaust Betroffene" eine volkstherapeutische Aufgabe erfüllt, indem sie den Deutschen hilft, über ihre Schuldgefühle gegenüber den Opfern des Holocaust hinwegzukommen. Gerade die Deutschen, die aus der Geschichte gelernt hätten, sagt Felicia Langer immer wieder, müssten die Israelis davor bewahren, die gleichen Fehler zu wiederholen. Bei der Mutation der Täter von gestern in die Bewährungshelfer von heute sind "Überlebende des Holocaust" als moralische Feigenblätter sehr willkommen."
(Spiegel online, 23.07.2009)

Mit der Unterstellung, Langer bediene unheilige Motive, blendet Broder auf einen Sachverhalt über, der mit der Relevanz ihrer Kritik an der israelischen Besatzungspolitik nichts zu tun hat. Zweifellos spielt die Exkulpation von nationaler Schuld durch einen einfachen Übertrag an die Adresse Israels bei nationalkonservativen Kräften eine Rolle, insbesondere wenn sie sich nicht explizit für die Palästinenser verwenden und mit der Diffamierung von Bevölkerungen, die wie die Serben Opfer eines spezifisch deutschen Revanchismus wurden, konform gehen. So können Verteidiger des Abendlands gegen die angebliche islamische Gefahr wie Broder manchen Israelkritikern, deren Wunsch nach nationaler Restauration keineswegs so weit geht, daß sie für die Legitimität der Hamas-Regierung einträten oder Kritik an der antiislamischen Stoßrichtung des Terrorkriegs übten, durchaus die Hand reichen.

Wie bedeutsam selbst das Verfassen einiger Bücher und Aktivitäten wie die Vortragsarbeit, mit der Langer über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern aufklärt, sein kann, beweist Broder, indem er ihr eine seiner berüchtigten Schmähschriften widmet. Die gegen Langer aufgefahrenen Geschütze verschießen keine Übungsmunition, sondern Granaten von durchaus zerstörerischer Wirkung, gerade weil sie mit Explosivstoffen gefüllt sind, die jede auf der Grundlage überprüfbarer Fakten und Argumente aufbauende Debatte sprengen sollen. Läßt man die Meinungsbeiträge und Pressekommentare der letzten Tage zu diesem Thema Revue passieren, dann wird zudem deutlich, daß die publizistische Feuerkraft, die von den Gegnern Langers ausgeht, zumindest quantitativ weit größer ist als die ihrer Verteidiger.

Wenn Meinungsführer wie der Kölner Publizist Ralph Giordano, der damit droht, sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben, wenn Langer das ihre behalten sollte, sich als mutige Verteidiger des Abendlands inszenieren, indem sie die in der Bundesrepublik angeblich herrschende "Duckmäuserei" gegenüber islamischen Fundamentalisten anprangern, dann hängen sie ihre Fahne in den Wind einer Aggression, die nicht von den Staaten mit mehrheitlicher islamischer Bevölkerung ausgeht. Das im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern exemplifizierte Gewaltverhältnis steht für eine Auseinandersetzung zwischen den westlichen Metropolengesellschaften und den Ländern des Südens, in der nicht nur, wie Giordano und Konsorten glauben machen, zivilisatorische Errungenschaften wie die Aufklärung und die westliche Moderne verteidigt werden sollen, sondern in der die Reproduktion der eigenen Privilegien und Überlebensperspektiven zu Lasten daran nicht teilhabender Bevölkerungen durchgesetzt werden soll.

Es ist eben kein Zufall, daß die lautstarken Kritiker Langers weitgehend identisch sind mit den Sachwaltern eines Neokonservativismus und Imperialismus, dem jedes emanzipatorische Anliegen fremd ist. Von daher sind es durchaus ganz unterschiedliche Gründe, die einen Herold der kapitalistischen Globalisierung wie den Bundespräsidenten dazu veranlaßt haben, Felicia Langer auszuzeichnen, und die Menschen, denen die Bezeichnung "Kommunist" kein Schmähwort ist, Partei für die verdiente Menschenrechtsaktivistin ergreifen lassen.

24. Juli 2009