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HEGEMONIE/1611: Menschenrechtskrieger im Aufwind - Warnung an iranische Regierung (SB)



Die Parteilichkeit, mit der sich die Bundesregierung hinter die iranische Opposition stellt, ist keineswegs das Ergebnis eines prinzipiellen Eintretens für die universalen Menschenrechte. Wiewohl die Forderung der Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul an die Adresse der iranischen Regierung, daß "Gewalt und Folter (...) beendet werden" müssen, ungeteilt zu unterschreiben ist, beweist sie schon mit der Behauptung, die demokratische Opposition im Iran sei "gewaltlos" und verdiene "unser aller Unterstützung" (Neues Deutschland, 27.07.2009), daß hier nicht mit gleichem Maß gemessen wird.

So gibt es durchaus Berichte über Gewalttaten, die zur Hochzeit der Proteste gegen die angeblich gefälschte Wahl von Demonstranten ausgingen. Auch wenn die gegen sie gerichteten Maßnahmen der iranischen Regierung weit überzogen sind, wäre das Eintreten der Bundesregierung für die Opfer staatlicher Repression erst glaubwürdig, wenn sie sich nicht im Rahmen der US-amerikanischen Geopolitik an der Diskreditierung Teherans und der Destabilisierung des Landes beteiligte. Regierungen, die unter dem Druck äußerer Kräfte stehen, welche ihre Ziele mit den Mitteln internationaler Isolation, ökonomischer Sanktion, geheimdienstlicher Subversion und propagandistischer Diffamierung verfolgen, neigen stets zu drastischen Unterdrückungsmaßnahmen. Sie befürchten, wie zahlreiche Beispiele der imperialistischen Globalpolitik Washingtons belegen, nicht zu Unrecht, durch fünfte Kolonnen unterwandert und durch von diesen initiierte Massenbewegungen gestürzt zu werden.

Auch wenn dies für die iranische Opposition nur zu einem gewissen Teil gelten mag, ist es doch allein Sache der Iraner, für mehr Demokratie in ihrem politischen System zu sorgen. Wie der immer offener ausgetragene Machtkampf unter den iranischen Eliten belegt, sind die Fronten keineswegs so klar gezogen, daß man aus deutscher Sicht von einer eindeutigen Polarisierung zwischen Autokratie und Gegenbewegung sprechen kann. Das vom obersten Rechtsgelehrten Ayatollah Ali Khamenei durchgesetzte Veto gegen den von Präsident Mahmud Ahmadinejad zu seinem Vizepräsident auserkorenen Rahim Mashaie etwa verweist auf den Konflikt zwischen einer jüngeren Generation von Veteranen des irakisch-iranischen Kriegs und der älteren, aus islamischen Klerikern bestehenden Gründergeneration der Islamischen Republik.

Bezeichnenderweise wollte Ahmadinejad mit Mashaie, der als Schwiegervater seines Sohnes familiär mit ihm verbunden ist, einen moderaten Politiker zum wichtigsten der zwölf Vizepräsidenten ernennen. Mashaie machte Anfang des Jahres Schlagzeilen, als er sich Israelis gegenüber auf freundschaftliche Weise äußerte, und hatte sich zuvor mit den orthodoxen Mullahs angelegt, als er bei zwei Gelegenheiten Veranstaltungen besuchte, bei denen Frauen eine Tanzaufführung abhielten und musizierten, was nach Ansicht der konservativen Kleriker gegen den Koran verstößt. Ahmadinejad hat sich nach heftiger Kritik zwar der Forderung Khameneis gebeugt, seinen ungeliebten Verwandten jedoch anschließend zum Chef seiner Präsidialverwaltung ernannt.

Wie sehr eine Oppositionsbewegung, die nicht nur bürgerlich liberale Ziele verficht und ein Demokratieverständnis auf ihre Fahnen geschrieben hat, das die kapitalistische Marktwirtschaft zur Voraussetzung hat, sondern die für die soziale Emanzipation der Armen und Schwachen eintritt, bei ihren Unterstützern in den USA und den EU unerwünscht ist, belegt die dort übliche Würdigung des Oligarchen, Politikers und Klerikers Akbar Hashemi Rafsanjani als graue Eminenz der Oppositionsbewegung und starker Mann eines neuen Iran. Der ehemalige iranische Präsident ist einer der reichsten Unternehmer des Landes und gilt als Realpolitiker mit prowestlicher Grundeinstellung. Rafsanjani hat sich in seiner Amtszeit als autoritär agierender Machtpolitiker hervorgetan und ist nach wie vor ein einflußreiches Mitglied der iranischen Theokratie.

Als der Unterstützer des Oppositionsführers Mir Hossein Moussavi beim Freitagsgebet am 17. Juli in Teheran offene Kritik an der Regierung Ahmadinejads, dem er bei der Präsidentschaftswahl 2005 unterlag, übte, erschollen auf dem Gelände der Universität Teherans unter den Anhängern Moussavis, die am Besuch der Veranstaltung gehindert wurden, lautstarke und langanhaltende Sprechchöre, in denen der "Tod Rußland" gefordert wurde. Dies kann, wie der US-Informationsdienst Stratfor.com (20.07.2009) analysiert, durchaus als Zeichen dafür genommen werden, daß es bei dem jetzigen Machtkampf auch um eine strategische Grundsatzentscheidung zwischen einer stärkeren Anbindung an den Westen oder an Rußland geht.

In einem geopolitischen Spannungsfeld, in dem dem Iran sein verbrieftes Recht auf die zivile Nutzung der Urananreicherung von einer Koalition atomar bewaffneter Staaten streitig gemacht wird, in dem er von einem israelischen Angriff auf seine Atomanlagen bedroht wird, in dem man in den USA das Verhängen schärferer Wirtschaftssanktionen gegen den Iran wie etwa die Blockade der Einfuhr von Benzin und anderer essentieller, von der Bevölkerung dringend benötigter Handelsgüter plant, in dem die US-Regierung laut über die Errichtung eines "Verteidigungsschirms" über den arabischen Golfanrainern nachdenkt und damit einen neuerlichen Aufmarsch eigener Streitkräfte in der Region meint, riskiert jede Oppositionsbewegung, die sich von diesen äußeren Bedrohungen nicht deutlich distanziert, als nämliche fünfte Kolonne korrumpiert zu werden.

Eine Bundesregierung, die zu Menschenrechtsverletzungen ihres Verbündeten Israel schweigt, die sich an der Boykottierung der demokratisch gewählten Hamas beteiligt und verheerende militärische Überfälle Israels auf Palästinenser und Libanesen unausgesprochen gutheißt, ist schwerlich als glaubwürdige Verfechterin demokratischer Menschenrechte zu bezeichnen. Sie steht nicht nur unter dem Verdacht, sich bei Interventionen in die Angelegenheiten anderer Staaten von eigennützigen Interessen leiten zu lassen. Eine solche Unterstützung in Anspruch zu nehmen bedeutet ebenfalls, sich in den Dienst von Kräften zu stellen, die ganz sicher nicht im Interesse der iranischen Bevölkerung handeln, sondern bestenfalls die Ziele prowestlicher Eliten befördern.

Wenn der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Gloser, dem Iran im Vorfeld eines EU-Außenministertreffens in Brüssel Konsequenzen für den Fall androht, daß die Repressalien gegen Oppositionelle weitergehen, dann fragt man sich im übrigen, wieso die Bundesregierung nicht schon längst, wie von der US-Regierung gefordert, Anstalten unternommen hat, den milliardenschweren Außenhandel deutscher Unternehmen mit dem Iran zu unterbinden. Das Beispiel belegt, daß auch hierzulande bei aller erklärten Einmütigkeit im Umgang mit dem Iran ganz unterschiedliche Interessen den Ton angeben.

Zweifellos ist Ahmadinejad kein Sozialrevolutionär, der die islamische Revolution als Projekt der Überwindung des Klassenwiderspruchs in der eigenen Gesellschaft versteht. Er ist aber auch nicht das fleischgewordene Böse, als daß er hierzulande überzeichnet wird, sondern nimmt im Konglomerat iranischer Funktionseliten und Kleriker Interessen wahr, von denen man nicht behaupten kann, daß es die der USA oder EU wären. Als Feindbild erfüllt er eine wichtige Funktion im Rahmen des geostrategischen Dispositivs westlicher Hegemonialinteressen, die sich dort wie hier in Form innerer Repression und antidemokratischer Praktiken auswirken.

27. Juli 2009