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HEGEMONIE/1616: Atomstreit - Der Iran wird systematisch ins Unrecht gesetzt (SB)



Im April hat US-Präsident Barack Obama dem Iran das Ultimatum gestellt, spätestens im September auf die Forderung der Sechsergruppe aus USA, Britannien, Frankreich, Deutschland, Rußland und China einzugehen, in Gespräche über die Beendigung der Urananreicherung einzutreten. Im Gegenzug werden wirtschaftliche Anreize in Aussicht gestellt. Im Unterschied zu der früheren Strategie, die aus Frankreich, Britannien und Deutschland bestehende E3-Gruppe mit dem Verhandlungsweg zu betrauen, während die USA und Israel mit Kriegsdrohungen Druck machten, hat Obama angekündigt, mit dem Iran ohne vorherige Einstellung der Urananreicherung zu reden.

Dies wurde allgemein als Abkehr von der konfrontativen Haltung der Bush-Regierung begrüßt, doch hat sich im Kern wenig geändert. Mit der ultimativen Androhung verschärfter Sanktionen für den Fall, daß der Iran die gesetzte Frist ungenutzt verstreichen läßt, wurde das Ergebnis etwaiger Verhandlungen vorweggenommen. Man geht lediglich geschickter vor, indem man den Eindruck erweckt, erst alle diplomatischen Mittel ausschöpfen zu wollen, bevor man zu Zwangsmaßnahmen greift.

Es war daher abzusehen, daß die Regierung in Teheran die Forderung, die die Sechsergruppe nach einem mit hochrangigen Diplomaten besetzten Treffen in Königstein im Taunus am 2. September erhoben hat, postwendend verwirft. Laut dem deutschen Teilnehmer der Runde, dem Politischen Direktor im Auswärtigen Amt Volker Stanzel, soll der Iran noch vor Beginn der UN-Generalversammlung Ende September positiv bestätigen, daß er auf das sogenannte Gesprächsangebot eingeht. Nur einen Tag darauf stellte der Botschafter des Iran bei der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien, Ali Asghar Soltanieh, klar, daß man über das zivile Atomprogramm des Landes ausschließlich mit der IAEA reden wolle. Gleichzeitig bekundete Soltanieh die grundsätzliche Bereitschaft seiner Regierung, über internationale Kooperation, Energiefragen und globale Abrüstung zu reden (DW-WORLD.DE, 03.09.2009).

Diese Position entspricht der allgemeinen Haltung der iranischen Regierung, die Übertragung der Atomfrage an den UN-Sicherheitsrat nicht zu akzeptieren. Teheran insistiert auf die alleinige Gültigkeit des Atomwaffensperrvertrags (NPT), laut dem das Land auch das Recht hat, zur zivilen Nutzung der Atomenergie Uran anzureichern. Der neuerliche Beginn der Urananreicherung im Januar 2006 war erfolgt, nachdem der Iran im November 2004 im Rahmen einer vertrauensbildenden Maßnahme die Arbeit der Zentrifugen freiwillig eingestellt hatte. Daher stellt die Wiederaufnahme ihres Betriebs keinen Bruch des NPT dar. Dies gilt auch für die Safeguards Agreements, eines freiwilligen Zusatzprotokolls zum NPT, das der Iran im Dezember 2003 unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert hat, wiewohl er sich bereiterklärte, darin enthaltene Maßnahmen wie unangekündigte Inspektionen der IAEA zu akzeptieren. Die Suspendierung der Urananreicherung wurde ausdrücklich als freiwilliges, rechtlich nicht bindendes Zugeständnis an die E3 vollzogen.

Als der Iran nach unbefriedigendem Verlauf der Verhandlungen mit den E3 die zur Urananreicherung fähigen Atomanlagen reaktivierte, behauptete die US-Regierung, das Land habe sich eines "materiellen Bruchs" der im NPT getroffenen Abmachungen schuldig gemacht. Obwohl dem Iran zum damaligen Zeitpunkt durch die IAEA keine militärische Variante seines Atomprogramms nachgewiesen werden konnte und das Kontrollregime des NPT funktionierte, unterstellte die Bush-Regierung Teheran eine Vertragsverletzung und bewirkte damit, daß die Angelegenheit dem UN-Sicherheitsrat übertragen wurde.

Dies beschloß der Gouverneursrat der IAEA im Februar 2006 mit mehrheitlicher Entscheidung, obwohl es sich bei den gescheiterten Verhandlungen zwischen dem Iran und den E3 um bilaterale Diplomatie handelte. Die IAEA ist lediglich verpflichtet, den UN-Sicherheitsrat bei Verstößen gegen die Kontrollauflagen des NPT oder Anzeichen für ein illegales militärisches Atomwaffenprogramm eines Unterzeichnerstaates zu informieren. Die Wiener UN-Behörde ist nicht dafür zuständig, diplomatische Vorgänge zu bewerten oder zu sanktionieren, in deren Rahmen es zu Zugeständnissen und deren Rücknahme kommt.

Während sich eine deutliche Mehrheit der internationalen Staatenwelt für das Recht des Irans auf unbeeinträchtigte Nutzung der Urananreicherung aussprach, wurde das Verhalten der IAEA von den USA und ihren Verbündeten nach Kräften politisiert. So wurde die Feststellung der UN-Agentur, man habe keine Hinweise auf ein militärisches Atomprogramm gefunden, stets durch die Angabe relativiert, daß man die Möglichkeit seiner Existenz auch nicht vollständig ausschließen könne. Mit der Übertragung der Angelegenheit an den UN-Sicherheitsrat überschritt die IAEA ganz offen ihre Befugnisse, was allerdings durch die mehrheitlich gegen Teheran eingestellten Mitglieder des Gouverneursrat gedeckt wurde. Das Vorgehen erinnerte stark an die Bezichtigungsstrategie der Bush-Regierung, die dem Irak anlastete, über geheime Waffenprogramme zu verfügen. Dabei wurde die Regierung in Bagdad in Umkehrung der Unschuldsvermutung genötigt, den Nachweis zu erbringen, daß dies nicht der Fall sei, was bekanntlich von den USA genutzt wurde, das Land vor Vollendung der Arbeit der UN-Waffeninspekteure zu überfallen.

Die von Obama im April erhobene Forderung, neben der Einstellung der Urananreicherung auch das NPT-Zusatzprotokoll zu ratifizieren, stellt einen völkerrechtswidrigen Eingriff in die inneren Angelegenheiten des Irans dar. Daran dürfte die Regierung in Teheran inzwischen gewohnt sein, versuchen die USA und ihre Verbündeten doch, alle möglichen Forderungen aus dem Hut zu zaubern, deren völkerrechtliche Grundlage in einem willkürlich erwirkten Sicherheitsratbeschluß liegt. Wie im Fall des Irak, der Opfer eines nachträglich von diesem UN-Gremium legalisierten Aggressionskriegs wurde, erweist sich auch hier, daß dessen völkerrechtliche Integrität der Dominanz der Vetomächte im Sicherheitsrat und deren Unterstützung durch einflußreiche Staaten wie die Bundesrepublik nicht gewachsen ist.

Die in westlichen Medien vorherrschende Darstellung, der Iran habe sich ins Unrecht gesetzt, weil er die Verhandlungen abgebrochen hat, trifft nicht zu. Zwischen den E3 und dem Iran wurden bilaterale Gespräche geführt, die endeten, weil die europäischen Verhandlungspartner nicht in der Lage waren, die vom Iran verlangten Sicherheitsgarantien zu liefern. Zu Beginn dieser diplomatischen Initiative erklärten die E3 im Namen der EU ausdrücklich, daß die Suspendierung der Urananreicherung, deren Beendigung Teheran zur Last gelegt wird, völlig freiwillig erfolgt und keine rechtliche Bindungskraft besitzt. Nach ihrem Scheitern erhoben die E3 ultimative Forderungen, deren Zustandekommen und Durchsetzungskraft ausschließlich ihrer globalpolitischen Dominanz geschuldet ist.

Die Beteiligung der Bundesregierung an diesem Aufmarsch und der daraus zu erwirtschaftenden Legitimation von Zwangsmaßnahmen, die schlimmstenfalls zum Krieg zwischen den NATO-Staaten und dem Iran führen können, wenn nicht zuvor die von der israelischen Regierung ausgestoßenen Drohungen wahrgemacht werden, finden in der hiesigen Berichterstattung kaum Beachtung. Kein Twitter-Gewitter von der Kriegsgefahr aufgeschreckter Bürger, keine Proteste gegen die Beugung des Völkerrechts zur Nötigung einer souveränen Regierung oder zur Ewirtschaftung eines Angriffsvorwands, keine Bedenken ob des Schicksals der iranischen Oppositionsbewegung, die durch diese Bedrohungslage in eine immer schwierigere Situation manövriert wird. Mit der Dämonisierung der iranischen Regierung wurde, wie im vergleichbaren Fall des Iraks, ganze Arbeit geleistet, so daß man guten Gewissens einen weiteren gerechten Krieg führen kann.

3. September 2009