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HEGEMONIE/1650: Brasilien lehnt weitere Iran-Sanktionen ab (SB)



Die brasilianische Regierung ist Hillary Clinton bei dem Versuch, die Reihen der Kumpanei gegen den Iran zu schließen, in die Parade gefahren. Beim Besuch in Brasília im Zuge ihrer Rundreise, die sie in dieser Woche in sechs lateinamerikanische Hauptstädte führt, drängte die US-Außenministerin in ihren Gesprächen vergebens auf eine Befürwortung neuer Sanktionen gegen Teheran. Brasilien hat gegenwärtig als nichtständiges Mitglied einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat und soll nach dem Willen Washingtons in eine geschlossene Front des Drucks auf die iranische Regierung eingebunden werden, wozu sich die Brasilianer jedoch nicht hergeben.

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem brasilianischen Amtskollegen Celso Amorim behauptete Clinton, auch Washington wolle wieder mit Teheran verhandeln. Dies sei jedoch erst nach der Verabschiedung neuer Sanktionen durch den UNO-Sicherheitsrat möglich. Hingegen bezeichnete Amorim Strafmaßnahmen als "kontraproduktiv", womit er das Ansinnen der US-Regierung im Schulterschluß mit Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zurückwies, nach dessen Worten es "nicht klug" sei, Teheran in eine Ecke zu drängen. Vielmehr müsse der Iran auf diplomatischem Wege wieder an den Verhandlungstisch gebracht werden.

Was wie eine nachrangige taktische Meinungsverschiedenheit anmuten mag, macht letzten Endes den entscheidenden Unterschied aus. Die USA und ihre Verbündeten wollen den Iran in die Knie zwingen und bereiten zu diesem Zweck einen Angriffskrieg vor, dessen Präludium gesteigerte Sanktionen sind. Sie wollen mit Teheran nicht ernsthaft verhandeln, da in solchen Gesprächen ein wie auch immer gearteter Kompromiß nicht auszuschließen ist, der die Strategie der Überwältigung durchkreuzen könnte. Wenngleich sich Washington die unanfechtbare Suprematie der Vereinigten Staaten auf die Fahne geschrieben hat und nicht einen Pfifferling auf die Meinung anderer Länder gibt, läßt sich der permanente "Antiterrorkrieg" doch nicht ohne Unterstützung der Verbündeten führen, die finanziell und militärisch für ihre Beteiligung als Akteure der neuen Weltordnung einstehen müssen. Dies nötigt die US-Regierung in gewissem Umfang zu einer Vorgehensweise, die ihre Aggression auf möglichst breite Füße stellt und den Eindruck erwecken soll, die sogenannte internationale Staatengemeinschaft verteidige sich im Konsens gegen einen unberechenbaren Außenseiter mit kriegstreiberischen Gelüsten.

Hingegen unterstützt Brasilien ebenso wie Bolivien und Venezuela die Haltung des Irans im Streit um sein Atomprogramm. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterstreicht das Recht aller Staaten auf die zivile Nutzung der Kernenergie und hat sich wiederholt gegen weitere Sanktionen in der Kontroverse um das iranische Programm zur Anreicherung von Uran gewendet. Er vertritt die Auffassung, daß die internationale Gemeinschaft im Bemühen um Frieden im Nahen Osten mit Teheran in Kontakt bleiben müsse und den Iran nicht isolieren dürfe. Auch mahnt er einen zivilen Umgangston mit Teheran an und fordert eine ausgewogene Lösung des Konflikts, die nicht auf eine Unterwerfung der iranischen Regierung hinauslaufen dürfe.

Brasilien, das gute Beziehungen zu den USA, Europa und Israel, aber auch dem Iran unterhält, beweist im Atomstreit der westlichen Mächte mit Teheran eine bemerkenswerte Eigenständigkeit. Präsident da Silva strebt eine Vermittlerrolle im Nahostkonflikt unter Einbeziehung der iranischen Regierung an, die das Engagement seines Landes in der internationalen Diplomatie beflügeln und den Traum vom Aufstieg zur Weltmacht, der längst über den Status einer Führungsrolle in Lateinamerika hinausgreift, ausgestalten soll. Wer eine Weltmacht werden wolle, müsse sich auch wie eine solche verhalten und die entsprechende Verantwortung übernehmen, hatte das US-Außenministerium im Vorfeld der Clinton-Reise den Zwang zur Kollaboration mit der Führungsmacht postuliert.

Der brasilianische Staatschef weiß sehr wohl, daß eine gewichtige Rolle in den internationalen Beziehungen nicht über eine konsequente Parteinahme für die jeweils schwächere Konfliktpartei zu erwirtschaften ist. Andererseits ist Brasilien aber auch nicht mit der Rolle eines Lakaien Washingtons gedient, der auf ewig als Vasall und Versorger der Pflicht nachkommt, den Tisch seines Herrn und Meisters zu füllen. Um sich einen Platz an dieser Tafel zu sichern, betreibt Brasilien daher eine diversifizierte Bündnispolitik, die das Land tendentiell der Hegemonie der Vereinigten Staaten entzieht und zugleich Bündnisse schmiedet, deren Gewicht sich die Führungsmächte auf Dauer nicht entziehen können.

Als aufstrebendes Schwellenland sieht sich Brasilien mit der Gewißheit konfrontiert, daß wirtschaftliche Stärke auf Sand gebaut ist, sofern sie nicht durch Militärmacht gestützt und abgesichert wird. Daher verfolgt die brasilianische Regierung auf Grundlage einer umfassenden strategischen Doktrin ein langangelegtes Rüstungsprogramm. Im Streit um die Nutzung der Nukleartechnologie prägte Präsident da Silva das Bild, daß sein Land nur über eine Schleuder verfüge und sich dennoch die Vorhaltungen anderer Staaten anhören müsse, die Kanonen besäßen. Zugleich unterstrich er, daß Brasilien keine Ambitionen habe, eine Atombombe zu bauen. Er verlange einen würdigen und differenzierten Umgang, da Brasilien schließlich kein Schurkenstaat sei und sein Atomprogramm ausschließlich zu friedlichen Zwecken betreibe.

In den Jahren der Militärdiktatur (1964 bis 1985) betrieben alle drei Teilstreitkräfte des Landes ihre eigene Atomwaffenforschung, wobei nur das Projekt der Marine halbwegs erfolgreich war. Letztlich scheiterten jedoch die Pläne, ein atomgetriebenes U-Boot zu bauen, an finanziellen und technischen Problemen. Nach dem Ende der Junta erklärten die alten Rivalen Brasilien und Argentinien gemeinsam die Entwicklung von Atomwaffen in ihren Ländern für beendet. Offenbar wurde jedoch das brasilianische Programm in gewissem Umfang heimlich weitergeführt, da man später Hinweise darauf fand.

Neben bedeutenden natürlichen Uranvorkommen verfügt Brasilien auch in dem rund 150 Kilometer nordwestlich von Rio de Janeiro gelegenen Resende über eine Anlage zur Urananreicherung. Da diese mindestens in Teilen von der Marine betrieben und kontrolliert wird, muß man davon ausgehen, daß sowohl zivile als auch militärische Anwendungen möglich sind. Brasilien hat 1997 den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, nicht jedoch die Zusatzvereinbarung, die Inspektionen des Werks in Resende zulassen würde. Darüber kam es im Herbst 2004 zu einer Kontroverse mit der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, die Zugang zu der Anlage verlangte, was die Marine unter Verweis auf die Geheimhaltung militärischer Einrichtungen verweigerte.

Nach zähen Verhandlungen kam es schließlich 2005 zu einem Abkommen, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren konnten. Brasilien erklärte sich zur Zusammenarbeit mit der IAEA bereit und bekam dafür eine Art Freibrief, der das Land einer ständigen und intensiven Kontrolle seiner kompletten Anlagen enthob. Man kann davon ausgehen, daß dabei hinter den Kulissen wesentlich mehr ausgehandelt wurde, als offiziell zur Sprache kam. Darauf deutete auch die ungewöhnliche Zurückhaltung der US-Regierung hin, die den Streit um die Urananreicherung im Falle Teherans bis zum Kriegsvorwand ausgebaut hat.

5. März 2010