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HEGEMONIE/1700: Vor fünf Jahren erlag Slobodan Milosevic dem humanitären Interventionismus (SB)



Einmal mehr steht die NATO vor einer militärischen Intervention, einmal mehr soll dieser Gewaltakt mit humanitären Argumenten bemäntelt werden. Fünf Jahre nach dem Tod des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic am 11. März 2006 im Scheveninger Gefängnis des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) baut man auf die Wirkmächtigkeit der damals unterstellten Schuldhaftigkeit dieses Politikers und bezieht sich positiv auf den Überfall der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien. Je größer die zeitliche Distanz zum damaligen Krieg, desto legitimer scheint seine Begründung gewesen zu sein. Die vielen anderslautenden Stimmen, die den völkerrechtswidrigen Waffengang und die Unterstellung seiner Unabdinglichkeit bestritten, sind verhallt, es regiert die Sprachregelung der Sieger.

Die Finale Eroberung Jugoslawiens gelang mithilfe des Sturzes Milosevics, anhand dessen die Willkür des militärisch durchgesetzten Demokratismus unverhohlen hervortrat. Nachdem die Belgrader Regierung 1999 einem Waffenstillstand zugestimmt hatte, dessen Absprachen ihrerseits vollständig, auf der Seite der NATO jedoch fast gar nicht eingehalten wurden, belagerte man das Land solange, bis Milosevic nach allen Regeln subversiver Kunst aus dem Amt vertrieben worden war. Dazu setzte man die jugoslawische Bevölkerung mit einer Strategie des Mangels so lange unter Druck, bis sich eine Mehrheit dazu bereit fand, mit Vojislav Kostunica den Kandidaten des Westens zu wählen.

Die Bundesrepublik Jugoslawien wurde im Rahmen des Balkan-Stabilitätspaktes großräumig isoliert, während die EU etwa mit dem Programm "Energie für Demokratie" wissen ließ, daß man von den Jugoslawen keine souveräne Entscheidung, sondern die Unterwerfung unter das Diktat der europäischen Wertegemeinschaft erwartete. Daß die Verhängung von Sanktionen über loyal zu Milosevic stehende Bürger bei Begünstigung oppositioneller Städte und Gemeinden in einem Staat, der so diktatorisch regiert worden wäre, wie die westlichen Medien behaupteten, gar nicht hätte gelingen können, ist nur eine der Ungereimtheiten des Regimewechsels in Belgrad im Herbst 2000, mit dem eine ganze Serie bunter Revolutionen in Osteuropa eröffnet wurde.

Zum finalen Sturz der Regierung Milosevic nutzten EU und USA nicht nur das Oppositionsbündnis DOS, sondern sie finanzierten die PR-Arbeit westlich orientierter NGOs und bildete mit der sogenannten Studentenorganisation Otpor eine fünfte Kolonne für Aktionen im öffentlichen Raum. Entscheidend für den Erfolg der DOS war die Tatsache, daß man der Bevölkerung mit Kostunica einen moderaten serbischen Nationalisten präsentierte, während der später offensichtlich von einem seiner Kollaborateure ermordete Zoran Djindjic im Hintergrund die Zügel in der Hand hielt. Djindjic war in Berlin und Washington äußerst beliebt, was ihm allerdings in seiner späteren Eigenschaft als Ministerpräsident kaum von Nutzen war, da der Westen die für den Sturz Milosevics versprochene Belohnung schuldig blieb und Djindjic immer unpopulärer wurde.

Mit der einseitigen Abtrennung des Kosovo im Februar 2008 wurde die Absicht der NATO, die eigene Hegemonie auf dem westlichen Balkan mit allen machtpolitischen Mitteln durchzusetzen, vollendet. Was blieb, war ein aus sich selbst heraus nicht lebensfähiger Kosovo und ein wirtschaftlich am Boden liegendes Serbien, dem durch Druck der NATO-Staaten ein seine Souveränität schmälerndes Zugeständnis nach dem anderen abgezwungen wurde. Auch die nach jugoslawischem Recht illegale Auslieferung Milosevics an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kam auf erpresserische Weise zustande. Um von der eigenen Willkür abzulenken und die Geschichte der Sieger vor ihrer Widerlegung zu schützen benötigte man einen Schuldspruch, dessen Erlangung sich jedoch weit schwieriger gestaltete, als der anfängliche Triumph um die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den angeblichen Oberschurken verhieß.

Letztendlich konnte die Schuldfrage nur über die Leiche Milosevics beantwortet werden. Sein Tod war für das ICTY keine Katastrophe, wie vielfach behauptet, sondern kam seinen Betreibern durchaus gelegen. Ihnen blieb nicht nur der Vorwurf erspart, die abgelehnte Aufnahme von Ermittlungen gegen die NATO durch die Verweigerung der vom ehemaligen jugoslawischen Präsidenten verlangten Vorladung jener Staats- und Regierungschefs, die die Verantwortung für den Krieg gegen sein Land tragen, zu komplettieren. Sie brauchten sich auch nicht das Schlußplädoyer anzuhören, mit dem der Angeklagte seine Strategie, die NATO-Staaten als wesentliche Akteure bei der Zerschlagung Jugoslawien vorzuführen, krönen wollte. Indem die damalige Chefanklägerin Carla Del Ponte den Eindruck erweckte, als habe Milosevic ihr mit seinem Tod persönlich eine Niederlage beigebracht, schützte sie Betroffenheit in eigener Sache vor, um vergessen zu machen, daß das Problem, ihn schuldig zu sprechen, ohne die blutige Handschrift der ihn richtenden Gewalt sichtbar werden zu lassen, kaum zu lösen war.

Das ICTY wurde vom UN-Sicherheitsrat 1993 unter Anmaßung einer Vollmacht ins Leben gerufen, die allein der UN-Vollversammlung zugestanden hätte. Von Anfang an stand das ad hoc-Tribunal unter Kuratel der USA, die einen großen Teil seiner Bemittelung beisteuerten und Einfluß auf seine personelle Besetzung nahmen. Die ehemalige Chefanklägerin Louise Arbour rühmte US-Außenministerin Madeleine Albright als "Mutter des Gerichts", während NATO-Sprecher James Shea die Militärallianz als "Freundin des Tribunals" bezeichnet. Er erklärte während des Jugoslawienkriegs am 16. Mai 1999:

"Die NATO-Staaten haben die Finanzen aufgebracht, um das Tribunal zu errichten, wir gehören zu den Hauptfinanciers und wollen natürlich eine zweite Kammer einrichten, so daß die Strafverfolgung beschleunigt werden kann. Ich kann ihnen versichern, daß wir und das Tribunal darin vollständig übereinstimmen. Wir wollen Kriegsverbrecher sehen, über die Recht gesprochen wird, und ich bin sicher, daß, wenn Richterin Arbour nach Kosovo geht und sich die Fakten anschaut, sie dann Personen jugoslawischer Nationalität anklagt."

Am 17. Mai 1999 antwortete Shea auf die Frage, ob die NATO bereit sei, sich selbst dem Urteil des ICTY zu unterwerfen, im Brustton moralischer Selbstgerechtigkeit:

"Wie Sie wissen, gäbe es ohne die NATO-Staaten keinen Internationalen Strafgerichtshof, noch gäbe es ein Internationales Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien, denn die NATO-Staaten stehen an vorderster Front derjenigen, die diese beiden Tribunale eingerichtet haben, die sie finanzieren und die ihre Aktivitäten auf täglicher Basis unterstützen. Wir sind die Vertreter, nicht die Verletzer internationalen Rechts."

Am 27. Mai 1999, während die Bomben der NATO auf Jugoslawien fielen, erhob Arbour gegen Milosevic und andere Mitglieder seiner Regierung Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Mitten in einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen sein Land wurde Milosevic, der sich seines Verfassungsauftrags gemäß nicht den Forderungen der NATO-Staaten unterworfen hatte, wesentliche Hoheitsrechte Jugoslawiens auf diese zu übertragen, als mutmaßlicher Kriegsverbrecher kriminalisiert. Das diente nicht nur der Rechtfertigung eines Aggressionskrieges, sondern machte den jugoslawischen Präsidenten als direkten Verhandlungsparter, dem die NATO-Regierungen womöglich Zugeständnisse hätten machen müssen, um den Krieg ohne eine verlustreiche Invasion zu beenden, inakzeptabel. Damit konnte die NATO Forderungen nach Einstellung der Angriffe ausweichen und den Krieg unter Erhalt ihres Machtanspruchs unter Einbeziehung Dritter beenden.

Tatsächlich wies die damals lediglich angebliche Verbrechen der jugoslawischen Regierung im Kosovo betreffende Anklage bis auf das sogenannte Massaker von Racak, bei dem es sich nach allem Anschein nach um einen mit Unterstützung des US-Emissärs William Walker Belgrad zugeschobenen Provokationsakt der kosovoalbanischen UCK handelte, hinsichtlich der unterstellten Vertreibung und Ermordung von Kosovo-Albanern keinen Punkt auf, der zeitlich vor Kriegsbeginn gelegen hätte. Damit war das Hauptargument für den Angriff der NATO widerlegt, ohne daß dies irgendwelche Konsequenzen für die Angreifer gehabt hätte.

Der ehemalige Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien sollte maßgeblich für das blutige Ende der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien verantwortlich sein. Das behaupteten die Regierungen der NATO- Staaten nicht nur, weil sie zwischen den jugoslawischen Republiken und Ethnien nach dem Prinzip des Teilens und Herrschens Konflikte schüren. Die Politik der schnellen Anerkennung der sezessionistischen Republiken Slowenien und Kroatien, die Bevorzugung der bosnischen Muslime und Kroaten bei gleichzeitiger Dämonisierung der Serben, die zu schwächen Voraussetzung war für die vollständige Zerschlagung des einstigen sozialistischen Vorzeigestaates, und die Parteinahme in einem innerstaatlichen Konflikt, in dem separatistische Kräfte unter den Albanern die Belgrader Zentralregierung mit Unterstützung insbesondere durch die USA und Deutschland herausforderten, hat auch nachträglich erheblichen Legitimationsbedarf für diesen Akt europäischer Neuordnung geschaffen. Zweifellos waren alle Seiten in den jugoslawischen Sezessionskriegen in schwerwiegende Grausamkeiten verstrickt. Die NATO-Staaten jedoch wollten die Situation für ihre geostrategischen Ziele nutzen, und das funktionierte am besten in der altbewährten kolonialistischen Manier, die zu unterwerfenden Bevölkerungen das Geschäft fremder Interessen verrichten zu lassen.

Milosevic hat vier Jahre lang vor ICTY bewiesen, daß die Wahrheit nach Lesart der Sieger keinen Bestand haben kann, solange er seine Stimme erhob. Seine vom Den Haager Tribunal nach Kräften unterminierte Verteidigung in eigener Sache führte dazu, daß er den Spieß umdrehte und die mit großem Aplomb als Prozeß des Jahrhunderts anberaumte Bezichtigung seiner Person, mit der alle Menschen ins Unrecht gesetzt werden sollten, die am Gedanken eines sozial gerechten Vielvölkerstaates festhielten und diesen auch gegen nationalistischen Separatismus und imperialistische Vereinnahmung verteidigten, aus den Schlagzeilen vertrieb. Als die Fassade dieser legalistischen Bemäntelung schon kurz nach Eröffnung des vermeintlichen Jahrhundertprozesses zu bröckeln begann, glänzte der vermeintliche Triumph internationaler Rechtsprechung in der politischen Berichterstattung schnell durch Abwesenheit.

Milosevic stand in seiner Prozeßführung mit einem kleinen Kreis von Unterstützern, die nicht selten von ihren Regierungen schikaniert wurden, einem mit umfangreichen Finanzmitteln ausgestatteten Apparat gegenüber, der enge Kontakte mit den Geheimdiensten der NATO-Staaten unterhält und Exekutivbefugnisse gegenüber Regierungen besitzt, die seiner Jurisdiktion unterstellt sind. Im Gerichtssaal wurde Milosevic häufig gerade dann, wenn seine eloquenten Ausführungen am Kern der Siegerjustiz rührten, das Mikrofon unter dem Vorwand abgedreht, er dürfe keine politischen Ausführungen machen. Die Abrechnung eines Aggressors mit einem Kriegsverlierer ist stets ein politischer Vorgang, um so entschiedener muß jegliche Politisierung durch den Angeklagten verhindert werden.

Da man Milosevic trotz dessen Zusicherung, den Prozeß auf jeden Fall zuende zu führen, verweigerte, sich in spezielle ärztliche Behandlung nach Moskau zu begeben, wo auch seine Frau Mira Markovic und sein Bruder Boris Milosevic leben, hat das ICTY zumindest verhindert, daß er optimale medizinische Behandlung erhielt und die krankmachenden Bedingungen seiner Inhaftierung zumindest vorübergehend verlassen konnte. Wie auch immer der ehemalige jugoslawische Präsident ums Leben kam, in seinem Schicksal spiegelt sich die gewaltsame Bekämpfung aller Ansätze, in Europa Formen einer Staatlichkeit zu erhalten, die mit der Ordnung des neoliberalen Kapitalismus nicht in jeder Beziehung konform gehen. Das aus dem Sieg über Hitlerdeutschland hervorgegangene Jugoslawien Titos, das sich erfolgreich gegen die Vormacht der Sowjetunion behauptete, eine Art dritten Weg zwischen den konkurrierenden Machtblöcken des Kalten Krieges einschlug und eine der führenden Mitglieder der Blockfreienbewegung war, fand in dem Nachfolgestaat Milosevics zwar nurmehr den Schatten seines sozialistischen Anspruchs, doch dieser reichte aus, um den Anspruch der EU und des transnationalen Kapitals auf ein Europa der neoliberalen Marktwirtschaft in Frage zu stellen. Die Person Milosevic steht auch heute noch bei all ihrer Widersprüchlichkeit für die Widerlegung des angeblich wohlwollenden Charakters westlichen Hegemonialstrebens und für das Entwicklungpotential, das Jugoslawien zumindest als Idee für eine menschenfreundlichere Alternative zum Europa des Kapitals verkörperte.

11. März 2011