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HEGEMONIE/1706: Libyenkrieg - EU unterstreicht regionalen Vormachtanspruch (SB)



Nun hat alles wieder seine Ordnung. Mit der Ankündigung Außenministers Guido Westerwelle, die Bundesrepublik werde sich auf Anfrage der Vereinten Nationen an einer humanitären Hilfsaktion in Libyen beteiligen, und der Präzisierung des Verteidigungsministeriums, dies würde die Anwesenheit deutscher Soldaten bedeuten, hat sich der vielbeklagte deutsche Sonderweg als das herausgestellt, was er von Anfang an war - ein taktischer Winkelzug im Dispositiv kriegerischer Ordnungspolitik der EU. In der Rückschau erweist sich das Manöver der Bundeskanzlerin und ihres Außenministers als nachgerade ideal hinsichtlich des unpopulären Charakters deutscher Kriegsbeteiligungen in der Bevölkerung und der aggressiven Forderungen neokonservativer Eliten, den deutschen Imperialismus nicht zu vernachlässigen. Einer eventuell aufkommenden Opposition gegen den Krieg wurde mit der Zurückhaltung im UN-Sicherheitsrat die Spitze genommen, und die zahlreichen Bellizisten in Politik und Medien können voller Genugtuung feststellen, daß ein Umweg zur deutschen Kriegsbeteiligung nicht verkehrt sein kann, wenn man ihn denn wirklich geht.

Zudem hat die Bundesregierung mit ihrer abwartenden Haltung gegenüber dem Vorpreschen der alten Kolonialmächte Frankreich und Britannien sichergestellt, daß sie bei einem sich quälend hinziehenden Blutbad nicht an erster Stelle bezichtigt werden wird, dafür verantwortlich zu sein. Nach den keineswegs beendeten Kriegen in Afghanistan und Irak einen dritten Feldzug vom Zaun zu brechen vermag unter den betroffenen Bevölkerungen nur wenig Zuspruch erzeugen, selbst wenn sie mit der Politik Muammar al-Gaddafis nicht einverstanden sein sollten. Der spezifische Charakter des Luftkriegs als moderne Form klassischer kolonialistischer Kanonenbootpolitik sorgt schnell für bittere Empörung und vor allem für breite Solidarisierung unter Menschen, die auf diese oder jene Weise bereits mit der mörderischen Rücksichtslosigkeit sogenannter Luftschläge Bekanntschaft gemacht haben. Der demgegenüber moderate Kriegskurs der Bundesregierung ist keineswegs einer nichtvorhandenen Bereitschaft geschuldet, das Leben deutscher Soldaten aufs Spiel zu setzen. Es ist schlicht eine Form der politischen Schadensbegrenzung auf der Höhe eines Imperialismus, dessen aggressivste Exponenten auch die massivsten Folgen an Feindseligkeit und Vergeltung in Kauf nehmen müssen.

Im Grundsatz einig sind sich die europäischen Führungsmächte über die Erfordernis eines Regimewechsels, der die unvollständige Unterwerfung Libyens unter die Hegemonialinteressen der EU mit einem pflegeleichteren Vasallenregime vollendet, für das Gaddafi bei aller Bereitschaft, sich zu arrangieren, nicht zu haben ist. Ein Gesellschaftsentwurf, der die Ölrente im Vergleich zu anderen Ländern der Region auf eine Weise sozialisiert, die relative Zustimmung selbst zum autoritären Charakter dieses Staates schafft, ist auf Dauer nicht dazu geeignet, die ökonomischen und administrativen Interessen der EU-Staaten zu befördern. Wenn die Libyer die reichlich vorhandenen fossilen Energieträger wie ihr großes Trinkwasserreservoir für die eigene gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung nutzbar machen, dann wollen die Abnehmer mehr Einfluß darauf nehmen, als es Kunden normalerweise zusteht, eben weil sie sich nicht als bloße Handelspartner, sondern Hegemonialmächte verstehen.

Die Einmischung in einen inneren Konflikt, der auf der Seite der Rebellen nicht zuletzt vom Anspruch auf erweiterte Teilhaberschaft an der Ressourcenrendite geprägt ist, erfolgt zum Schutz der Zivilbevölkerung nur im Sinne eines Verkaufsarguments. So werden die Anhänger Gaddafis zu menschlichen Schutzschilden degradiert, für deren Tod die NATO nicht verantwortlich sein wird, weil sie die libyschen Regierungstruppen schon im Vorweg beschuldigt. Die Rebellen können trotz einer weitgehend unbekannten Agenda ihres Kampfes militärische Schützenhilfe von der NATO erwarten und auch erhalten. Damit ist die NATO Kriegspartei, wie auch die Überschreitung des UN-Mandats durch die aggressiven Luftangriffe zeigt, die angeblich der Einrichtung einer Flugverbotszone geschuldet waren. Die Gaddafi unterstellte Absicht, einen Genozid an der eigenen Bevölkerung begehen zu wollen, ist bislang nicht verifiziert und legitimierte daher bestenfalls präventive Maßnahmen. Daß die NATO-Staaten derweil Hunderte von Kriegsflüchtlingen im Mittelmeer ertrinken lassen, es nicht für nötig befinden, angemessene Vorkehrungen für ihre Unterbringung und Versorgung zu treffen, und nichts dagegen unternehmen, daß schwarzafrikanische MigrantInnen in Libyen von allen Seiten schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, entwertet ihren moralischen Kriegsvorwand zusätzlich.

Der Europäische Rat artikulierte bereits im Juni 2004 in einem Beschluß zur "Strategischen Partnerschaft der EU mit dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten", daß es ihm in Nordafrika um mehr als die Sicherstellung europäischer Verwertungsinteressen geht. Der damalige deutsche Außenminister Joseph Fischer spitzte die vorrangige Bedeutung der Region für die Bundesrepublik in einer außenpolitischen Grundsatzrede vor dem Deutschen Bundestag am 8. September 2004 mit den Worten zu, die Sicherheit der EU werde künftig "im Mittelmeerraum und im Nahen und Mittleren Osten definiert (...), dort, wo die neue totalitäre Herausforderung entstanden ist und wo die Modernisierungsblockaden existieren." Nicolas Sarkozy fühlte sich als Präsident einer die Region jahrzehntelang im Griff des europäischen Kolonialismus haltenden Staates bei einer Rede in Marokko dazu bemüßigt, den eigenen Nutzungsanspruch um so pathetischer zu postulieren:

"Über das Mittelmeer wird Europa seiner Stimme wieder Gehör verschaffen. (...) Über das Mittelmeer werden Europa und Afrika gemeinsam das Schicksal der Welt und den Kurs der Globalisierung bestimmen. Über das Mittelmeer werden Europa und Afrika dem Orient die Hand reichen. Denn, wenn die Zukunft Europas im Süden liegt, dann liegt die Zukunft Afrikas im Norden. Ich rufe alle, die dazu imstande sind, auf, sich für das Projekt Mittelmeerunion zu engagieren, denn sie wird die Grundlage Eurafrikas sein, dieses großen Traums, der die Welt verändern kann."
(Regierungsdokument, 25.10.2007, aus Gegenstandpunkt 1-08)

Daß es sich bei Europa und Afrika um zwei höchst ungleiche Partner handelt, konnte auch durch seinen gescheiterten Plan, der Union für das Mittelmeer gemeinsam mit dem damaligen äyptischen Präsidenten Hosni Mubarak vorzusitzen, nicht übertüncht werden. Die Integration der Mittelmeerunion in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU erfolgte schließlich unter maßgeblicher Einflußnahme der Bundesregierung, worauf Sarkozy, der sich erhofft hatte, das Nachbarschaftsprojekt unter französische Regie zu stellen, mit einer Annäherung an die britische Regierung reagierte. Die Proklamation einer "neuen französisch-britischen Brüderlichkeit" bei einem Staatsbesuch Sarkozys in London im März 2008 und die dabei gemachte Erklärung, er wolle Frankreichs Europapolitik nicht länger "auf die Freundschaft mit Deutschland reduzieren", setzt sich im militärischen Vorpreschen Frankreichs und Britanniens fort. Die vermeintliche Zurücksetzung Deutschlands im Rahmen der innereuropäischen Konkurrenz war denn auch maßgeblicher Anlaß für den expliziten Ärger deutscher Politiker und Journalisten über die bislang nicht erfolgte Kriegsteilnahme der Bundeswehr.

Um so konsequenter soll dieser Krieg nun zu einem Ende geführt werden, der die Schlagkraft der EU als imperialistischer Akteur trotz innerer Rivalitäten unter Beweis stellt. Dies erfolgt in klarer Abgrenzung zu den USA, deren 2004 ins Leben gerufene, Tod und Zerstörung statt Freiheit und Wohlstand produzierende Greater Middle East Initiative Anstoß zur Wiederbelebung der 1995 initiierten Euro-Mediterranen Partnerschaft in Form der Union für das Mittelmeer gegeben hatte. Wie dessen partnerschaftliches Element bei seinen südlichen Anrainern verstanden werden soll, hat Sarkozy mit der unverhohlenen Drohung zu verstehen gegeben, anderen Staaten der Region, die das Definitions- und Gewaltmonopol der EU in Frage stellen, werde es wie Libyen ergehen.

Zentraler Anlaß dafür, Libyen erst jetzt mit Krieg zu überziehen, obwohl es schon zuvor Interventionsvorwände gab, sind die sozialen Revolten in Westasien und Nordafrika. Die überfällige Beseitigung eines potentiellen Störenfrieds durch einen Regimewechsel in Tripolis soll den wichtigeren Ertrag erbringen, die NATO-Staaten als Ordnungsmächte, die die politischen und ökonomischen Bedingungen dieser Transformation bestimmen, ins Spiel zu bringen. Indem sie zu massiver militärischer Gewalt greifen und gleichzeitig behaupten, dies diene der Etablierung von Freiheit und Demokratie, statuieren sie ein Exempel ihres Monopolanspruchs, an dem man auch in Tunesien und Ägypten nicht vorbeikommen soll. Bei der eher subkutanen Beteiligung der Bundesrepublik an diesem Übergriff muß es auch deshalb nicht bleiben, weil in der Region mehrere Brandherde darauf warten, von den neokonservativen EU-Eliten zwecks Bestätigung ihres Vormachtanspruchs entzündet zu werden.

10. April 2011