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HEGEMONIE/1719: Nachhilfe in deutsch-amerikanischer Freundschaft (SB)



Es wäre nicht das erste Mal, daß ein deutscher Politiker in Washington der Suprematie der Führungsmacht verfallen ist und nach seiner Rückkehr in die Heimat der hiesigen Führungsriege eindringlich ans Herz legt, sich wie er den Amerikanern mit Haut und Haar anzudienen. Niels Annen, ehemals Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, Bundestagsabgeordneter und seit 2003 Mitglied des SPD-Parteivorstands, ist als Senior Fellow beim German Marshall Fund in der US-Hauptstadt auf den Geschmack gekommen, eben das zu seinem Leitmotiv zu machen, wofür diese Kaderschmiede steht: Die deutsche Politik auf Vordermann zu bringen, wo sie den Vereinigten Staaten nicht widerspruchslos Pudeldienste leistet.

Im Deutschlandradio Kultur (07.07.11) lektionierte Annen, der gegenwärtig für das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin tätig ist, seine Landsleute, daß man keine Angst vor der Macht haben dürfe. Die verortet er wie selbstverständlich an der Seite der USA, deren wachsenden ökonomischen Probleme die Rolle Deutschlands in diesem Bündnis um so mehr befördere. Berlin und Washington seien aufeinander angewiesen, gleich ob es um die Finanzkrise oder um Fragen globaler Sicherheit gehe. Was liege näher, als mit dem Wind der florierenden deutschen Wirtschaft im Rücken den engen Schulterschluß zu üben, jetzt wo wir dringender denn je gebraucht werden?

Was aber macht die Bundesregierung? Unter ihrer Führung zeichne sich das Land, dem der erste Präsident Bush 1989 "Partnership in Leadership" anbot, durch eine erratische Außenpolitik aus, die so gar nicht zur beherrschenden Stellung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik passe. Unter erratisch versteht Annen, der mit dieser Vorwurfslage bekanntlich nicht allein steht, offenbar eigenständige Entscheidungen deutscher Außenpolitik, die sich den Forderungen Washingtons nicht bedingungslos unterwirft, sondern sich andere Optionen auf die Zukunft offenzuhalten versucht.

Drei Sünden deutscher Sicherheitspolitik am US-amerikanischen Übervater führt Annen diesbezüglich an. Zum ersten habe Deutschland in der Debatte um ein neues START-Abkommen mit Rußland mit nicht abgestimmten Forderungen nach Abzug amerikanischer taktischer Nuklearwaffen irritiert. Zweitens habe die Bundesregierung die Beteiligung am Luftüberwachungssystem AWACS in Afghanistan einseitig beendet. Und insbesondere enthielt sich Berlin bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat über Libyen der Stimme und stand damit zum ersten Mal überhaupt allein gegen seine Verbündeten. Letzteres nennt Annen "spektakulär", wohl weil ihm Vokabeln wie skandalös oder unerhört in diesem Zusammenhang aus taktischen Erwägungen noch nicht über die Lippen kommen.

Mit sicherem Instinkt für die Waffengewalt als grundlegendste Quelle aller Macht drängt das frühere Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages mit den Arbeitsschwerpunkten deutsches Engagement in Afghanistan und im Nahen Osten die hiesige Politik, überall den harten Hund herauszukehren, wo immer sich die Gelegenheit bietet. Wer nicht in vorderster Front zuschlägt, verspielt seinen Einfluß. Dabei habe Präsident Obama Libyen jüngst zu einem Fall erklärt, in dem die USA regionalen Verbündeten die Führung überließen. Statt diese Gelegenheit beim Schopf zu packen und die Libyer zusammenzubombardieren, bis man die Reste wunschgemäß neu sortieren kann, ziert sich die Bundesregierung und überläßt England und Frankreich den Vortritt. Aus der Perspektive einer Supermacht, die es gewohnt ist, in geopolitischen Kategorien zu denken, sei diese Zurückhaltung nur schwer nachzuvollziehen, setzt sich Annen die Brille Washingtons auf, als mache ihn diese Verkleidung zum Weisen des Großen und Ganzen.

Was wollen die Amerikaner? Sie seien oft ein schwieriger Partner, exzentrisch und überzeugt von ihrer Mission, die Welt zu demokratisieren, dabei allzu häufig auf der Suche nach neuen Feinden. Mit diesem fast beiläufig eingeflochtenen Understatement offenbart sich der SPD-Politiker endgültig als U-Boot deutsch-amerikanischer Blutsbrüderschaft. Den permanenten Kriegszug Washingtons im Drang nach unumkehrbarer Herrschaft, den man mit Fug und Recht als größte Massenvernichtung seit dem Zweiten Weltkrieg einstufen kann, als Demokratisierung der Welt auszuweisen, läßt den geschulten Sachwalter und Propagandisten US-amerikanischer Hegemonialinteressen erkennen.

Man könne Obama doch nicht im Regen stehen lassen, gibt Annen warnend zu bedenken, da die Wachstumsschwäche Amerikas nicht ohne Folgen bleibe und eine Ausweitung der Eurokrise auf die USA die Wahlchancen des US-Präsidenten schmälern könne. Dessen Blick richte sich daher fast automatisch auf Europas stärkste Wirtschaftsmacht, wobei er Angela Merkel inzwischen mit Charmeoffensiven und Ehrungen überhäufe. Die Kanzlerin aber gebe sich spröde und lasse Appelle aus Washington mehr Wachstumsimpulse zu setzen, an sich abprallen. Auf dem G8-Gipfel in Seoul habe Deutschland die währungspolitischen Vorschläge der USA gemeinsam mit China vom Tisch gewischt.

Niels Annen kann es nicht fassen, daß deutsche Politik die Russen und Chinesen nicht ganz vergißt, in der arabischen Welt ungern als Angriffskriegsmacht auf den Plan tritt und auch sonst mit einem verstockten Restbestand europäischer Eigenständigkeit kalkuliert. Dabei sei es die Politik aller Bundeskanzler von Adenauer bis Schröder gewesen, Deutschland fest im westlichen Bündnis zu verankern. "Niemals allein" laute die logische Folge aus dem Zweiten Weltkrieg und inoffizielle deutsche Doktrin. Doch die Entscheidungen der Kanzlerin hätten in Washington die Frage aufgeworfen, ob die alten Maximen der deutschen Politik noch gelten, behauptet Annen, um in die Klage einzustimmen, daß es Deutschland seinen Freunden nicht immer leicht mache. Soll sich deutsche Politik daran messen lassen, ob sie es den Amerikanern so leicht wie irgend möglich macht? Bei der "Partnerschaft in der Führung" scheint es sich um eine Karotte zu handeln, die man zwischen Speichellecken und Großmannssucht irrlichternden Steigbügelhaltern lückenloser Indienstnahme durch die USA vor die Nase hält.

10. Juli 2011