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HEGEMONIE/1738: Staatliche Verfügungsgewalt sichert Kreditwürdigkeit (SB)



Der Ärger über die Ratingagenturen wächst, doch handelt es sich um ein ganz und gar hausgemachtes Problem. Die Einstufung der Bonität eines privatwirtschaftlichen Unternehmens oder einer öffentlichen Körperschaft durch Ratingagenturen ist Bestandteil der auf politischer Ebene beschlossenen Finanzmarktordnung, die wiederum keinem anderen Zweck als der Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften dient. Ratings sollen die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kredits bestimmen und so das Risiko des Kreditgebers kalkulierbar machen. Dies hat auch Einfluß auf den Anteil an Eigenkapital, mit dem ein Kredit unterlegt sein muß. Mit der Zahlungsfähigkeit der Schuldner steht und fällt das Funktionieren kapitalistischer Ökonomien, die ohne Anleihen auf künftige Produktivität nicht expandieren könnten.

Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit von neun der 17 Euroländer und des Europäischen Rettungsschirms EFSF durch die Ratingagentur Standard & Poor's erregt denn auch vor allem Gemüter, die sie als kaum verhohlenen Angriff US-amerikanischer Kapitalinteressen auf den Euro verstehen. So wird gerne moniert, daß die USA weit höher verschuldet sind als einige der herabgestuften Staaten der Eurozone, aber durch die Ratingagenturen geschont würden. Üblicherweise werden sogenannte Verschwörungstheorien in Politik und Medien als paranoide Hirngespinste verurteilt, selbst wenn der durch sie geschürte Verdacht nicht völlig abwegig ist. Wo ansonsten nicht genug betont werden kann, daß marktwirtschaftliches Handeln einer von rationalen Akteuren bestimmten Logik folgt, mutmaßen angeblich rational denkende Politiker und Journalisten jedoch, daß es bei den drei großen, keineswegs nur von US-Akteuren kontrollierten Ratingagenturen nicht mit rechten Dingen zugehe.

Vergessen wird dabei, daß die Bonität von Staaten nicht nur mit finanzmathematischer Empirie bewertet wird, sondern konkrete politische Meinungen ausgesprochen, um nicht zu sagen Forderungen erhoben werden. Der keinesfalls demokratisch legitimierte, sondern von den Interessen großer Investoren bestimmte Druck, mit dem international führende Ratingagenturen die Bewertung von Staatsanleihen an konkreten politische Entscheidungen festmachen, wird anstandslos in politische Maßgaben übersetzt, so lange dies ins Konzept der jeweiligen Regierungen paßt. So bieten Ratingagenturen eine wichtige Argumentationshilfe bei der Durchsetzung sozialpolitischer Kürzungen, werden diese doch unter Rückgriff auf "die Märkte" als regelrechter Sachzwang gegen die Interessen der davon betroffenen Bevölkerungen ins Feld der sozialen Auseinandersetzung geführt.

Die jüngsten Herabstufungen durch Standard & Poor's wurden jedoch mit der Gefahr begründet, daß die staatliche Sparpolitik rezessive Entwicklungen begünstige. Wurde vor kurzem noch vorbehaltslos ins Horn der Austeritätspolitik geblasen, so wird nun das Gegenteil dessen geltend gemacht. Mag man auch über das Einwirken interessierte Kreise auf eine noch größere Beteiligung der EZB bei der Refinanzierung der Staatshaushalte und Kreditwirtschaft spekulieren, so dokumentiert dieser Meinungswechsel die Haltlosigkeit einzelner Ratings ebenso, wie dies aus unterschiedlichen Bewertungen führender Agenturen hervorgeht. Daß staatliche Verfügungsgewalt längst nicht mehr als ausschließliches Hindernis bei der Entfaltung der Kapitalmacht betrachtet wird, unterstreicht zudem das Ausmaß des uneingestandenen Kontrollverlustes bei der Bewältigung der Krise des Kapitalismus.

Zwar hat es sich bei der neoliberalen Forderung nach Staatsferne stets um die Verabsolutierung marktwirtschaftlicher Selbstregulation zum Imperativ kapitalistischer Zwangslogik gehandelt. Tatsächlich wäre dieser Verwertungsordnung jedoch ohne die staatliche Sicherung der Eigentumsordnung ebenso die Basis entzogen, als die Einspeisung öffentlicher Gelder in standortpolitisch bedingte Haushaltsposten verdeckt, daß es sich beim Ideal des Marktes um eine zweckdienliche, die Sozialisierung der Kosten seiner Reproduktion weithin unterschlagende Fiktion handelt. Eine politisch relevante Kritik an den Ratingagenturen ließe die Kollaboration von Staat und Kapital nicht aus, sondern verwiese etwa auf die große Bedeutung, die den USA in ökonomischer und währungstechnischer Hinsicht als bis an die Zähne bewaffneter Globalhegemon zukommt.

Wer durch die Negation suprastaatlich wie bilateral verregelter Verhältnisse in Form einer großangelegten militärischen Aggression die Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft beeinflußen kann, dem kommt ein in Euro und Dollar nur bedingt auszudrückendes, auf deren Nennwert im internationalen Handel jedoch maßgeblich Einfluß nehmendes Gewicht zu. Wie hoch die USA auf staatlicher, kommunaler und privater Ebene auch verschuldet sein mögen, so sticht die Trumpfkarte übermächtiger militärischer Gewalt mit letztinstanzlicher Gültigkeit. Davon auszugehen, daß das Kalkül physischer Gewaltanwendung miteinander um hegemoniale Vormacht streitender staatlicher Akteure in Beziehung zu einer Kreditwürdigkeit steht, die durch mehr gedeckt ist als deren Steuereinnahmen, ist nicht weniger plausibel als die Mutmaßung, daß die führenden Ratingagenturen für den Kampf zwischen der Leitwährung Dollar als zentralem Pfeiler US-amerikanischer Hegemonie und dem Euro, der diesen Rang erklärtermaßen erreichen soll, instrumentalisiert werden.

Wenn Staaten "liefern" sollen, schlägt stets die Stunde der Exekutive. Muß die griechische Regierung die Forderungen der internationalen Gläubiger in die weitere Verarmung ihrer Bevölkerung übersetzen, so sichern größere Akteure wie die USA und EU ihre Solvenz mit imperialistischer Verfügungsgewalt über ganze Gesellschaften. Wer eine Verwertungsordnung aufrechterhält, an deren Fundament millionenfach Armut, Elend und Tod erzeugt werden, ohne daß dies zu einem Aufschrei gegen die offensichtliche Ungerechtigkeit dieser Praxis führt, macht sich für die davon profitierenden Kapitaleigner unentbehrlich. Dies in die Evaluation seiner Kreditwürdigkeit einfließen zu lassen wäre allemal so rational, wie es Wirtschaftsakteure nicht sind, wenn sie makroökonomische Daten zur alleinigen Grundlage der Bewertung staatlicher Bonität erheben.

17. Januar 2012