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HEGEMONIE/1740: Kein vergessener Krieg - Britische Drohkulisse im Südatlantik (SB)



Am 2. April jährt sich die Invasion jener Inselgruppe im Südatlantik zum dreißigsten Mal, die von den Argentiniern Islas Malvinas genannt wird, während die Briten von den Falkland-Inseln sprechen. Weit davon entfernt, eine bloße Fußnote der Geschichte zu sein, die angesichts der Verkettung von Umwälzungen, Konflikten und Kriegen in anderen Regionen längst dem Vergessen überantwortet wäre, lädt die zugespitzte Rivalität der beiden Staaten um dieses Seegebiet den alten Streit mit neuen Forderungen und Drohungen auf. In einer Zeit schwindender Sourcen des Überlebens ist die Welt zu klein geworden, als daß sie noch Refugien unwirtlicher Sphären aufwiese, auf die niemand ernsthafte Ansprüche erhebt. Das Gegenteil ist der Fall, verknüpft man doch gerade mit solchen bislang kaum erschlossenen und ausgeplünderten Gebieten die Hoffnung auf eine Fortführung der in vielerlei Hinsicht scheiternden Existenzweise. Hegemoniale Zugriffsinteressen kennen weder Distanzen noch Koexistenz wenn es gilt, eine auf militärische Überlegenheit gegründete Verdrängung konkurrierender Bestrebungen durchzusetzen.

War der damalige Krieg um diese Inselgruppe in hohem Maße vom beiderseitigen Interesse getragen, von innenpolitischen Krisen abzulenken und die eigene Bevölkerung auf den Kampf gegen einen äußeren Feind einzuschwören, so hat sich der Schwerpunkt inzwischen verschoben. Neben ausgeweiteten Fischereilizenzen trugen vor allem geologische Untersuchungen, die Vorräte von bis zu 60 Milliarden Barrel Erdöl unter dem Seebett des umstrittenen Territoriums vermuten, zum Wiederaufleben der Kontroverse bei. Angesichts steigender Preise für fossile Brennstoffe und einer weltweiten Suche nach neuen Öl- und Gaslagerstätten rechnet es sich inzwischen wirtschaftlich, die Klärung der Frage voranzutreiben, ob die Ölförderung vor dieser Inselgruppe aufgenommen werden soll. Hinzu kommt, daß die Inseln in jüngerer Zeit auch als "Tor zur Antarktis" vermarktet werden, was man verharmlosend als bloße Werbekampagne zur Förderung des Tourismus interpretieren oder auf den Punkt einer geostrategischen Positionierung hinsichtlich der antarktischen Bodenschätze bringen kann.

Als britische Unternehmen Probebohrungen ankündigten, verurteilte die argentinische Regierung im Februar 2010 dieses Vorgehen als illegal und sprach von einer Verletzung der Souveränität Argentiniens. In London wies man diesen Protest ab und erklärte, daß es lang geübte Praxis der lokalen Regierung in Stanley sei, ihre Erdölindustrie innerhalb der Inselgewässer zu entwickeln. Wenngleich man nicht mit einem neuerlichen Überraschungsangriff rechnete, stationierten die Briten vier Eurofighter und mehrere Kriegsschiffe auf der Inselgruppe im Südatlantik. Im Gegenzug unterzeichnete Präsidentin Cristina Kirchner ein Dekret, das den gesamten Verkehr zwischen den Inseln und dem argentinischen Festland unterbinden sollte.

Auf einem Gipfel der Rio-Gruppe im mexikanischen Cancún stärkten damals die Vertreter der 32 vertretenen Staaten aus Lateinamerika und der Karibik Argentinien den Rücken. Sie versicherten Buenos Aires ihrer Unterstützung in diesem Konflikt und verurteilten die Pläne Londons. Stellvertretend für die gesamte Region bekräftigte Mexikos Staatschef Felipe Calderón als Gastgeber der Konferenz die "legitimen Rechte der Republik Argentinien in dem Souveränitätsstreit mit Großbritannien". Boliviens Präsident Evo Morales verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, daß sich "ganz Lateinamerika und die Karibik mit Argentinien vereinigen wird, um die Islas Malvinas zu verteidigen". Wie er weiter erklärte, seien die Imperien gescheitert, zu denen auch das britische gehöre. Dennoch versuchten sie weiter, Lateinamerika ihre Bedingungen zu diktieren. Aus diesem Grund sei es so wichtig, sich zusammenzuschließen, hob der bolivianische Staatschef hervor.

Wie alle Besitztümer repräsentiert auch jene Inselgruppe einen mehr oder minder geronnenen Ausdruck bestehender Herrschaftsverhältnisse. Rund 500 Kilometer vor der Küste Argentiniens gelegen, mutet der Archipel auf den ersten Blick in geographischer Hinsicht wie ein vorgelagerter Teil des südamerikanischen Landes an. Bewohnt werden die Eilande andererseits fast ausschließlich von britischstämmigen Siedlern, die nicht unter argentinischer Oberhoheit leben wollen. Ein Blick in die Geschichte offenbart die Wechselfälle kolonialer und imperialistischer Kämpfe, aus denen Britannien bislang als Sieger hervorgegangen ist. Angeblich wurde der Archipel 1592 von einem britischen Segler entdeckt, was nicht mehr oder weniger bedeutet, als daß er bis dahin kein Objekt der Inbesitznahme war. Die Inselgruppe befand sich zeitweilig in französischem, spanischem und englischem Besitz. Spanien zog sich 1811 von den Islas Malvinas zurück, doch ist Buenos Aires der Auffassung, daß die Spanier ihre Souveränität über die Inseln nie aufgegeben haben. Argentinien leitet daraus seine Ansprüche in Rechtsnachfolge nach der Entkolonialisierung ab.

Die Argentinier erhoben seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1816 ihrerseits Anspruch auf die Malvinen. Als sie jedoch wenig später den Versuch unternahmen, eine Kolonie auf den Inseln zu gründen, wurde dies 1831 von den USA mit militärischen Mitteln beendet. 1833 errichteten die Briten dort einen Flottenstützpunkt, wobei sie sich heute in ihren Ansprüchen darauf berufen, daß es sich bei der Besetzung durch das britische Königreich um "herrenloses" Gebiet gehandelt habe. Nachdem ihnen die Falklandinseln 1835 endgültig zugeschlagen worden waren, reklamierten sie zwar in der Folge einen dauerhaften Besitzstand für sich, der als Erbe kolonialistischer Expansion jedoch seit dessen weltweitem Niedergang keineswegs unumstritten ist.

Im Jahr 1982 führte der oberste Machthaber der argentinischen Junta, General Leopoldo F. Galtieri, sein Land in den Krieg, der nach 74 Tagen mit dem Sieg des übermächtigen britischen Kontingents endete. Im Zuge der Kampfhandlungen starben 649 argentinische und 255 britische Soldaten sowie drei Inselbewohner. Die außerordentlich grausam geführten Kämpfe und düsteren Geheimnisse dieses Kräftemessens am Ende der Welt sind der Öffentlichkeit bis heute nicht in vollem Umfang bekannt. Als unbestritten gilt, daß dieses Debakel das Ende der Militärdiktatur in Argentinien beschleunigte. Hingegen stärkte die britische Premierministerin Margaret Thatcher ihren Ruf als "Eiserne Lady", indem sie 110 Schiffe mit 28.000 Soldaten entsandte, um die fernen Inseln zurückzuerobern, auf denen nur 3.000 Einwohner lebten.

Wie völkerrechtlich umstritten die beiderseitigen Ansprüche sind, mag der Umstand unterstreichen, daß ein zwischen beiden Ländern bestehender Vertrag zur Erforschung der Öl- und Gasvorkommen 2007 von Argentinien gekündigt wurde. Die Vereinten Nationen drängen Britannien seit Jahren, Gespräche mit Argentinien über die Souveränitätsfrage des 12.000 Quadratkilometer großen Archipels aufzunehmen und von einseitigen Aktionen abzusehen. Wenngleich die argentinische Regierung ihr Anrecht auf die Inselgruppe samt der umliegenden Ressourcen unterstreicht, hat Präsidentin Cristina Kirchner bewaffnete Reaktionen kategorisch ausgeschlossen und hofft, den Streit mit diplomatischen Mitteln zu lösen. Die britische Regierung sieht sich im Einklang mit dem Völkerrecht: Keine noch so große Einschüchterung werde den fundamentalen Aspekt der Selbstbestimmung ändern. Man werde alle notwendigen Schritte einleiten, um die Inseln zu verteidigen. Diese hätten ein legitimes Recht, die Ölindustrie in ihren Gewässern zu entwickeln.

Die Spannungen zwischen beiden Ländern haben in jüngster Zeit wieder zugenommen. Zunächst sorgte die Ankündigung für böses Blut, Prinz William werde bei einem sechswöchigen Einsatz im Februar und März als Pilot eines Rettungshubschraubers auf den Inseln dienen. Daraufhin zeigte sich die argentinische Regierung erschrocken über die bevorstehende Ankunft Williams "in der Uniform eines Eroberers". Kürzlich warf der britische Premier David Cameron Argentinien Kolonialismus vor, weil dieses gemeinsam mit Nachbarländern wie Brasilien und Uruguay Schiffen unter Falkland-Flagge verweigert, in die Häfen des Landes einzulaufen. Daraufhin hielt die argentinische Präsidentin dem britischen Regierungschef vor, er wolle ihr Land als gewalttätig darstellen.

Der politische Schlagabtausch eskaliert nun in der erklärten Absicht der britischen Regierung, im Vorfeld des Jahrestags des Kriegsbeginns ihre Flotte vor den Falkland-Inseln zu verstärken. Die im südenglischen Portsmouth stationierte "HMS Dauntless" soll als erster Großzerstörer der neuen Generation mit Kurs auf die Inselgruppe auslaufen und dort eine Fregatte ablösen. [1] Wie das Verteidigungsministerium euphemistisch dazu erklärte, sei dieser Einsatz seit langem geplant und mitnichten eine Reaktion auf die jüngsten Spannungen oder gar eine Herausforderung Argentiniens. [2] Das argentinische Außenministerium protestierte gegen "den britischen Versuch, einen Konflikt zu militarisieren, in dem die Vereinten Nationen mehrfach zu einer Lösung durch bilaterale Verhandlungen aufgerufen haben". Die Regierungen sollten der Versuchung widerstehen, in der Wirtschaftskrise mit falschem Patriotismus die Öffentlichkeit von den Sparmaßnahmen und der Arbeitslosigkeit abzulenken. [3]

Wenngleich der Verweis auf den ideologisch forcierten Patriotismus in Zeiten der Krise nicht von der Hand zu weisen ist, handelt es sich dabei doch um eine strategisch in Stellung gebrachte Aggression, die über ein bloßes Verschleierungsmanöver zur Kaschierung innenpolitischer Probleme hinausgeht. Krieg anzudrohen und gegebenenfalls auch zu eröffnen ist im Kontext der an ihre Grenzen getriebenen kapitalistischen Verwertung die neoimperialistische Offensive, welche die Drangsalierung der eigenen Bevölkerung um den hegemonialen Übergriff auf andere Länder und Weltregionen ergänzt. Eines der modernsten Kriegsschiffe auf Jungfernfahrt in das Krisengebiet im Südatlantik zu schicken, spricht der Erklärung Londons Hohn, es handle sich um eine bloße "Routineaktion". Von einer Routine könnte man allenfalls insofern sprechen, als sich britische Regierungen seit Jahren den Vereinigten Staaten auf deren globalen Kriegszügen als Juniorpartner andienen, um die Teilhabe an dem erhofften Zugewinn mit Waffengewalt zu erzwingen.

Argentinien verfügt nicht über das Potential, diesem Druck mit militärischen Mitteln zu entsprechen, und hat in jüngerer Zeit durchweg auf eine Verhandlungslösung gedrängt. Diese Haltung trägt maßgeblich dazu bei, daß es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu keinem zweiten Krieg um die Islas Malvinas kommen wird. Allerdings steht zugleich zu befürchten, daß sich Britannien in diesem Streit auf ganzer Linie durchsetzt.

Fußnoten:

[1] http://de.ria.ru/politics/20120131/262583513.html

[2] http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/432115_Falkland-Konflikt-flammt-wieder-auf.html

[3] http://www.n-tv.de/politik/Briten-entsenden-Zerstoerer-article5377426.html

1. Februar 2012