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HEGEMONIE/1757: Die Welt feiert ihren römischen Senat (SB)




Die Wiederwahl Barack Obamas wurde in Medien und Politik hierzulande wie in vielen anderen Ländern mit großer Genugtuung, wenn nicht regelrechter Euphorie begrüßt. "Four more years" heißt weiter wie bisher, anstatt mit einem republikanischen Präsident Mitt Romney das Risiko einzugehen, noch aggressiver durchgesetzten Hegemonialambitionen ausgesetzt zu sein. Nun darf man wieder vorbehaltlos transatlantische Gefolgschaft loben, um sich der Schlagkraft der größten Militärmacht der Welt zu versichern, die als letzte Instanz einer Konsumgesellschaft, auf die der mit Abstand größte Ressourcenverbrauch pro Kopf der Bevölkerung weltweit entfällt, sicherstellt, daß sie weiterhin Ziel der globalisierten Warenströme bleibt. Das Erfolgsmodell, diesen Verbrauch mit einem in der Substanz seiner Wertschöpfung massiv überbewerteten Dollar zu bezahlen, steht und fällt mit dem Drohpotential einer imperialen Größe, das die Staatsschulden in Höhe von 16 Billionen Dollar locker aufwiegt.

So wird ein System der Marktdemokratie gefeiert, in dem das Wählervotum ein Preisschild von 4,5 Milliarden Dollar trägt, was fast der Hälfte der Wahlberechtigten zu teuer erscheint. Sie kehren einer Demokratie den Rücken, deren Herolde völlig unbeirrt von den sozialen Verwerfungen der US-Gesellschaft den Eindruck erwecken, das Duopol der Kapitalmacht befinde sich in einem erbitterten Kampf miteinander. Mit dieser Scharade triumphiert die Ideologie der imperialen Klassengesellschaft, nur wer in Geld bezifferbare Leistung auf die Waage gesellschaftlicher Einflußnahme bringe, dürfe diese auch realisieren.

Um jedes Aufbegehren zu ersticken, wird der Druck im Kessel des sozialchauvinistischen Krisenmanagements mit dem schweren Deckel staatlicher Repression so weit unter Kontrolle gehalten, daß innere Konkurrenz und äußere Aggression ihr zerstörerisches Werk unbeirrt vollbringen können. Mehr als 50 Millionen US-Bürger sind vorbestraft und dadurch in der Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte eingeschränkt. Rund sieben Millionen Menschen sind unter direkter Kontrolle des Strafvollzugs, weil sie sich in Haft befinden oder unter Bewährungsauflagen stehen [1]. Fast sechs Millionen Menschen dieser Gruppe sind von der Wahl ausgeschlossen, wobei Afroamerikaner mit 7 Prozent weit mehr von diesem Demokratieverbot betroffen sind als 1,8 Prozent aller anderen ethnischen Gruppen. In Florida, einem der als wahlentscheidend geltenden Swing States, sind 23 Prozent der schwarzen Bevölkerung von der Wahl ausgeschlossen, was die politische Stoßrichtung der auch in anderer Hinsicht als rassistisch ausgewiesenen US-Strafjustiz belegt [2].

Unter Präsident Obama wurde die nach dem 11. September 2001 etablierte Willkürjustiz mit der Verlängerung des Patriot Act fortgeschrieben und mit dem National Defense Authorization Act (NDAA) von 2012 weiterentwickelt. Dieses Gesetz erteilt dem US-Präsidenten unter anderem die Vollmacht, als "unprivileged enemy belligerent" - Obamas Version des berüchtigten "unlawful enemy combatant" - ihrer Grundrechte enthobene Bürger anderer Staaten aufgrund von Geheimdienstinformationen ohne Gerichtsverfahren unbegrenzt in Militärhaft zu halten und bringt dieses Exekutivprivileg auch gegen US-Bürger zur Anwendung. Bereits 2010 hat die Obama-Regierung sich erfolgreich vor Gericht dafür eingesetzt, humanitäre Organisationen unter dem Vorwurf der Unterstützung terroristischer Gruppen massiv zu kriminalisieren [3]. Linke oppositionelle Gruppen werden in den USA auf eine Weise mit geheimdienstlichen Mitteln kriminalisiert, die belegt, daß die harsche Antiterrorgesetzgebung insbesondere das soziale Aufstandspotential in Schach halten soll. Seit der Ermordung des US-Bürgers Anwar Al Awlaki im Jemen mit Hilfe einer von der CIA gelenkten Drohne im September 2011 gehört auch die sogenannte extralegale Tötung eigener Bürger zu den Machtmitteln des US-Präsidenten [4]. Daß der mit Drohnen geführte Terrorkrieg gegen die Bürger anderer Länder unter Obama ausgeweitet wurde, wissen auch viele derjenigen, die seine Wiederwahl heute frenetisch bejubeln.

Obwohl 50 Millionen US-Bürger aufgrund ihres unzureichenden Ernährungsstandes Anspruch auf Lebensmittelkarten haben und dennoch nicht immer satt werden, hat die US-Regierung per Gesetz dafür gesorgt, daß mindestens 40 Prozent der Maisernte in die Ethanolproduktion gehen, um als Beimischung für Treibstoffe zu dienen. Die Mobilität der Wohlhabenden und der Streitkräfte ist auch der Regierung Obama wichtiger, als alle Menschen auch nur im eigenen Land angemessen zu ernähren. Mit der Refinanzierung der Banken hat Obama dafür gesorgt, daß die ihn unterstützenden Kapitalgruppen nicht nur heil aus der Krise kommen, sondern so sehr davon profitieren, daß der Klassenantagonismus in den USA immer brutalere Züge annimmt.

Es sollte daher durchaus zur Beunruhigung beitragen, wenn Bundespräsident Joachim Gauck Obama mit der Ankündigung zur Wiederwahl gratuliert, daß die Bundesrepublik und die USA "als Partner gleicher Werte und Überzeugungen" gefordert wären, "die globalen Herausforderungen und Bedrohungen für Freiheit, Frieden, Wohlstand und unsere Umwelt anzunehmen" [5]. Wenn Gauck die eigene Bevölkerung im Spiegel der USA auf Werte einschwört, die, wie hier nur exemplarisch dargestellt werden konnte, das Gegenteil dessen erfüllen, was Menschenrechte und Demokratie in den Augen der meisten Menschen bedeuten, dann verhält er sich wie der Statthalter eines Subjekts imperialer Hegemonie. Im antiken Rom war der Senat, der Schülern heute noch als Frühform moderner bürgerlicher Republiken präsentiert wird, ein Machtzentrum von Oligarchen und Heerführern, die nicht zuletzt durch materiellen Reichtum in diese Stellung gelangten. Wenn heute dem Präsidenten des neuen Rom auf eine Weise gehuldigt wird, die vergessen macht, daß von den vollmundigen Ankündigungen zu Beginn seiner ersten Amtszeit, sich für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit einzusetzen, so gut wie nichts geblieben ist, dann kann sein jetzt abgelegtes Versprechen, daß das Beste noch bevorstände, nur so verstanden werden, daß das dicke Ende noch kommen wird.

Fußnoten:

[1] http://www.jungewelt.de/2012/08-25/001.php

[2] http://www.huffingtonpost.com/2012/07/12/felon-voting-laws-disenfranchise-sentencing-project_n_1665860.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1387.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/redakt/usa1314.html

[5] http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE8A601Q20121107

7. November 2012