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HEGEMONIE/1766: "Atomgespräche" - Diplomatengeschick gegen rohe Gewalt (SB)




Das gegen den Iran gerichtete Sanktionsregime der EU, USA und Vereinten Nationen zeigt Wirkung, stellt der Politikwissenschaftler Martin Kaim erfreut fest. Im Deutschlandfunk berichtet der für die erste Adresse deutscher Hegemonialpolitik unter den Instituten der Politikberatung, die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), tätige Experte von einer "galoppierenden Inflation im Iran von über 40 Prozent" sowie einem "Einbruch der Öleinnahmen von über 50 Prozent". So wirkten sich die Maßnahmen, anhand derer die in Genf unter dem Kürzel 5+1 mit dem Iran verhandelnden Vetomächte des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland Zugeständnisse der Islamischen Republik in der Frage der Urananreicherung erzwingen wollen, "massiv auf das Leben der Iraner aus, auf die politische Zufriedenheit und damit letztlich auch auf die Stabilität des Systems". [1]

Die mit diesem Zwangsmittel vollzogene Hegemonialpolitik der USA und EU in der öl- und gasreichen Region des Persischen Golfs verschärft mithin die Lebenslage der iranischen Bevölkerung, um die Führung in Teheran dazu zu bringen, ihren legitimen Anspruch auf die Nutzung der Urananreicherung aufzugeben. Der niemals bewiesene und seitens der iranischen Regierung stets bestrittene Vorwurf, damit solle der Bau von Atomwaffen vorangetrieben werden, ist der zentrale Hebel einer Politik, die die Legitimität iranischer Hegemonialinteressen im Kern bestreitet. Daraus, daß der Irak durch das Sanktionsregime der Vereinten Nationen wirtschaftlich und kulturell um Jahrzehnte zurückgeworfen und durch den Überfall der USA und ihrer Verbündeten in einen Zustand des permanenten latenten Bürgerkriegs versetzt wurde, ist der Iran in seiner strategischen Position eher gestärkt hervorgegangen. Da sich auch der Aufstand in Syrien nicht zum Vorteil der NATO-Staaten entwickelt, müssen diese nun maximale Ergebnisse am Verhandlungstisch erzielen.

Darauf wird sich die iranische Führung, der westliche Verhandlungspartner hohes diplomatisches Geschick attestieren, was in der medialen Berichterstattung gerne als amoralisches Handeln notorischer Täuscher und Betrüger verdammt wird, kaum im erwünschten Ausmaß einlassen. In der langen Geschichte dieses Konflikts wurden Vorleistungen Teherans ohnehin niemals mit einem entsprechenden Entgegenkommen der USA und EU quittiert. In den Stellungnahmen westlicher Regierungen wird stattdessen der Eindruck erweckt, es mit einem potentiellen Aggressor zu tun zu haben, der sich erst einmal der Bringschuld einseitiger Abrüstung unterwerfen müsse, bevor man sich bequemt, eigene Angebote zu machen.

So wird denn auch die Warnung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, der iranische Präsident Rohani sei in seinen vermittelnden Ankündigungen nicht ernst zu nehmen, da er ohnehin weiter an der Atombombe bauen lasse, für bare Münze genommen. Gleiches über die israelische Führung zu sagen, wenn sie wieder einmal eine Lösung des Palästinakonflikts ankündigt und just zu Beginn der Verhandlungen den Ausbau israelischer Siedlungen auf palästinensischem Land vorantreibt, wäre ebenso undenkbar, wie es selbstverständlich erscheint, nicht nur ausgesprochenen Bösewichten wie Ahmedinejad, sondern auch einem vermeintlichen Reformer wie Rohani prinzipielle Glaubwürdigkeitsprobleme zu unterstellen.

Daß die Interessen der EU und USA in der Region mit Mitteln vorangetrieben werden, die in erster Linie den Bevölkerungen der von Sanktionen und Kriegen betroffenen Zielgebiete westlicher Hegemonialansprüche schaden, spielt schon gar keine Rolle. Die Lauterkeit des humanitären Anspruchs eigener Politik ist so unantastbar, daß noch so viele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken können, ohne daß eine Verbindung zwischen imperialistischer Machtpolitik und den Fluchtbewegungen notleidender Menschen gezogen wird. Wo sich die NATO-Staaten wie im Irak, in Afghanistan und in Libyen der offenen Aggression bedienen, um ihre Ziele zu erreichen, bleiben Ruinenlandschaften nicht nur im gegenständlichen, sondern vor allem sozialen und politischen Sinn zurück.

Von daher ist die iranische Führung gut beraten, sich nicht zu einer Kapitulation gegenüber den an sie gestellten Forderungen überreden zu lassen. Schwäche quittieren die NATO-Staaten stets mit noch härterer Gewaltanwendung, und diese trifft die Bevölkerungen der Regierungen, die es angeblich an Kooperationsbereitschaft mangeln lassen, immer zuerst. Der Einsatz, mit dem die NATO-Staaten sich an den Genfer Spieltisch begeben haben, besteht aus materieller Not und wird mit der Androhung tausendfachen Todes erhöht. Die vor dem Hintergrund internationaler Machtverhältnisse ungleichen Voraussetzungen verlangen den iranischen Diplomaten mithin höchstes Geschick ab, was allerdings nicht ausschließt, daß eine Niederlage des Kontrahenten auf dem diplomatischen Parkett nicht am Ende doch noch durch dessen größeren Knüppel wettgemacht wird.


Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2286341/

15. Oktober 2013