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HEGEMONIE/1808: 25 Jahre EU - keine Feier ohne Trump ... (SB)



Wäre Donald Trump nicht Präsident der Vereinigten Staaten geworden, dann hätte das Führungspersonal der EU noch mehr Schwierigkeiten damit, die Krise der Europäischen Union unter den Tisch zu kehren. Nun, da die Zeichen auf Sturm stehen, läßt sich wieder hervorragend in Machtphantasien schwelgen, über neue Armeen schwadronieren und Stimmung für Kriege schüren, die als großer Game Changer fungieren. Ein Spiel ist es jedoch nie gewesen, zumindest nicht für die zusehends verarmenden Bevölkerungen, die ihr Heil bei rechten Demagogen suchen, welche abernten, was linke Politiker in opportunistischer Anpassung an das neoliberale Akkumulationphantasma in den Himmel gescheiterter Hoffnungen haben wachsen lassen.

25 Jahre nach dem Gründungsakt der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht am 7. Februar 1992 ist das nach Weltmachtstatus greifende Staatenbündnis ein Schatten seiner selbst. Notdürftig zusammengehalten durch ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse, an denen vor allem die großen Kapitaleigner in der Bundesrepublik prosperieren, führen die dabei angestoßenen Defizitkreisläufe in eine Überschuldung, die in vielen Fällen bar jeglicher Aussicht auf Erstattung aufgelaufener Kredite ist. Entscheidend für die notdürftig am Leben gehaltene Funktionsfähigkeit der EU-Gesellschaften ist zum einen die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die ein Geld in Umlauf hält, dessen Zahlungskraft am dünnen Faden des bloßen Glaubens an seine Werthaltigkeit hängt. Zum andern liegt dem Zwang, sich auch dann über Lohnarbeit am Leben erhalten zu müssen, wenn die daraus erzielten Einkünfte kaum noch dafür ausreichen, die laufenden Lebenshaltungskosten zu bestreiten, die kollektive Bringschuld zugrunde, mit seiner Arbeitskraft für aufgelaufene Schulden einzustehen, von denen man niemals einen Euro gesehen hat.

Die Vergesellschaftung der Kosten und die Privatisierung der Gewinne hat zwar eine erhebliche, den offenen Klassenkampf hinter jeder Ecke erwartende Polarisierung zwischen Arm und Reich erzeugt. Die Annahme jedoch, die Forderung nach Umverteilung, wenn sie nur laut genug erhoben würde, könnte das Schiff wieder flottmachen, ignoriert den genuinen Zweck der EU, auf der Basis sozialer Diskrepanzen ein Geschäft auf Weltniveau zu betreiben. Die in Maastricht beschlossene Wirtschafts- und Währungsunion hatte niemals etwas anderes zum Ziel, als auf der Basis formaler Gleichsetzung der Rechtssubjekte die maximale Ungleichheit der individuellen, regionalen und nationalen Akteure zu bewirtschaften. Der halbe Schritt in eine von Aneignungsinteressen bestimmte Geldordnung war nur deshalb beschlußfähig und vermittelbar, weil der ganze Schritt der politischen Integration zu einem föderalen Bundesstaat inklusive sozialer Angleichung der Lebensverhältnisse den Menschen wie eine Karotte vor die Nase gehalten wurde, die sie bei aller Mühe nie zu fassen bekamen.

Der aus ganz anderen Quellen als einer Aufaddierung der einzelnen Imperialismen zum globalen Machtakteur gespeiste Traum vom einigen Europa mußte ein solcher bleiben, weil ein solidarisches Miteinander unter den Bedingungen der kapitalistischen Marktwirtschaft zu keiner Zeit zu realisieren war. Mit der institutionellen Verschränkung der Staaten durch eine supranationale Verwaltung, die die Abstraktion administrativer Verfügungsgewalt in neue Dimensionen technokratischer Herrschaft trieb, und der Schaffung einer europäischen Funktionselite, in der das liberale Bürgertum seinen ganz eigenen Traum globaler Machtentfaltung ausleben konnte, wurde einem bürokratischen Zentralismus gefrönt, dessen Nutzen für die Nationalregierungen darin bestand, ihn zugleich als Einigungsprojekt zu begründen und alles auf ihn abzuwälzen, was an Herrschaftsausübung zu verantworten sie nicht bereit waren.

Wo EU-Politiker den eigenen Werteuniversalismus neu entdecken und sich im Glanz längst überwundener Ideale sonnen, indem sie Trump ein Ermächtigungsstreben von angeblich nie gekannter Art vorhalten, vergessen sie das eigene, bestenfalls indirekt demokratisch legitimierte Rechts- und Schuldenregime auf EU-Ebene geflissentlich. Wo Trump das Establishment, das seine Klasse repräsentiert, zum Feindbild seines Renationalisierungsprojektes erhebt, geht in der EU das gleiche Recht für alle, unter Brücken zu schlafen, in die Phase seiner massenhaften Anwendung über. Den Chauvinismus und Rassismus der Menschen als das große humanistische Werk gefährdenden Irrglauben anzuprangern und mit der Gefahr seiner Ausbreitung zu rechtfertigen, daß allein 2016 im Mittelmeer 5000 Flüchtlinge ertranken, die vor der blutigsten Grenze der Welt zu schützen Auffanglager in autokratischen Staaten errichtet werden, in denen das Stellen von Asylanträgen so gut wie unmöglich wäre, ist Trumpisme européenne. Gleiches gilt für das Versprechen der Wilders, Le Pen und Petry, es werde den Menschen besser gehen, wenn sie sich nur auf die Farbe und Ansprüche ihrer nationalen Zugehörigkeit besönnen.

Aus welcher Sackgasse sollte denn ein neuer Nationalismus herausführen, in die seine Vorläufer nicht hineingeführt hätten? Die AfD wird schon bald vor dem Problem stehen, die Abkehr von der EU mit einem Akkumulationsmodell zu begründen, das ihre Klientel nicht vom Regen in die Traufe spült. Ihr neoliberaler, die Zugehörigkeit Deutschlands zur NATO bekräftigender Kurs verrät, daß es sich um ein rechts an die Unionsparteien andockendes und dem deutschen Imperialismus mehr Legitimations- und Bewegungsraum verschaffendes Herrschaftsprojekt handelt, unter dem nicht nur Migrantinnen und Migranten, sondern auch arme Biodeutsche nichts zu lachen haben.

Die auf keinen Fall zu stellende Klassenfrage auch als theoretische Perspektive aufzugeben und sich auf nationale Notgemeinschaften zurückzuziehen ändert am grundlegenden Problem, daß der eine Mensch des anderen Freßfeind ist, so lange er sich über kulturalistische und soziale Zuschreibungen definiert, gar nichts. Die Großmachtallüren der EU zu beenden und die antislawische Herrenreitearroganz auf den Müllhaufen nationalchauvinistischer Geschichtsmythen zu werfen, den Euro zugunsten eines durch Wechselkurskorridore regulierten Währungsverbundes aufzugeben und dadurch die deutschen Hegemonialansprüche einzuhegen, die soziale Solidarität der Europäer mit einem Internationalismus zu stärken, der die Bündnisse mit neuen Gewaltherrschern vom Schlage Erdogans oder Sisis kappt, wäre ein bescheidener Beginn, zu der sich selbst eine kleinmütige Linke bekennen kann. Die Eigentumsfrage dennoch zu stellen, und sei es um die herrschenden Gewaltverhältnisse nicht zu vergessen, bleibt davor und danach essentiell für jeden emanzipatorischen Fortschritt.

7. Februar 2017


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