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HERRSCHAFT/1418: Optimierte Karriereplanung ... nach der NGO die Grünen (SB)



Mit der Aufstellung zweier prominenter Funktionäre der deutschen NGO-Szene zur Europawahl am 7. Juni haben die Grünen einen Coup gelandet, mit dem sie die große Klientel der Nichtregierungsorganisationen anzapfen können. Der Attac-Mitbegründer Sven Giegold und die Deutschlandchefin von Amnesty International, Barbara Lochbihler, haben als Seiteneinsteiger, die wenig länger als ein halbes Jahr Parteimitglied sind, ohne Umweg über die Knochentour des normalen Parteisoldaten auf dem Parteitag der Grünen aussichtsreiche Listenplätze erhalten.

Die Einschätzung, damit beseitigten die Grünen die Schlacken der Macht, die nach acht Jahren als Regierungspartei auf Bundesebene noch an ihr haften, endgültig und kehrten zu ihren außerparlamentarischen Wurzeln zurück, läßt sich allerdings auch auf entgegengesetzte Weise verstehen. Das Eintreten prominenter NGO-Funktionäre in den etablierten Politikbetrieb dokumentiert die inhaltliche Nähe ihrer Organisationen zu pragmatischen administrativen Strategien, mit denen prinzipielle Opposition gegen Ausbeutung und Unterdrückung realpolitisch moderiert wird. Sicherlich macht es sich für die Grünen gut, einen bekannten Kritiker des Neoliberalismus ins EU-Parlament zu entsenden, doch ist ein solcher Schritt in einer Krise, in der die Überzeugungskraft von Privatisierung und Deregulierung stark gelitten hat, ohnehin überfällig. Als ein auf die Reform des Kapitalismus setzendes Aktionsbündnis ist Attac gerade jetzt der natürliche Bündnispartner einer Partei, die ihre Wurzeln in der linksalternativen Bewegung hat.

Auch zur Arbeit der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International kann in einer Partei, die als Koalitionspartner der SPD zu einem Aushängeschild des humanitären Interventionismus wurde, kein Dissens bestehen. AI fungiert wie andere Nichtregierungsorganisationen als Legitimationsinstrument auch in Fällen, in denen begründeter Anlaß zu prinzipiellem Widerspruch gegeben ist. Die Anwesenheit professioneller ziviler Akteure in Kriegs- und Krisengebieten setzt von vornherein eine enge Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren voraus, was in einigen Fällen bis zur Übernahme nachrichtendienstlicher Aufgaben durch zivile Helfer gegangen ist. Gleichzeitig können Regierungen ihre geostrategischen Schachzüge nur noch schlecht legitimieren, wenn sie sich nicht der Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen etwa im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit versichern.

Als partizipatives Projekt einer in die Jahre gekommenen, jedes radikalen Elans verlustig gegangenen Protestbewegung fungierten die Grünen von Anfang an als Modell sozialer und gesellschaftlicher Transformation. Die wachsende Bedeutung von Nichtregierungsorganisationen insbesondere auf dem Feld des internationalen Krisenmanagements ist dieser Entwicklung äquivalent. In beiden Fällen artikulieren sich der Anspruch auf privilegierte Beteiligung an Einfluß und Wohlstand auf institutionalisierte Weise. Die Brücke zwischen oppositionellen Bewegungen und etablierten Institutionen funktioniert in beide Richtungen - sie ebnet aufstrebenden wie zu spät gekommenen Karrieristen den Weg in eine bürgerliche Existenz, während sie der Kontrolle der Ordnungsmacht die Tür ins Lager potentieller Gegner öffnet.

Im Ergebnis hat man es dann damit zu tun, daß wichtige regulative Funktionen wie etwa die Durchsetzung ökologischer oder repressiver Standards unter Zustimmung derjenigen erfolgen, die derartige Entwicklungen grundsätzlich in Frage stellen könnten. So können rechtliche Normen und gouvernementale Prozeduren unter Einbindung von Kräften definiert werden, die ansonsten dazu neigen könnten, den Widerspruch über die Grenzen seiner systemischen Regulation zu treiben. So etwas nennt man erfolgreiche Befriedung, und die Grünen haben diese Herrschaftsstrategie auf vorbildliche Weise ausdifferenziert und angewendet.

26. Januar 2009