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HERRSCHAFT/1425: FDP profitiert von Attraktivität neokonservativer Politik (SB)



Mit 18 Prozent in den Umfrageergebnissen erlebt die FDP einen Aufschwung, der den früher nicht selten hart an der fünfprozentigen Sperrklausel segelnden Liberalen gerade jetzt nicht zugetraut wurde. Während allseits behauptet wird, der Neoliberalismus habe abgewirtschaftet, ja sogar das Vertrauen in den Kapitalismus als beste aller ökonomischen Welten sei irreparabel beschädigt, wandern Unionswähler, abgestoßen von den vermeintlich sozialdemokratischen Experimenten der Kanzlerin, in Scharen zu den Liberalen ab. Blieb ihnen diese Zustimmung in den Hochzeiten des neoliberalen Kapitalismus aufgrund dessen, daß Union, SPD und Grüne ebenfalls auf der angebotspolitischen Welle ritten, verwehrt, profitieren sie nun von ihrem Ruf, letzte Trutzburg aufrechter Marktfundamentalisten zu sein.

Da die FDP durchaus pragmatisch agiert und sich nicht, wenn auch unter Protest und den obligatorischen Warnungen vor der Rückkehr des Sozialismus, jeder staatsinterventionstischen Maßnahme verschließt, schöpft sie ihre Attraktivität nicht nur aus dem Insistieren auf Privatisierung, Deregulierung und Sozialabbau. Für viele ihrer möglichen Wähler ist sie die letzte Bastion neokonservativer Werte, die zwar unmittelbar mit dem Primat einer staatsfernen Marktwirtschaft verbunden sind, aber in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung weit über rein ökonomische Fragen hinausgehen.

Diese besteht im Kern aus einem sozialhierarchischen Verständnis kapitalistischer Vergesellschaftung, laut dem Eigentümer vor jedem sozial determinierten Gleichheitsgrundsatz in Schutz genommen werden müssen. So gibt es für liberale Politiker kaum eine größere Häresie als die zur Behebung der Nachfrageschwäche verlangte Alimentierung armer Menschen. Soziale Transferleistungen schwächen den wichtigsten Hebel gesellschaftlicher Einflußnahme, die Konzentration ökonomischer Macht. Wenn die Axt an den Stamm kapitalgebundener Herrschaft gelegt wird, dann gelangen Menschen in politische Ämter, die die dort garantierte Aufrechterhaltung einer auf Leistungsgerechtigkeit basierenden Gesellschaftsordnung gefährden. Da die wichtigsten Leistungsträger in wirtschaftsliberalen Augen Kapitaleigner sind, während Lohnarbeiter lediglich einer von mehreren Produktionsfaktoren einer durch Investitions- und Preisbildungsprozesse gesteuerten Wirtschaft darstellen, bildet der liberale Gerechtigkeitsethos nichts anderes als die ungerechte Verteilung materiellen Besitzes ab.

Die von Kapitalinteressen regulierte Gesellschaft ist zudem zutiefst patriarchalisch, da sie Frauen wie auch Männer, die die Aufzucht von Kindern nur mit Hilfe von Sozialleistungen bewerkstelligen können, als parasitäre Nutznießer einer von Männern dominierten Kapitalakkumulation diskriminiert. Während auf der einen Seite anhand demografischer Prognosen über das angebliche Aussterben der Deutschen lamentiert wird, soll die dagegen gerichtete Erhöhung der Geburtenrate im Leistungsvermögen der damit befaßten Familien - und nicht durch die Freisetzung von Frauen zur Erziehungsarbeit mit Hilfe staatlicher Förderung - erfolgen. Die humanen Kosten kapitalistischer Produktivität sollen durch unentgeltliche Leistungen erbracht werden, was letztlich nur vermögenden Bürgern möglich ist, so daß dieser Teil der gesellschaftlichen Reproduktion auch als soziale Auslese fungiert.

Ein grundlegender Trugschluß im allgemeinen Verständnis liberaler Ideologie besteht darin, die propagierte Freiheitlichkeit für bare Münze zu nehmen. Während die FDP es versteht, sich als Sachwalterin der Rechtsstaatlichkeit gegenüber dem Vordringen des Sicherheitsstaates zu profilieren, agiert sie in allen sozialen Fragen ausgesprochen reaktionär und verhindert damit, daß die verteidigten bürgerlichen Freiheiten von allen Menschen in Anspruch genommen werden können. Letztendlich propagiert der moderne Liberalismus eine neokonservativen Standesordnung, in der lohnabhängige und erwerbslose Menschen deutlich benachteiligt werden und die die Nähe der FDP zu sozialdarwinistisch argumentierenden Gesellschaftstheorien erklärt. Nicht zufällig finden sich unter liberal argumentierenden Menschen besonders viele Verfechter eines aggressiven Antiislamismus, dessen Selbstgerechtigkeit das Ignorieren des globalen Gewaltverhältnisses zwischen Nord und Süd voraussetzt.

Freiheiten der Forschung und Wissenschaft werden hochgehalten, um die Verwertungsbasis des Kapitals zu verbessern, nicht jedoch um die Interessen dadurch gefährderter Menschen wie etwa Behinderter zu stärken. Das vertikale Funktionsprinzip des Liberalismus besteht im Abgleich individueller Leistungsfähigkeit auf der Basis der bürgerlichen Eigentumsordnung zugunsten einer Selektion der Überlebenstüchtigsten, als horizontales Organisationsprinzip fungieren wirtschaftliche Freiheitsrechte, die die Interessen der Unternehmer und Investoren zu Lasten jeder egalitären sozialen Partizipation befördern und die Seite der Arbeit im Verhältnis zum Kapital schwächen.

Der Aufstieg der FDP zu einer Partei, deren Zustimmungsraten bald auf Höhe der ehemaligen Volkspartei SPD liegen könnten, resultiert aus der nur vermeintlich paradoxen Stärkung neoliberaler und neokonservativer Politik in Zeiten ihrer praktischen Diskreditierung. Die Klientel der FDP verteidigt ihre einflußreiche Stellung in der Eigentümergesellschaft nicht nur durch das Insistieren auf die Begünstigung von Kapitalinteressen, sondern vor allem gegen das Aufkommen sozialdemokratischer und sozialistischer Politikkonzepte. In Deutschland hat die Wirtschaftskrise nicht etwa die Linke gestärkt, sondern leistet reaktionären Kräften aller Couleur Vorschub. Verhindert werden soll ein grundsätzlicher Wandel der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, und allem Anschein nach gelingt dies im Zusammenspiel etablierter Kräfte, die unter dem Titel der sozialen Marktwirtschaft ein Krisenmanagement betreiben, das unter ihnen nur scheinbar umstritten ist.

21. Februar 2009