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HERRSCHAFT/1432: 24. März 1999 ... linke Ideale neokonservativ gewendet (SB)



Im Jugoslawienkrieg 1999 nahmen die aus der linken Alternativszene und Friedensbewegung stammenden Grünen wie die Genossen der SPD Abschied von der letzten Ballast, die sie daran hindern könnte, im Konzert der ganz Großen mitzuspielen. Was in den jugoslawischen Sezessionskriegen mit Hilfe bereitwillig adaptierter antiserbischer Ressentiments vorbereitet worden war, geriet mit dem Angriff der NATO auf Jugoslawien zum Klimax einer Selbstgerechtigkeit der Stärke, die nicht einmal dadurch irritiert werden konnte, daß Jugoslawien bereits zwei Mal im 20. Jahrhundert zum Ziel deutscher Überfälle geworden war. Die faktische Nähe zu reichs- und großdeutschen Eroberern wurde mit Hilfe eines staatstragenden Antifaschismus eskamotiert, der das Konto der Opfer von Wehrmacht und SS mit eigener historischer Schuld belastete, die nun desto wirksamer in die Imperative einer in den Stiefelabdrücken der Großväter marschierenden Expansion umgewandelt werden konnte.

Glaubwürdig gemacht wurde dies durch die umfassende Dämonisierung der Belgrader Führung und dabei insbesondere des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Während dieser weit weniger als andere politische Kräfte seines Landes auf die nationale Karte setzte, geriet er nicht nur in den Augen der Bild-Zeitungsleser zum "Schlächter". Die rot-grünen Eliten setzten sich mit einem feinen Gespür für die Verwertbarkeit emanzipatorischer Ideale im Sinne ihrer faktischen Negation an die Spitze der Bewegung und traten für die völkische Selbstbestimmung der Kosovo-Albaner ein, als habe es niemals ein Gestern gegeben, in dem mit Hitlerdeutschland verbündete Volksbefreiungskrieger vormachten, was die UCK als Fußtruppe der NATO 1999 vollziehen sollte.

Gerade weil Milosevic am multiethnischen Charakter Jugoslawiens und seiner sozialen Grundorientierung festhielt, wurde er für gewendete Linke zu einem Haßobjekt, mit dem sie die Gespenster ihrer eigenen Vergangenheit bannen konnten. Nicht, daß der serbische und jugoslawische Präsident kein Machtpolitiker gewesen wäre, der nicht alle Register zur Sicherung seiner Stellung gezogen hätte, derer sich auch Politiker der Bundesrepublik zu bedienen wissen. Als demokratisch gewähltes Oberhaupt der Bundesrepublik Jugoslawiens repräsentierte er jedoch den verbliebenen Rest der im Staat der Südslawen angelegten Idee einer solidarischen Gesellschafts- und blockfreien Außenpolitik.

Die rot-grüne Führungsmannschaft, die in Gestalt von Gerhard Schröder und Joseph Fischer noch vor Konstitution ihrer Regierung in Washington Rapport zur deutschen Kriegsbereitschaft ablegen mußte, war sich ihres Auftrags bewußt, die Führungsposition der Bundesrepublik durch die weitere Vertiefung der Europäischen Union auszubauen. Helmut Kohl hatte bereits durch die staatliche Anerkennung Kroatiens und Sloweniens sowie die Weichenstellung für die Eigenstaatlichkeit Bosnien-Herzegowinas einer Entwicklung Vorschub geleistet, die der EU innere Kohäsion und neue Handlungsfreiheit zu Lasten des Zerfalls Jugoslawiens in kleine, leicht von außen zu manipulierende Einzelstaaten bescheren sollte.

Dem Anschluß der DDR an die BRD und dem Vertrag von Maastricht folgte die geostrategische Ermächtigung der EU unter maßgeblicher deutscher Beteiligung auf den Fuß. Diese Entwicklung wurde dadurch, daß es sich bei Jugoslawien um den letzten postkommunistischen Staat Europas handelte, der in seiner ethnischen Vielfalt und seiner sozialistischen Tradition Alternativen zur liberalkapitalistischen Verfaßtheit der EU aufzeigte, zusätzlich dynamisiert. Die durchaus mögliche Befriedung Jugoslawiens in seiner bisherigen Gestalt war nicht erwünscht und wurde aktiv sabotiert, indem man durch die schlechte ökonomische Lage begünstigte Nationalitätenkonflikte anheizte. Daß diese Entwicklung zusehends unter die Kuratel Washingtons geriet, war zwar nicht im Sinne des Erfinders, entsprach aber durchaus dem Interesse an der Zerschlagung Jugoslawiens.

Die nicht etwa unreflektierte, sondern im vollen Bewußtsein der Abkehr von früheren Idealen machtopportune Hinwendung ehemaliger Linker zu Leitbildern, die sie früher nationalkonservativen Kräften angelastet hätten, war die Eintrittskarte in eine Regierung, die fast zwei Legislaturperioden lang die Politik der Bundesrepublik definierte. Die Verklärung nationalistischer Separatisten, die gegenüber ethnischen Minderheiten so rassistisch agierten, wie sie es der serbischen Regierung anlasteten, und die nicht davor zurückschreckten, Parteigänger der jugoslawischen Idee in den eigenen Reihen zu liquidieren, zu Kämpfern für eine Selbstbestimmung, die von Anfang der Hegemonie der EU und USA zum Opfer fallen sollte, demonstrierte, daß der Kopf nicht nur rund ist, damit das Denken die Richtung wechseln kann, sondern damit ein Stahlhelm auf ihn paßt, der jeden Gedanken abprallen läßt, der nicht ins Korsett erwünschter Nützlichkeit paßt.

Die vorauseilende Unterwerfung rot-grüner Politiker unter die Doktrin einer neokonservativen Kriegführung mündete nicht zufällig in die Adaption neoliberaler Leitbegriffe, deren wohlmeinender Schein in völlig entgegengesetzte Inhalte umschlug. So wurde zum Zwecke vertiefter Klassenherrschaft bereitwillig in Kauf genommen, daß die beanspruchte Eigenverantwortung fremdnützige Verwertungsansprüche begünstigt, indem das atomisierte Subjekt mit der Schuld eigenen Versagens in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft beladen wird. Die wachsende Ausbeutungsintensität der flexibilisierte Jobkultur wurde als Freiheit verkauft, nach der man sich im Realsozialismus vergeblich gesehnt hat, und die Peitsche des Mangels wurde mit dem Fördern und Fordern des aktivierenden Sozialstaats zum historischen Fortschritt gegenüber einer solidarischen Gesellschaft erklärt, die dem angeblich auf Wettbewerb angewiesenen Menschen nicht bekomme. Indem der darin aufscheinende Sozialdarwinismus nach außen getragen wurde und in den notwendigerweise auch kriegerisch artikulierten Anspruch mündete, ganze Länder mit marktwirtschaftlichem Demokratismus zu beglücken, adaptierte man den Neokonservativismus der US-Eliten auf eine die Tradition der Aufklärung einmal mehr verratende Weise.

Als Einstieg in die rot-grüne Regierungszeit legte der Jugoslawienkrieg frühzeitig fest, auf wessen Seite zu stehen hat, wer im Bundeskanzleramt residiert. Um sich zu diesem Übergriff bekennen zu können, mußten die Politiker der Grünen und der SPD so viele Federn lassen, daß die Durchsetzung sozialpolitischer Grausamkeiten um so leichter von der Hand ging. Die auf Belgrad abgeworfenen Bomben waren für die politischen Eliten der Bundesrepublik von kathartischer Wirkung. Seit der Rehabilitation deutscher Kriegsmacht durch die Entsorgung der eigenen Vergangenheit auf den Müllplatz des zerstörten Jugoslawiens haben deutsche Führungsansprüche Konjunktur. Da die politischen Akteure, die damals das Sagen hatten, ihre Lebenslüge vom gerechten Krieg gegen Jugoslawien bis heute konservieren, liegt die Vermutung nahe, daß ihrer weitere Siege harren.

23. März 2009