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HERRSCHAFT/1450: Thema Kernenergie wird im Superwahljahr gemieden (SB)



Neue Kernkraftwerke in Deutschland? Aber ja! Zwar halten die Unionsparteien im Superwahljahr den Ball flach, doch sollte es ihnen gelingen, die nächste Legislaturperiode allein oder mit der FDP zu regieren, dürfte es einen Ausstieg aus dem Ausstieg geben. Aus wahltaktischen Gründen wird das Thema selbstverständlich nicht breitgetreten, war doch vor elf Jahren der Atomausstieg ein wichtiger Grund dafür, daß SPD und die Grünen die Macht übernahmen. Keine Frage, die ausgebildete Physikerin Merkel, der industriefreundliche und nach höherem Amt strebende Roland Koch sowie weitere Landesfürsten, Minister und Beamte aus CDU und ihrer Schwesterpartei CSU würden zumindest die Laufzeiten bestehender Anlagen verlängern, wenn nicht gar neue Kernkraftwerke errichten.

Es ist ja auch lange nichts mehr passiert seit dem Tschernobyl-GAU von 1989, sollte man glauben. Stimmt allerdings nicht, denn noch heute müssen europaweit Messungen durchgeführt werden, ob Lebensmittel zu hohe Strahlenwerte aufweisen oder nicht, und wenn unter Fachleuten darüber diskutiert wird, wieviele Opfer die Havarie des Tschernobyl-Reaktors gefordert hat, dann geht dabei unter, daß Krankheiten wie Krebs als typische Strahlenfolge auftreten kann, aber im Einzelfall keine kausale Zuordnung zwischen ihm und einer bestimmten Ursache möglich ist.

Obgleich Statistiken nahelegen, daß Kinder in der Nähe von Kernkraftwerken einer signifikant höheren Krebgefahr ausgesetzt sind, und in der Elbmarsch, in der Nähe des Akw Krümmel und des GKSS-Forschungszentrums Geesthacht, der weltweit größte Leukämie-Cluster entstanden ist, übernehmen weder die Regierung noch die Betreiber der Nuklearanlagen die Verantwortung und räumen ein, daß die Kernenergienutzung zu hohe Risiken birgt und man sich technologisch auf einen menschenfeindlichen Pfad begeben hat.

Statt dessen wird geleugnet und verschleiert, werden Gegengutachten erstellt oder kritische Anmerkungen ausgesessen. Im Zweifelsfall muß auch schon mal "zufällig" ein Aktenschrank, in dem sich Dokumente über einen mutmaßlichen Strahlenunfall am GKSS-Forschungszentrum befinden, abfackeln. Zu schwache Dübel im Sicherheitsbereich von Kernkraftwerken? Kein Problem, die Behörden sind einfach zu penibel. Trafohäuschen in Brand geraten - macht nichts, wir haben alles im Griff, es kam niemand zu Schaden. Geborstene Rohrleitungen? Kommt doch immer mal vor. Und, und, und ...

Die Liste der Stör- und Unfälle mit Freisetzung von potentiell extrem gesundheitsgefährdenden Radionukleotiden in Deutschland, Europa und darüber hinaus wird lang und länger. Und die Endlagerfrage für hochradioaktive Abfälle wurde von keinem Land beantwortet. Die neue US-Regierung hat kürzlich dem Endlagerprojekt Yucca Montain, in das schon mehrere Milliarden Dollar geflossen waren, eine Absage erteilt. Auch der Standort Gorleben bietet keine für ein Atommüllager geeignete geologische Formation. Rund um die Kernenergienutzung werden Milliarden über Milliarden verschleudert, die vom Steuerzahler für nichts und wieder nicht erarbeitet werden müssen.

Fundamentale ökonomische, ökologische und medizinische Kritiken an der Nukleartechnologie werden regelmäßig abgeschmettert, der Sicherheitsstaat rüstet unter dem Vorwand der Gefahrenabwehr gegenüber der nuklearen Infrastruktur auf. Vergessen wird dabei, daß er sich die eigenen Vorwände zur Einschränkung bürgerlicher Freiheiten verschafft. Sollten die Unionsparteien künftig das alleinige Sagen in der Bundesrepublik haben oder in einer Koalition die Führung innehaben, erfüllte sich mehr als zuvor, was schon Robert Jungk in "der Atomstaat" (1977) schrieb. Schutz und Bewachung der zentralistisch organisierten nuklearen Energieversorgung gebiert den vermeintlichen Zwang zu immer schärferen Repressionen.

Der Staatsapparat als Vertreter des Volkes bringt eine Technologie in Stellung, die sich in zweifacher Hinsicht gegen den Bürger richtet, als Sicherheitsvorwand zum Schutz staatlicher Strukturen und als potentiell gesundheitsgefährdende Strahlenquelle. Die Bundesbürger werden Ende September die Wahl haben, ob sie in einem Staat mit oder ohne Nuklearenergie leben wollen.

19. Mai 2009