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HERRSCHAFT/1466: Soziale Segregation - Beispiel Kanton Obwalden (SB)



Der Schweizer Kanton Obwalden möchte Bauland nur an ausgewählte Reiche vergeben und ist damit bei der Bundesregierung angeeckt. Der für Raumplanung zuständige Umweltminister, Bundesrat Moritz Leuenberger, spricht von "Apartheid" und hat sich geweigert, dem Vorhaben seine Zustimmung zu geben. Obwalden sieht darin die Kantonshoheit in Frage gestellt.

Die ursprünglichen, inzwischen jedoch "entschärften" Pläne sahen vor, daß in Obwalden Sonderzonen für Reiche, die ein "sehr hohes" Steueraufkommen haben oder "sehr viele" Arbeitsplätze schaffen, eingerichtet werden. Das Bauland sollte jedoch nicht auf dem freien Markt ausgewiesen werden und so theoretisch für jedermann zugänglich sein. Statt dessen sollte erst auf Antrag nach einem passenden Baugrundstück - auch auf ausgewiesener landwirtschaftlicher Fläche - Ausschau gehalten werden. Mit landschaftlichen und nicht zuletzt fiskalischen Anreizen will Obwalden die Reichen in den Kanton locken.

Die Apartheid, auf die in diesem Beispiel Leuenberger abhebt, fängt sicherlich nicht erst da an, wo ein Kanton oder eine Gemeinde den Reichen Steuererleichterungen einräumt und Bauland für sie bereithält, das anderen Bevölkerungskreisen a priori verschlossen bleibt. Die soziale Differenzierung reicht um vieles tiefer. Es kommt sowieso nur ein begrenzter Personenkreis für den Erwerb von solch exquisiten Grundstücken in den Schweizer Alpen, wie sie der Kanton Obwalden anbietet, in Frage. Die Innovation besteht darin, innerhalb der kleinen Gruppe der Reichen nochmals eine Auswahl zwischen genehmen und weniger genehmen Personen zu treffen.

Kritische Anmerkungen zu dem schon älteren Vorgang, wie sie in den letzten Tagen in der angelsächsischen Presse (Guardian, Telegraph) zu lesen ist, greifen viel zu kurz. Das bietet jedoch die Gelegenheit, grundsätzlicher zu werden und Fragen aufzuwerfen, die längst nicht mehr gestellt werden. Da ist insbesondere an den Begriff des Eigentums zu denken, das wie selbstverständlich geschützt und verteidigt wird. Eigentum bedeutet, daß alle anderen von der Nutzung ausgeschlossen werden, das ist seine eigentliche Funktion. Die Legalität und vermeintliche Legitimität der Aneignung kann sich auf die administrative Gewalt stützen, der im Zweifelsfall mit physischen Zwangsmitteln zur Geltung verholfen wird. Insofern knüpft der Obwaldner Raumordnungsplan an bestehende Formen der Besitzstandssicherung an, er erfindet sie keineswegs neu.

Heutzutage gilt jeder, der die Eigentumsfrage auch nur anspricht, als Narr. Dennoch sollte es vor dem Hintergrund aktueller und bevorstehender Krisen (Wirtschaft, Klimawandel, Ressourcenmangel) nicht von vornherein verworfen werden, gelegentlich solche Fragen aufzugreifen und daran zu erinnern, daß ihre Beantwortung dazu geführt hat, daß gegenwärtig über eine Milliarde Menschen hungern und weitere Milliarden verarmt sind.

Sollten die Prognosen der Klimaforscher zutreffen, so wird sich die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten tiefer spalten denn je, eingeteilt in die große Mehrheit an Hungerleidern und einen kleinen Kreis von Privilegierten. Die könnten dann in Refugien wie Obwalden leben, auf der untersten Ebene geschützt durch Recht und Gesetz, und - falls das nicht genügt und die Horden von sozial Ausgestoßenen die Schweizer Alpen und andere Orte, an denen sich womöglich die gesellschaftlich Mächtigen dieser Erde verschanzen werden, während außerhalb das Faustrecht regiert, solange nicht die vorherrschende Ordnung angegriffen wird - durch Polizei, Milizen, Soldaten oder private Sicherheitskräfte.

Die von Obwalden angestrebte soziale Segregation ist nicht einzigartig. Selbst in Südafrika, dem klassischen Apartheidstaat, der die Rassentrennung offiziell vor fünfzehn Jahren überwunden hat, herrscht eine starke soziale Apartheid, die sich deutlich im urbanen Erscheinungsbild niederschlägt. In unmittelbarer Nachbarschaft zu mangelhaft infrastrukturell angeschlossenen Townships mit hoher Bevölkerungsdichte existieren weitläufige Reichensiedlungen, die durch hohe Zäune, Eingangskontrolle und Wachpatrouillen geschützt sind.

Obwalden arbeitet vermutlich nicht bewußt und gezielt auf eine solche Situation zu. Es will ja nur die Attraktivität des Kantons - sprich: die Konkurrenzfähigkeit - gegenüber den keineswegs mit weniger harten Bandagen kämpfenden anderen Schweizer Kantonen erhöhen. Dennoch eignet sich Obwalden als Beispiel für den weltweiten Trend zur Apartheid, bei dem die zunehmende soziale Disparität durch eine entsprechende Verplanung des Lebensraums ausgebaut und befestigt wird.

23. Juni 2009