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HERRSCHAFT/1485: Große Koalition, kleinmütige Bescheidenheit (SB)



Da Peer Steinbrück die Fortsetzung der großen Koalition für "kein Unglück" hält, haben die Wähler nun das zweifelhafte Glück, in der Bandbreite ihrer Optionen noch ein wenig enger zusammenzurücken. Die sich aus den diversen Absichtserklärungen und Unvereinbarkeitsaussagen ergebenden Konstellationen künftiger Bundesregierungen reduzieren sich auf bewährte Machtoptionen, auf realpolitisch Machbares. Vorteilhafter Verwertungsbedingungen bedarf der Homo oeconomicus, sonst braucht er nichts. Daher ist der Disput um eine Unions-FDP- und eine Unions-SPD-Koalition nicht so interessant, wie der Wind suggeriert, der um ihn entfacht wird.

In beiden Konstellationen erwartet die Bundesbürger die Restauration des von manchen voreilig verabschiedeten Kapitalismus auf niedrigerem Niveau. In den USA wie der BRD wird bereits die gelungene Überwindung der Weltwirtschaftskrise ausgerufen, weil man nach erheblichen Einbrüchen kleine Wachstumsschritte macht, die ein Ende der Krise suggerieren. Was bleibt, ist ein Berg von Staatsschulden, der jede soziale Option schon im Vorweg erstickt. Was kommt, ist die Abgeltung dieser Schuld zu Lasten der Schwächsten, die Etablierung einer Almosenkultur, mit der die Ausgrenzung der "Überflüssigen" besiegelt wird, und eine neue Runde im Karussell finanzkapitalistischer Akkumulation, die die längst nicht behobenen Defizite der letzten Sause in noch desaströsere Dimensionen des Verlusts treiben wird.

Ob es dabei etwas neoliberaler oder sozialtechnokratischer zugeht, ändert nichts an der Notwendigkeit, verläßliche Garanten herrschender Interessen zu inthronisieren und jede Irritation, die aus einem politischen Wandel, der diesen Begriff verdient, resultierte, zu vermeiden. Wie Mehltau legt sich das Primat der angeblichen Sachzwänge auf die Bevölkerung und erstickt schon die bloße Erinnerung daran, daß gesellschaftliche Utopien das Salz in der Suppe politischer Entwürfe sind. Die vielbeklagte Lauheit des Wahlkampfs ist der Abwesenheit einer Radikalität geschuldet, deren Bekämpfung nach Lesart des Staatschutzes Verfassungsrang hat. Über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und den ökonomischen Zwang auf eine der vielen Bedingungen herabzustufen, mit denen kritischer politischer Umgang zu pflegen wäre, wenn man sein Lebensumfeld nicht ruinieren will, ist so unerwünscht, daß es wie ein gesetzliches Verbot wirkt.

Von daher bleibt es den Herolden der breiten Mitte überlassen, Sinn zu stiften, um Herrschaft zu legitimieren. Wer an der TV-Debatte zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier einen Mangel an Streitkultur moniert, verkennt den Nutzen des Bewährten und Vertrauten. Das häufig verwendete Bild des alten Ehepaars repräsentiert immerhin die Lebenswirklichkeit von Millionen, die es nicht anders haben wollen, als auf vorgeschriebenen Wegen von der Wiege zum Grab zu marschieren. Staatspädagogisch wertvoll ist die Lösung, die die Hannoversche Allgemeine Zeitung (15.09.2009) gewählt hat, um Kanzlerin und Vizekanzler in ein vorteilhaftes Licht zu rücken: "Gerade jene, die mit Blick auf Politiker sonst immer so lautstark nach mehr Authentizität rufen, sollten einmal innehalten: Liegt nicht gerade darin etwas Authentisches, dass Merkel und Steinmeier in vielen Fragen Übereinstimmung markiert haben?"

So kann man es auch sagen, und so wird es allen am leichtesten gemacht. Der blutleere Charakter des politischen Geschäfts koppelt an die beliebte Light-Kultur an. Sie macht den Menschen so beschwingt, daß die Arbeit doppelt so schnell von der Hand geht, und rückt die Möglichkeit, innezuhalten und zu fragen, was das Ganze überhaupt soll, in noch entlegenere Ferne. Die geistige Magerkost wird durch moderne Varianten des Kraft-durch-Freude-Prinzips nicht gehaltvoller, schafft durch die damit definierten Ausschlußkriterien jedoch Anlaß, die Schuld an der Misere am Ende auf denjenigen abzuladen, die dem Hunger nach etwas Gehaltvollem nachgehen und die nicht mitlachen, wenn gute Laune angesagt ist.

16. September 2009