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HERRSCHAFT/1530: Befriedung in Frage gestellt ... Westerwelle soll an sich halten (SB)



Die liberalen Wölfe müssen Kreide fressen, um ihr angeschlagenes Ansehen wieder aufzubessern, lautet die Regieanweisung für den Bundesparteitag der FDP in Köln. Tief scheint der Schock über die massiv eingebrochenen Umfragewerte zu sitzen, hat Guido Westerwelle doch für seinen offensiven Stil durchaus Zuspruch erhalten. Mehrheitsfähig ist das rhetorische Schüren sozialer Konflikte selbst unter den davon Begünstigten nicht. Glaubt man dem Ergebnis der vielzitierten Umfrage des Handelsblatt, das regelmäßig Erhebungen unter deutschen Führungskräften in Auftrag gibt, ärgert man sich gerade in der Stammklientel der Partei erheblich über ihren Politikstil. So gaben 37 Prozent der 520 befragten Manager an, bei der vergangenen Bundestagswahl mit Zweitstimme FDP gewählt zu haben, allerdings würden das heute nur noch sechs Prozent von ihnen tun. 85 Prozent der Führungskräfte in Deutschland seien "überwiegend" oder sogar "völlig" unzufrieden mit der FDP, so eine weiter Angabe der vom Psephos-Instituts durchgeführten Umfrage (19.04.2010, www.handelsblatt.com).

Auch wenn der Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart im Mediengespräch des Deutschlandradios Kultur (19.04.2010) als einen Grund für diesen Ansehensverlust angab, daß die Führungskräfte zur Zeit keine Steuersenkungen wünschten, so dürfte die Ursache für die in erster Linie an FDP-Parteichef Guido Westerwelle festgemachte Kritik dieses Teils der Funktionseliten vor allem die polarisierende Wirkung seines Auftretens betreffen. Obwohl die neoliberale Politik der FDP sich unter dem gutverdienenden Personal der Kapitalmacht größter Beliebtheit erfreut, zeigt der Argwohn, mit der die neoliberale Grundrezeptur der Senkung der Staatsquote auch unter den "Entscheidern" betrachtet wird, wie sehr die Wirtschaftskrise am Fundament der Eigentumsordnung rüttelt.

Mit dem Feldzug gegen die Empfänger staatlicher Transferleistungen hat Westerwelle einen Zündstoff in die öffentliche Debatte eingeführt, der den sogenannten Leistungsträgern, die von der Einschüchterung und Aushungerung des Subproletariats profitieren sollen, um die Ohren fliegen könnte. Indem die Klasse der Kapitaleigner mit Westerwelles Hilfe zur Kenntlichkeit entstellt wurde, so daß sich jeder Lohnabhängige fragen muß, was deren materielle Bevorteilung eigentlich rechtfertigt, hat der FDP-Chef die Axt an die Wurzel des eigenen Erfolgs gelegt. Wenn der Liberalismus zu aggressiv als Programm der Umverteilung von unten nach oben annonciert wird, dann verprellt die Partei die nicht geringe Zahl von Wählern, die sie aus bürgerrechtlichen oder anderen Gründen als dem der direkten Einkommensbevorteilung gewählt haben und in NRW vielleicht nicht wieder wählen werden.

Die Sprengkraft des zentralen sozialen Konflikts dieser Gesellschaft wird weithin unterschätzt. Die Eliten haben sich nach Jahrzehnten des relativ guten Auskommens der meisten Menschen noch nicht mit der Aussicht vertraut gemacht, daß der Aufstand der Armen keine entlegene Geschichte aus der Chronik letztendlich gescheiterter Revolutionen ist, sondern bei weiterer Verschlechterung der Lebensverhältnisse eine reale Aussicht auch für die Gesellschaft der Bundesrepublik. Nicht umsonst wurde bereits vor einem Jahr über die Gefahr des Ausbrechens soziale Unruhen debattiert, stellt massenhaftes Aufbegehren doch eine Bedrohung der herrschenden Ordnung dar, die sich nicht einfach mit dem Befehl "Knüppel frei!" aus der Welt schaffen läßt.

Indem Westerwelle die soziale Verachtung auf die polemische Spitze getrieben hat, forderte er die Betroffenen heraus, das längst übergroße Maß klaglos akzeptierter Erniedrigung in bewegten Zorn zu verwandeln. Man hat sich in den Führungsetagen und Regierungsbehörden zu sehr daran gewöhnt, daß Bescheidenheit und Duldsamkeit zum erlittenen Mangel gratis mitgeliefert werden. Was die Funktionseliten in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft überhaupt nicht gebrauchen können, ist eine massenhaft politisierte Bevölkerung, die sich nicht mehr mit Fernsehkonsum und Feindbildproduktion davon ablenken läßt, das ihnen Gemeinsame in Form eines Klassenstandpunkts kämpferisch zu artikulieren. Die Zerschlagung des politischen Subjekts durch Strategien der Spaltung und Atomisierung funktioniert dort nicht mehr, wo der Bourgeois die Ruhe im Land für selbstverständlich nimmt. Ein auf der Basis ungerechter Verteilungsverhältnisse organisierter gesellschaftlicher Frieden muß aktiv hergestellt und erzwungen werden, wie jeder Sozialtechnokrat weiß. Ihn in Frage zu stellen, ohne den Qualifikationssprung staatlicher Verfügungsgewalt ausreichend vorbereitet zu haben, ist leichtfertig und muß auch in den Augen derjenigen, die die FDP mit dem Versprechen auf größere Einkünfte umwirbt, zumindest in der von Westerwelle inszenierten Form zurückgenommen werden.

24. April 2010