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HERRSCHAFT/1613: Fukushima-GAU stärkt den Sicherheitsstaat (SB)



Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi hat sich ein dreifacher Super-GAU ereignet. Drei Kernschmelzen, die sich jeweils durch den Reaktordruckbehälter gefressen haben und laufend hochradioaktive Partikel wie Plutonium, Strontium, Cäsium und Jod an die Umwelt abgeben. Die Bewohner der stark verstrahlten Regionen Japans sind verzweifelt, denn sie werden von ihrer Regierung und der Akw-Betreibergesellschaft Tepco nur scheibchenweise über die Strahlengefahr informiert.

Man kann davon ausgehen, daß sich tendenziell eher die wohlhabenderen Bewohner der Region Fukushima aus dem radioaktiven Staub gemacht haben. Nur sie verfügen über die erforderlichen ökonomischen Mittel, um in den weniger verstrahlten Süden des Landes oder gleich ins Ausland zu flüchten. Wohingegen die ärmeren Bevölkerungsschichten zurückbleiben und sich verstrahlen lassen müssen, wollten sie ihr Weggehen nicht mit einem Leben in der Obdachlosigkeit bezahlen. Das wiederum ginge absehbar mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen einher, so daß demgegenüber die hoffnungsgestützte Ungewißheit eines Lebens in der Todeszone attraktiver erscheinen mag.

An diesem Gegensatz der Überlebenschancen von Armen und Reichen wird der grundlegende gesellschaftliche Widerspruch erkennbar. Mit der behaupteten Gleichheit vor dem Gesetz offenbart sich die vernichtende Konsequenz der beharrlich verleugneten Ungleichheit des demokratischen Rechtsstaats. In einem anderen Industriestaat, der Bundesrepublik Deutschland, sterben einkommensschwächere Personen durchschnittlich zehn Jahre früher als reichere. In Japan werden ärmere Bevölkerungsteile relativ stärker verstrahlt und müssen in den nächsten Jahren mit einem zunehmenden Siechtum und schließlich vorzeitigen Ableben rechnen.

Nichts anderes ist von einer Herrschaftstechnologie wie der Atomenergie zu erwarten. Ursprünglich wurde sie entwickelt, um den Militärs eine ultimative Zerstörungswaffe an die Hand zu geben. So wie Atombomben ein Erpressungsmittel von Staaten gegen andere Staaten sind, stellen Atomkraftwerke ein Mittel zur Qualifizierung der administrative Verfügungsgewalt dar. Der multiple Super-GAU von Fukushima gerät solange zu keiner nachhaltigen Gefahr der Verwertungsordnung, solange sich die Menschen mit der ihnen zugewiesenen Rolle als bloße Manövriermasse der Herrschenden bescheiden. Die Nuklearkatastrophe schwächt nicht den Sicherheitsstaat, sie stärkt ihn.

11. März 2011