Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1648: Ein Schreckgespenst geht um ... Wahlen in Griechenland (SB)



Als Antidemokrat reinsten Wassers erweist sich der CSU-Politiker Markus Ferber. Er hält es für "abenteuerlich, jetzt Wahlen durchzuführen in dieser aufgeheizten Stimmungslage", könnten dabei doch "Kräfte an die Macht kommen, die jetzt schon Wahlkampf damit machen, dass sie die Verpflichtungen nicht mehr einhalten wollen". Ferber macht geltend, daß das Athener Parlament "ordnungsgemäß bis Mitte nächsten Jahres gewählt" sei und daß die angekündigten Neuwahlen lediglich als "Deal für den Rücktritt von Ministerpräsident Papandreou" [1] zustandegekommen wären. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geht die Sache etwas unauffälliger an und fordert die griechische Politik dazu auf, die eingeleiteten Spar- und Reformprogramme auch nach der vorgezogenen Parlamentswahl weiterzuverfolgen. [2] Im Kern meint er jedoch nichts anderes als Ferber, daß nämlich Wahlen in dieser Situation das letzte seien, was das internationale Krisenmanagement gebrauchen könne.

Ferber votiert für den offenen Betrug an der griechischen Bevölkerung. Wenn er die Ankündigung von Neuwahlen nach der praktischen Einsetzung einer Regierung, die die Interessen des internationalen Finanzkapitals und der Troika aus EU, EZB und IWF vollziehen soll, als bloßes Manöver zur Durchsetzung einer veritablen Usurpation von Staat und Gesellschaft Griechenlands darstellt, dann erweist er sich als Machiavellist, dem keine Lüge zu teuer ist, so lange sie den Interessen der Herrschenden dient. Schon die Absage des Referendums, das der damalige Ministerpräsident Giorgios Papandreou über die Sparauflagen der EU im November 2011 abhalten wollte, war ganz unabhängig davon, daß er sich davon Rückendeckung für seine unpopuläre Politik versprach, eine in den Hinterzimmern der Macht ausgekungelte antidemokratische Intervention. Daß der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut werden sollte, indem vorgezogene Parlamentswahlen lediglich zum Schein angekündigt wurden, dürfte vielen Griechen noch nicht so klar sein wie dem deutschen CSU-Politiker.

Dessen unisono mit Schäuble artikulierte Bedenken, die Bevölkerung des Landes könne falsch, also gegen die Interessen der Troika und des Finanzkapitals, wählen, sollte nicht nur griechische Bürger beunruhigen. Auch hierzulande ist die Bevölkerung damit konfrontiert, den Interessen einer Kapitalmacht ausgesetzt zu sein, deren Sachwalter in Politik und Gesellschaft die Bundestagswahlen schon damit zu einem sinnentleerten Ritual machen, indem ganz offen ausgesprochen wird, daß wichtige politische Entscheidungen in ihrem Vorfeld praktisch nicht mehr erfolgen können, weil sich Bundesregierung und Parlament ja dem Votum der Bevölkerung stellen müssen. Da die Bundesbürger laut dieser nicht minder machiavellistischen Lesart politischer Willensbildungsprozesse ein äußerst kurzes, durch massenmediale Ablenkungsmanöver zusätzlich debil gemachtes Gedächtnis haben, werden unpopuläre Maßnahmen zeitnah nach der Neubestimmung der administrativen Verfügungsverhältnisse durchgesetzt.

Für die griechische Bevölkerung schneiden die Spardiktate und Privatisierungspläne der Troika und internationalen Gläubiger allerdings so tief ins Fleisch des alltäglichen Überlebens, daß das massenmediale und ideologische Suggestionspotential die Grenzen manipulativer Wirksamkeit längst überschritten hat. Wo Hundertausende hungern und ohne jegliches Einkommen auskommen müssen, wo mehr als die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos ist und die öffentliche Daseinsvorsorge radikal zusammengestrichen wird, da sorgt der bloße Mangel dafür, daß die auf viele Jahre absehbare, den Interessen der Banken und Oligarchen geschuldete Durststrecke der verordneten Entschuldungspolitik nichts als anwachsenden Schrecken produziert. Umfragen zufolge ist denn auch die Zustimmung zur EU-kritischen Linken von SYRIZA bis KKE so stark gewachsen, daß die Aufkündigung der neoliberalen Hungerkur in die Reichweite demokratischer Willensbildung gelangt ist.

Wenn sich deutsche Politiker, denen das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung synonym ist mit dogmatischem Antikommunismus, gegen die demokratische Selbstbestimmung einer Bevölkerung aussprechen, die unter dem auch von der Bundesrepublik unterstützten Obristenregime schwer zu leiden hatte und unter der sich noch Menschen befinden, die den Terror der deutschen Besatzungspolitik am eigenen Leib erlitten haben, dann weiß man, was von ihnen zu erwarten ist, wenn die sozialen Widersprüche im eigenen Land eskalieren. Ein Ferber, der vor zwei Jahren die Einführung von Intelligenztests für Einwanderer forderte, zeigt auf seine Weise, daß er aus der Geschichte allemal gelernt hat. Deutscher Imperialismus ist wieder salonfähig, das sollten Bundesbürger, die sich darüber empören, wenn auf Demonstrationen in Griechenland deutsche Fahnen verbrannt werden, zur Kenntnis nehmen und vor der eigenen Haustür mit dem Kehren beginnen.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1700446/

[2] http://www.dradio.de/nachrichten/201203111400/3

13. März 2012