Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1655: Falsch gewählt ... Brüssel legt Athen die Daumenschrauben an (SB)




Die Doktrin, daß der Kapitalismus zum Wohle aller funktioniere, ließ sich schon in der Vergangenheit nur im Dunstkreis seiner Protagonisten und Profiteure aufrechterhalten, um die für den Ausbau seiner Macht unabdingbare Arbeiteraristokratie in den Metropolen einzubinden und zu befrieden. Nur unter Ausblendung der menschheitsgeschichtlich extremsten Ausbeutung, Verelendung und Vernichtung mit Milliarden Hungernden, millionenfachem Sterben und einer an die Grenze seiner Zerstörung getriebenen ökologischen Überlebensvoraussetzung der menschlichen Spezies im Weltmaßstab ließ es sich an den Fleischtöpfen über Fortschritt und Wohlstand philosophieren, solange der Magen voll und die Frage verdrängt war, wessen Substanz man tagtäglich verschlingt. Nun, da die Systemkrise des Kapitalismus den Triumph der zur bestmöglichen Gesellschaftsordnung erklärten westlichen Wertegemeinschaft in den Grundfesten erschüttert, suchen die Eliten wie immer ihr Heil in einer um so tieferen und auswegloseren Unterwerfung jener, deren Armut die ausschließliche Grundlage des Reichtums der Wenigen ist.

Um den Euro zu retten und damit das Projekt der europäischen Führungsmächte fortzuschreiben hilft man den Griechen dabei, sich immer tiefer in den Fesseln unauflösbarer Schuldknechtschaft zu verstricken und dramatisch zu verelenden. Gewährt man ihnen Milliardenkredite, so ausdrücklich nicht, um dieses Geld jenen zukommen zu lassen, die es am dringendsten benötigten, weil sie kein Auskommen und nichts mehr zu essen haben. Ganz im Gegenteil liegt letzteres in der Absicht der sozialen Grausamkeiten, die man den kollaborierenden griechischen Memorandumsparteien diktiert. Will man nicht fiktive und selbst von den arriviertesten Wirtschaftsexperten mit hundert Fragezeichen versehene Marktmechanismen und andere dubiose Erlösungsversprechen herbeibeten wie der zitternde Wanderer den Schutzheiligen im tobenden Gewittersturm, stößt man zwangsläufig aufs kapitalistische Kerngeschäft: Auspressen und wegwerfen, immer mehr und immer schneller.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble drückt das so aus: Die internationale Gemeinschaft sei bereit zu tun, was immer nötig sei, um Griechenland auf seinem Weg zu helfen. Aber das setze voraus, daß Griechenland diesen Weg geht. Die notwendigen Anpassungen seien sehr anspruchsvoll. Wer dem Volk etwas anderes einrede, werde seiner politischen Verantwortung nicht gerecht: "Das sind keine Mahnungen, das sind keine Drohungen, das ist der schlichte Hinweis, dass Griechenland in einer außergewöhnlich schwierigen Lage ist." [1]

Mit dieser Auffassung, daß die Griechen längst so tief gesunken seien, daß sie keine Ansprüche auf Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit, Würde und demokratische Prozesse mehr geltend zu machen hätten, steht Schäuble nicht allein. "Das Land kann keine weitere Hilfe erwarten, wenn es die Reformen nicht vorantreibt", erklärte EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny das Votum der griechischen Wähler erpresserisch für irrelevant. "Wir haben nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung", legte der Notenbankchef Österreichs den politischen Parteien Griechenlands Daumenschrauben an. Der deutsche Chef des Euro-Rettungsfonds EFSF, Klaus Regling, machte unmißverständlich klar, daß es keine weiteren Auszahlungen nach Juni geben werde, wenn zuvor nicht der nächste Besuch der Troika aus EU, IWF und EZB zufriedenstellend abgeschlossen sei. Zugleich feuerte der Rettungsfonds den falsch wählenden Griechen ein Schuß vor den Bug und behielt von der seit längerem zugesagten Kredittranche im Volumen von 5,2 Milliarden Euro kurzerhand eine Milliarde ein. [2]

"Griechenland kann weiter funktionieren. Wir sind nicht besorgt über die Lage", verkündete dessen ungeachtet ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Er bezog sich mit seiner Äußerung offensichtlich nicht auf die Arbeitslosigkeit in Griechenland, die auf einen neuen Rekordstand gestiegen ist: Inzwischen hat selbst nach beschönigenden offiziellen Angaben jeder fünfte Grieche - unter den Jugendlichen sogar jeder zweite - kein geregeltes Einkommen mehr. Vielmehr gilt die einzige Sorge der EU-Kommission der Umstand, daß Athen mit der neuen Milliardenzahlung aus dem Hilfsfonds seine laufenden Verpflichtungen erfüllen kann. So betonte der EFSF, daß auch die nun freigegebenen 4,2 Milliarden Euro auf ein separates Konto fließen, das Griechenland allein zur Rückzahlung seiner Schulden nutzen darf. Die zurückgehaltene Milliarde benötige Athen nicht vor Juni, da dieses Geld "abhängig von den finanziellen Bedürfnissen Griechenlands" überwiesen werde.

Kaltschnäuziger könnte man kaum ausdrücken, wer der Herr im Hause Griechenland ist. Damit sich daran auch im Gefolge der Parlamentswahlen nichts ändert, erhöht die Europäische Union den Druck auf Athen. Es sei zu allererst die Aufgabe der politischen Kräfte Griechenlands, im Geiste der Verantwortung zusammenzuarbeiten und zügig eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden, drohte EU-Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde-Hansen. Eine Aufkündigung des Sparprogrammes werde die EU nicht hinnehmen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wiederholte in diesem Zusammenhang die Aufforderung, daß sich jede künftige griechische Regierung an die Abmachungen mit den internationalen Geldgebern halten müsse. Was scheren uns demokratische Wahlen und das Mehrheitsvotum der Bevölkerung - die Griechen sollen spuren und das mißliebige Ergebnis des Urnengangs ausbügeln!

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE84906T20120510

[2]‍ ‍http://www.dw.de/dw/article/0,,15940407,00.html

10.‍ ‍Mai 2012