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HERRSCHAFT/1681: "Guter Lohn für gute Arbeit" - Sozialpartnerschaftliche Bescheidenheit (SB)




"Guter Lohn für gute Arbeit" - die Kernforderung des DGB fällt weit zurück hinter das, was die Gewerkschaftsbewegung im urtümlichen Sinne gegen das Verhältnis von Kapital und Arbeit einzuwenden hatte. Die im Zuge der permanenten Massenarbeitslosigkeit auch von Gewerkschaftern vollzogene Glorifizierung der Arbeit als Überlebensvoraussetzung akzeptiert die Unterwerfung unter das Prinzip der Mehrwertproduktion und bescheidet sich darauf zu verlangen, daß der Lohn doch etwas besser und die Bedingungen der Arbeit doch etwas menschenwürdiger wären. Damit wird alle Kritik preisgegeben, die unbescheiden und mutig genug ist, die durch die Entkoppelung der Arbeit von der Totalität ihrer Verwertbarkeit negierten Herrschaftsverhältnisse beim Namen zu nennen. Das neoliberale Dogma "Sozial ist, was Arbeit schafft" und die sozialdemokratische Verabsolutierung der Lohnarbeit zum sinnstiftenden Lebenszweck wurzeln im einvernehmlichen Glauben an die Notwendigkeit, den Menschen beherrschbar zu machen.

Besitzen Ausbeutung und Unterdrückung als klassische Attribute der kapitalistischen Lohnarbeit noch rudimentäre Bedeutung für das gewerkschaftliche Selbstverständnis, so kommt die internationalistische Kritik an der Ausbeutung nationaler und regionaler Produktivitätsunterschiede immer mehr unter die Räder der sozialpartnerschaftlichen Integrationsleistung, sich als unentbehrlicher Partner für die Sicherung deutscher Standortvorteile zu empfehlen. Woher der hier genossene Reichtum im kapitalistischen Weltsystem stammt, wollen auch die nur mittelbar davon profitierenden Lohnabhängigen so genau nicht wissen. Wenn in Bangla Desch Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter auf katastrophale Weise ums Leben kommen, wird danach gerufen, daß die von der billigen Arbeit profitierenden Unternehmen mehr soziale Verantwortung übernehmen sollten. Daß die soziale Dauerkatastrophe sklavenähnlicher Arbeitsbedingungen in Bangla Desch die Reproduktionskosten der Arbeiterinnen und Arbeiter hierzulande senkt, was wiederum in Form stagnierender Löhne und günstiger Lohnstückkosten die Exportdominanz des deutschen Kapitals stärkt, ist ein Beispiel für die Untrennbarkeit von Antikapitalismus und Internationalismus.

Die Degradierung meist Frauen auferlegter Arbeit hauswirtschaftlicher, familiärer und affektiver Art zur quasi naturgegebenen Voraussetzung gesellschaftlicher Reproduktion wird zwar kritisiert, in der patriarchalischen Konsequenz herrschaftlicher und kriegerischer Ermächtigung jedoch nicht zuendegedacht. Die Gleichstellung in Beruf und Gesellschaft zementiert ein Geschlechterverhältnis, dessen sozialtechnokratische Regulation im programmatischen Gender Mainstreaming die Spaltung des Menschen in biologisch und funktionell bestimmte Gegensätze festschreibt, anstatt sie aufzuheben. Solange die Atomisierung des Menschen in Partikel sozialdarwinistischer Konkurrenz nicht als zentrales Mittel seiner Beherrschbarkeit begriffen und zum Ausgangspunkt des Widerstands wird, verbleiben alle Versuche, das Los der Lohnarbeiterklasse zu lindern, an der Oberfläche einer von ökonomischen Sachzwängen beherrschten Systemlogik. Zugeständnisse seitens des Kapitals können nur in Anerkennung dieser Zwänge erkauft werden, so daß das grundlegende Problem, die eigene Haut zu Markte tragen zu müssen, nicht in Frage gestellt werden kann.

Dabei ist der durch den Warencharakter der Arbeit von seiner subjektiven Sinnhaftigkeit gelöste Verbrauch von Lebenszeit und -kraft nur ein Teil des Problems, unter fremdbestimmten und ungreifbaren Verhältnissen zu leiden. Indem der Mensch als funktionelle Ressource mechanischer wie kognitiver Produktivität eingesetzt wird, werden Körper und Geist Nutzungs- und Leistungsimperativen nachgeordnet, denen die Interessen der Betroffenen gleichgültig sind. Dies ist nicht nur die beiläufige Folge eines dem Tauschwert verpflichteten Begriffs von Arbeit, sondern dient der Negation jedes qualitativen Anspruchs, Arbeit selbstbestimmt und im solidarischen Interesse am anderen Menschen zu verrichten.

Dies war auch vor der Verschärfung der Ausbeutung durch Arbeit unter dem neoliberalen Flexibilisierungs- und Deregulierungsprimat nicht anders. In der heute gerne zur goldenen Zeit des Kapitalismus verklärten Epoche weitgehender Vollbeschäftigung in den güterproduzierenden Industrien unterlag die Lohnarbeit nicht minder der effizienten Auspressung körperlicher Ressourcen in der Fabrik als heute, da die Prozeßlogik der Workflow-Systeme auch unter den Angestellten der Verwaltungszentralen ein Regime minutiöser Leistungsbemessung durchsetzt. Die objektive Rationalisierung der Arbeit durch informationstechnische Systeme, die jede angeblich unproduktiv verbrauchte Zeit als zusätzliche Ressource identifizieren können, findet ihre Entsprechung in der subjektiven Überzeugung, die eigene Performance ständig optimieren zu müssen, um den Leistungsanforderungen noch genügen zu können. Die die Verwandlung des Lohnabhängigen in eine Ich-AG versüßende Suggestion einer neuen Freiheit in den Jobbörsen des Internets und den sozialen Netzen formal selbständiger Erwerbsexistenzen organisiert die Abhängigkeit vom Arbeitslohn zwar weniger hierarchisch, ist aber nicht minder bestimmt vom Zwang einer Überlebenssicherung, die gegen den anderen Bewerber gerichtet ist. Prekär ist nicht nur das Überleben, sondern die Ohnmacht eines Klassensubjekts namens Prekariat, das seine desolate Lage als bloßes Defizit einer im allgemeinen als akzeptabel erachteten Gesellschaft versteht.

Dementsprechend werden die vielfach beklagten Folgen körperlicher Zerstörung und psychischer Erschöpfung bis hin zur Arbeitsunfähigkeit als individuelles Versagen begriffen und als gesundheitspolitisches Problem administriert. Die Schmerzen der Zerstörung autonomer Subjektivität müssen an Instanzen adressiert werden, die jeden offenen wie subversiven Angriff auf die herrschenden Verhältnisse als abseitigen und verwerflichen Irrtum stigmatisieren. Von Psychopharmaka und Drogen narkotisiert, auf unterhaltungsindustriell produzierte Freund- und Feindkennungen abonniert und motivationstechnisch auf vorauseilende Leistungs- und Anpassungsbereitschaft gedrillt findet sich der Homo oeconomicus ein in der Ordnung einer Teilhabe, die nur jenen gewährt wird, die sich ihr mit Haut und Haaren ausliefern.

Nur so kann "gute Arbeit" inmitten fremdbestimmter und repressiver Verhältnisse den Abglanz einer Hoffnung illuminieren, die zu nichts anderem führt als die Duldsamkeit der Lohnarbeitsklasse in die Länge eines immer dünner werdenden Fadens sozialer Sicherheit und verbliebener Freiheit zu ziehen. Die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, kann nicht im Einklang mit den bestehenden Bedingungen gestellt werden, wenn diese nicht von vornherein bestätigt werden sollen. Lohnarbeit als solche zu verwerfen und damit jede kapitalistische Vergesellschaftung wie auch anders geartete Herrschaft des Menschen über den Menschen ist die unbescheidene Voraussetzung, um auf eine Weise Nein zu sagen, die über die Grenze endlos reflektierter Zwangsverhältnisse hinausweist. Von daher ist die Frage der Befreiung vom Diktat lohngebundenen Überlebens nicht zu trennen von der Organisation eines sozialen Widerstands, der durch die Strategie sozialpartnerschaftlicher Herrschaftsicherung nicht zu korrumpieren ist.

29. April 2013