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HERRSCHAFT/1703: Der Schattenwurf des "positiven Patriotismus" (SB)




Die PR-Strategen des "positiven Patriotismus" wußten es stets. Das nationale Identitätsangebot mit dem Werturteil "positiv" zu versehen, um nicht am Vorwurf des rechten Populismus Schaden zu nehmen, kalkuliert den Schattenwurf des Nationalchauvinismus von vornherein mit ein. Was anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in den Feuilletons und Talkshows, in den Parlamenten und Stadien als Akt der Normalisierung eines seine lästige, im verlorenen Krieg begründete Sonderrolle abschüttelnden Deutschlands zum vielstimmigen Bekenntnis zu Staat und Nation auflief, zeigt in der Aggressivität, mit der Tausende Fußballfans in Köln ihr Bekenntnis zu Deutschland und ihren Haß auf dort unerwünschte Menschen herausbrüllen, das Ausmaß des Gewaltpotentials, gegen das nun mit den Mitteln des Rechtstaates vorgegangen werden soll. Jetzt zu behaupten, daß es den Demonstranten der Aktion "Hooligans gegen Salafisten" gar nicht um Fußball, sondern von vornherein um Randale gehe, schreibt den Mythos der Harmlosigkeit ihres nationalistischen Ressentiments fort.

Nein, der "positive Patriotismus" richte sich gegen niemand, wurde quer durch die Bank der politischen Parteien behauptet, als handle es sich dabei um eine völlig virtuelle, von jeder gesellschaftlichen Widerspruchslage freie Aufwallung, die kein Wässerchen trüben könne. Der vor acht Jahren betriebene Aufwand, den angeblich positiven Patriotismus von jeder Kontamination durch nazistische und chauvinistische Absichten freizuhalten, wurde nur bedingt mit Blick auf diejenigen betrieben, die sich stets danebenbenehmen und das Ansehen des Gastgebers der WM in der Welt beschädigen, indem sie Treibjagden auf Menschen mit anderer Hautfarbe und Herkunft veranstalten.

Mit dem sportlichen Megaevent bot sich die Gelegenheit, die Bevölkerung 15 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung und sieben Jahre nach dem ersten Krieg, an dem sich die Bundesrepublik seit 1945 beteiligte, auf neue Herausforderungen einzustimmen. Wo Helmut Kohls "blühende Landschaften" im wortwörtlichen - und nicht metaphorisch mehr Wohlstand verheißenden - Sinne aus den Brachen abgewirtschafteter Industrien erwuchsen und die soziale Ausgrenzung unproduktiv gemachter Menschen im Hartz-IV-Regime institutionalisiert wurde, da entstand akuter Handlungsbedarf zur Befriedung einer Bevölkerung, die erste Anzeichen des sozialen Widerstands gegen die ihr aufgelasteten Zumutungen erkennen ließ. Während im Stadion mit dem Ruf "Steh auf, wenn du ein Deutscher bist" der Befehl zur La-Ola-Welle gegeben wurde, teilte man den Erwerbslosen mit, längst nicht genug für ihr notdürftiges Einkommen getan zu haben. Der damalige Fraktionschef der Union im Bundestag, Volker Kauder, verlangte, Arbeitslosengeld II nur in Kombination mit unbezahlten Arbeitsleistungen zu gewähren, um zu verhindern, daß die Leistungsempfänger herumgammeln. Der Vorsitzende der Unionsabgeordneten im Ausschuß für Arbeit und Soziales, der CSU-Bundestagsabgeordnete Stefan Müller, forderte die Einführung eines staatlichen Arbeitsdienstes. Selbst wenn es nichts Sinnvolles für die Alg-II-Empfänger zu tun gäbe, müßten sich alle arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen jeden Morgen bei einer Behörde zum Gemeinschaftsdienst melden, um dort zu regelmäßiger, gemeinnütziger Arbeit eingeteilt zu werden, und zwar acht Stunden pro Tag, von Montag bis Freitag.

Die Kontrollen, die das ins soziale Abseits des strikt konditionierten Leistungstransfers gestellte Subproletariat über sich ergehen lassen muß, und der durch die Demütigung, als gesellschaftliche Verlierer oder potentielle Betrüger vorgeführt zu werden, entfachte Rechtfertigungsdruck setzen eine gesellschaftliche Hackordnung durch, gegen deren Elend nicht aufzubegehren neuer Feindbilder bedarf. Menschen in ihrer Unterdrückung gegen ihresgleichen aufzubringen, um zu verhindern, daß sie sich als Klasse begreifen oder auf andere Weise widerständig formieren, ist die Standardrezeptur erfolgreichen Regierens in kapitalistischen Gesellschaften.

Aber auch im sportlichen Wettstreit wird die sozialdarwinistische Leitkultur nicht etwa aufgehoben, wie die Mär von der friedensstiftenden Wirkung des Unterhaltungssports glauben macht. Sie wird vielmehr auf das Tableau einer nationalen Kraftanstrengung gehoben, die in der individuellen Leistungsbemessung, in der angeblich eigenverantwortlich zu treffenden Entscheidung darüber, zu prosperieren oder zu vergehen, den unhintergehbaren Beweis persönlicher Zugehörigkeit oder Ausgrenzung antritt. Diejenigen, die am wenigsten für ihre Misere verantwortlich zu machen sind, zum Ziel einer Erniedrigung und Verachtung zu machen, die sie zu äußerster Anstrengung treibt, den an sie gestellten Forderungen doch noch zu genügen, funktioniert auf dem harten Boden der Gesellschaft ebensogut wie das Distinktionsstreben in ihren oberen Etagen. Selbst wer es sich leisten kann, die Freiheit des Individuums auf ganz materielle Weise zu feiern, ist nicht frei davon, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten.

So ist denn auch der angeblich positive Patriotismus fest verankert in einem nationalen Nutzen, der sich in jede Richtung auszahlt, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Rede nach dem dritten Sieg der Nationalmannschaft bewies, auf der bereits der Schatten der kommenden Krise lag:

Wenn ich sehe, welches Potential an Begeisterung, an Fröhlichkeit in diesem Lande steckt, wenn ich sehe, wie andere von außen auf uns in diesen Tagen schauen und begeistert sind, dann wird mir nicht bange, daß dieses Land auch die Herausforderungen meistert, vor denen wir insgesamt stehen.

Das Land, geeint in der Nationalelf und stolz auf ein "Sommermärchen", vor dessen Charisma jede noch so fantastische Legende über den wohlmeinenden Charakter herrschender Verhältnisse zu zweckdienlicher Glaubwürdigkeit erstarrt, braucht Siege vor allem dort, wo sie nicht nur von symbolischem, sondern realpolitischem Wert sind. Die Bevölkerung streckt sich nur dann nach der Decke der nationalen Schicksalsgemeinschaft, obwohl die konkurrenzgetriebene Isolation der Marktsubjekte jedes angeblich gemeinschaftliche Anliegen Lügen straft, wenn sie darauf hoffen kann, dadurch auf der Seite der Gewinner zu stehen. Je mehr der Mensch erkennt, daß der vielbeschworenen Freiheit spätestens dann, wenn es um konkrete gesellschaftliche Veränderungen geht, enge Grenzen gezogen sind, desto weniger läßt er sich in seinem Glauben an die Nation durch den höchst abstrakten Charakter dieses Konstruktes beirren.

"Wir sind ein Volk", hieß es schon bald, nachdem den DDR-Bürgern die letzten Flausen eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz ausgetrieben worden waren. Wie aus dem Lehrbuch für machiavellistische Politik entnommen, weist die von den führenden privaten wie öffentlich-rechtlichen Medien der Bundesrepublik ein Jahr vor der Fußball-WM losgetretene Kampagne "Du bist Deutschland" jedem seinen Platz in der Gesellschaft zu. Nicht dazuzugehören soll keine Option mehr sein, sondern wird unter den Verdacht der sinistren Absicht gestellt, sich in der "sozialen Hängematte" oder "Parallelgesellschaft", durch Verweigerung oder Radikalisierung der Arbeit am großen Ganzen des gesellschaftlichen Erfolgs zu entziehen. "Wir. Dienen. Deutschland" - 2011 wird der Ethos der Pflichterfüllung an Staat und Nation ganz offiziell zum moralischen Imperativ der Bundeswehr, deren angeblich unverzichtbare Präsenz in aller Welt seitdem an höchster Stelle wortreich beworben wird.

Was hat das alles mit den randalierenden Hooligans und Nazis in Köln zu tun? Viel zuviel, als daß jetzt so getan werden kann, als handle es sich dabei um ein Sicherheitsproblem, dem mit strafender Gewalt und Programmen gegen Radikalisierungstendenzen entgegengetreten werden muß. Der politische Primat, die Wettbewerbsfähigkeit der Nation um fast jeden Preis zu steigern, befeuert eine Staatenkonkurrenz, in der erfolgreich zu bestehen als zentrales Ziel des Wirtschaftstandorts und der lohnarbeitenden Bevölkerung ausgewiesen wird. Dies wird auch durch die Bereitschaft, andere Bevölkerungen mit Hilfe von Handelsverträgen und Schuldendiktaten, Produktivitätsvorteilen und Währungsdifferenzen auszuplündern, ja sogar Wirtschafts- und Ressourcenkriege gegen sie zu führen, nicht dementiert.

Am imperialistischen Raubzug teilzuhaben begründet den Vormarsch einer Rechten, deren sozialdarwinistische und biologistische Gesellschaftsvorstellungen große Schnittmengen mit der neoliberalen Leitdoktrin aufweisen. Um durch deren globalisierte und transnationale Akteure, die sich in Staaten verorteter Handlungsmöglichkeiten immer dort bedienen, wo sie ihnen nützen, und sie bekämpfen, wo ihrem Zugriff durch Verstaatlichungs- oder gar Vergesellschaftungsansprüche Grenzen gesetzt werden, nicht ausmanövriert zu werden, pochen Hooligans und Nazis darauf, das Versprechen der Nation endlich einzulösen. Die Forderung, das Deutschland, das sie meinen, zum Maßstab politischen Handelns zu erheben, ist Ausdruck eines Kampfes um Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum, der von sozialer Emanzipation und internationaler Solidarität nichts wissen will, weil das die Basis des eigenen Vorteils- und Erfolgsstrebens in Frage stellte. Die Bevölkerung mit Nationalbegeisterung auf das Interesse des Staates einzuschwören, mit attraktiven Standortbedingungen und willigen wie billigen Lohnarbeitern Investitionen anzuziehen, aber nichts mehr davon wissen zu wollen, wenn die nationalchauvinistische Saat der Unterwerfung aufgeht, kennzeichnet die dafür zuständigen Funktionseliten als eben das - Rädchen im Getriebe eines Überlebenskampfs, der desto brutaler geführt wird, je mehr sich der Mensch zum Zwecke seiner Beherrschbarkeit gegen den anderen Menschen aufbringen läßt.

28. Oktober 2014