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HERRSCHAFT/1709: Lockeres Geld, enge Fesseln (SB)



Pünktlich zum Beginn des EZB-Programms der "Quantitativen Lockerung" werden die Fesseln der sogenannten Sicherheitspolitik weiter festgezurrt. Als wolle EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Remilitarisierung der Bundesrepublik zum Zugpferd einer entsprechenden Entwicklung in der ganzen EU machen, fordert er den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee. Da fast alle Mitgliedstaaten der EU auch der NATO angehören, ist es eher unwahrscheinlich, daß künftig an fernen Fronten EU- und NATO-Streitkräfte mit eigenen Kommandostrukturen und Aufgabenfeldern aneinander vorbei agieren sollen. Dennoch stieß Junckers Vorschlag in diversen EU-Mitgliedstaaten auf Zustimmung, was angesichts des Konkurrenzverhaltens nationaler Rüstungsindustrien nicht allein mit der angeblich kostengünstigeren Bereitstellung militärischer Fähigkeiten durch die Aushebelung des ansonsten so beschworenen Wettbewerbs zu erklären sein dürfte.

Es bleibt der Tageszeitung Handelsblatt überlassen, die naheliegende Verbindung zum kapitalistischen Krisenmanagement zu ziehen: "Das Zusammenwachsen unserer unterfinanzierten Armeen zu einer gemeinsamen Truppe wäre die richtige Antwort auf den Ansehensverlust durch die neu aufziehende Euro-Krise." [1] Obwohl die Kanzlerin nicht müde wurde, mit der Warnung "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" die Zukunft der EU an den Bestand der gemeinsamen Währung zu koppeln, läßt das Fluten der Geldschleusen durch die Europäische Zentralbank [2] erkennen, daß diese Konditionalität dem Projekt des europäischen Staatenbundes den Todesstoß gerade aufgrund ihres Absolutheitsanspruchs versetzen könnte.

Indem Angela Merkel die neoliberale Marktwirtschaft zur unantastbaren Bedingung jeglicher Vergesellschaftung erhebt, fordert sie sozialen Widerstand regelrecht heraus. Nicht nur für Griechenland, sondern Millionen von Menschen, die unter den angeblich investitionsfördernden Spardiktaten sozial verelenden, hat die Eurokrise nie aufgehört. Es geht für sie um weit mehr als bloßes Ansehen, das den Geldwert des Euro in den Augen "der Märkte" steigern soll. Gerade weil die Krise des Wertwachstums durch Psychologismen, Konjunkturzyklen und angebliche Defizite bei der Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik nicht befriedigend zu erklären ist, bedarf es starker Mittel, um die Verfügungsgewalt über die Arbeit der Menschen trotz der Verdichtung der Ausbeutungsintensität bei Stagnation der Lohnentwicklung und der um sich greifenden Angst vor dem sozialen Absturz zu gewährleisten. [3]

Wenn schon in der vergleichsweise sozial abgesicherten BRD so ein Handlungsbedarf bei der Aufstandsbekämpfung besteht, daß der CSU-Sicherheitspolitiker Stephan Mayer Panzerwagen für die Bundespolizei fordert und die aus Afghanistan abziehenden Streifenwagen der Antiterroreinheit GSG 9 überstellen will [4], dann steht außer Frage, was für europäische Streitkräfte ganz oben auf der Agenda stände. Sollten in den armen Staaten der süd- und osteuropäischen Peripherie Aufstände losbrechen, dann sorgte eine aus Truppen aus allen EU-Mitgliedstaaten bestehende europäische Einsatzarmee weit zuverlässiger als nationale Polizeien dafür, daß die Markt- und Eigentumsordnung mit harter Hand geschützt würde. Die mit stillschweigender Gutheißung der meisten EU-Regierungen im sogenannten arabischen Frühling erfolgte Aufstandsbekämpfung hat gezeigt, daß der demokratische und vielleicht sogar sozialistische Fortschritt im Keim erstickt werden kann, um günstige Standortbedingungen und Investitionsschutz für das europäische Kapital zu erhalten. So weit entfernt diese Länder aus westeuropäischer Perspektive zu liegen scheinen, so eng rückt der Staat auch den Menschen hierzulande auf die Haut, wenn sie die Grundvoraussetzungen der kapitalistischen Verwertungslogik in Frage zu stellen wagen.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/presseschau-aus-deutschen-zeitungen.433.de.html

[2] HERRSCHAFT/1705: "Quantitative Lockerung" statt qualitativer Verbesserung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1705.html

[3] HERRSCHAFT/1708: Wie "Halbstarke" zu wirklicher Stärke gelangen können ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1708.html

[4] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Rufe-nach-Vorratsdatenspeicherung-auf-dem-Europaeischen-Polizeikongress-2558721.html

9. März 2015


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