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HERRSCHAFT/1711: Die Strafe für das Nein folgt auf den Fuß ... (SB)



Die griechische Bevölkerung hat Nein gesagt, womit der demokratischen Pflicht Genüge getan ist. Die realpolitische Praxis sieht vor, daß ihr auch noch der letzte eigenständige Bewegungsraum genommen wird und die Stimme der Verweigerung verstummt. Dieser europaweit von sozialen Bewegungen und linken Parteien gefeierte Akt des Widerstands soll sich nicht wiederholen, und das geht nur, wenn das existierende Mangelregime aufrechterhalten und verschärft wird. Ein Austritt auf Zeit, wie vom deutschen Finanzminister Schäuble vorgeschlagen und im Abschlußdokument der Eurogruppe als Option enthalten, bedeutete eben auch, daß der Zugriff der Gläubiger bestehen bliebe. Die Unterwerfung unter ihre Forderungen zum Zwecke eines dritten sogenannten Hilfspakets, wie von der griechischen Regierung bereits zur Hälfte vollzogen, schriebe die soziale Verelendung ebenfalls auf Dauer fest.

Indem die amtierende Regierung durch das Nein legitimiert wurde, sich den Forderungen der Eurogruppe und des IWF weiterhin zu widersetzen, sie dieses Mandat aber de facto in ein Zugeständnis verwandelt hat, das alles so beläßt wie es war, kann sie sich nur noch dadurch im Amt halten, daß sie Rückendeckung durch die Institutionen der Gläubiger erhält. Da der IWF Presseberichten zufolge bereits ihren Sturz betreibt, steht Tsipras bei jedem Versuch, das Nein konsequent zu verwirklichen, mit dem Rücken zur Wand. Was ihm bleibt, ist die sozialdemokratisch moderierte Verwaltung des Problems, auf die weitere Refinanzierung durch EZB und IWF angewiesen zu sein. Den Primat des Wettbewerbs und Wachstums durch den weiteren Ausverkauf des Landes und seiner Menschen zu vollstrecken, läuft notwendigerweise auf eine autoritäre Regierungspraxis hinaus, die all das, was an Syriza einmal links war, auf demonstrative Weise dementiert.

Die Hoffnung darauf, daß der Zeitgewinn, den die weitere Kreditierung Griechenlands eröffnete, Spielräume für eine andere Politik als die der Vorgängerregierungen schaffen könnte, ist der bescheidene Rest des spektakulären und mutigen Angriffs, mit dem Syriza vor einem halben Jahr antrat, die eingefahrenen Gleise EU-europäischer Herrschaftssicherung zu verlassen. Der unvollständig gebliebene Versuch, sich aus den Klammern der neokolonialistischen Verwaltung der Troika zu lösen, kann seitens der EU und des IWF nur mit einer Qualifizierung des Durchgriffs auf die Bevölkerungen Europas beantwortet werden. Ohne den Bruch mit Euro und EU, der mehr erforderte als einen wirtschaftlichen Neubeginn unter Aufrechterhaltung etablierter Eigentumsverhältnisse und auch deshalb innerhalb Griechenlands die Möglichkeit des Bürgerkriegs inklusive Unterwanderungsversuche von außen nach dem Vorbild des Obristenregimes vor 40 Jahren aktivierte, werden die Zügel administrativer Verfügungsgewalt so stark angezogen, daß demokratisch legitimierter Widerstand, ob auf der Straße oder im Parlament, nur noch zu einem hohen Preis eigener Gefährdung möglich wäre.

Das Vorhaben, ein Exempel zu statuieren, das den Bewunderern des griechischen Widerstandsgeistes allen Mut nehmen soll, liegt in der Logik eines Krisenmanagements, das die aller Ökonomie zugrundeliegenden Gewaltverhältnisse in konkrete staatliche Repression ummünzt. Auf dem Spiel steht nicht nur die Rentabilität eines Kapitalismus, der sich längst jeder Grundlage enthoben hat, seinen Schuldenkaskaden ein auch nur scheinbar tragendes Fundament materiellen Wertwachstums zu verschaffen. Ein Krieg mit Rußland um die Vorherrschaft über die letztlich globale Ordnungsgewalt steht ebenso am Horizont möglicher Eskalationen wie die Verschärfung der sozialen Folgen der Rohstoff-, Ernährungs- und Klimakrise. Der Griechenland auferlegte Wachstumszwang manifestiert sich nicht nur innerhalb der EU als Mangelregime, sondern vollzieht die räuberische Politik imperialistischer Staaten gegenüber den Ländern des Südens in deren eigener Peripherie.

Der Widerstand der griechischen Bevölkerung läßt Bruchlinien im Ordnungsgefüge herrschender Interessen hervortreten, die sich nicht weiter auswachsen dürfen. Um so dringender erforderlich ist seine Ausweitung auf die westeuropäischen Gesellschaften, die ihre Bürgerinnen und Bürger dadurch ruhigstellen, daß sie ihnen mit der ganzen Wucht massenmedialer und politischer Indoktrination die Undankbarkeit und Niedertracht von Menschen vor Augen führen, die es wagen, die Regeln in Frage zu stellen, die die Ordnung des Oben und Unten befestigen. Sozialer Widerstand lohnt sich nicht, sondern der Mensch soll sich mit dem Lohn als Ausdruck all dessen bescheiden, was ihm bereits genommen wurde. Kein Lohnempfänger sein zu wollen - auch das könnte eine Lehre sein, die das Beispiel Griechenland vermittelt.

12. Juli 2015


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