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HERRSCHAFT/1748: Bauen wie nie - Israel begräbt die Zweistaatenlösung (SB)



Die israelische Regierung wird eine Einstaatenlösung des Nahostkonflikts niemals zulassen. Mit ihrer Doktrin vom "jüdischen Staat Israel" erklärt sie die arabischen Israelis längst zu Staatsbürgern zweiter Klasse. Kämen die Palästinenserinnen und Palästinenser hinzu, würde die demographische Entwicklung dazu führen, daß der jüdische Bevölkerungsanteil tendenziell zu einer Minderheit würde. Das wäre zwar theoretisch vorstellbar, erforderte aber die Aufgabe des Anspruchs auf Vorherrschaft und die Bereitschaft zu einer Koexistenz auf gleicher Augenhöhe, was für die israelische Führung und wohl auch die Bevölkerungsmehrheit undenkbar wäre.

Die israelische Regierung will aber auch eine Zweistaatenlösung um jeden Preis verhindern. Seit Jahrzehnten liefen die sogenannten Friedensverhandlungen ausnahmslos darauf hinaus, daß die palästinensische Position mit jedem Zugeständnis schwächer wurde. Die Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ostjerusalem hat zu einer progressiven und aus israelischer Sicht unumkehrbaren Fragmentierung des palästinensischen Territoriums geführt, die schon lange einen lebensfähigen Staat Palästina nahezu unmöglich macht. Dieser wäre allenfalls als von Israel umfassend kontrollierte Enklave mit dem Status eines Protektorats möglich. Auch diesbezüglich wäre eine andere Lösung nicht völlig ausgeschlossen, die aber ebenfalls einen weitreichenden Kurswechsel der israelischen Politik und Staatsideologie erforderte.

Ein solcher Kurswechsel ist heute weniger denn je in Sicht. Ganz im Gegenteil geht die Regierung in Jerusalem derzeit in die Offensive, erhofft sie sich doch vom neuen US-Präsidenten Donald Trump volle Rückendeckung für die forcierte Annexion des Westjordanlands und ganz Jerusalems, womit die Zweistaatenlösung endgültig zu Grabe getragen wäre. Das wirft zwangsläufig die Frage auf, ob die israelische Regierung überhaupt eine Lösung des Nahostkonflikts anstrebt. Eine Verhandlungslösung, die diesen Namen verdient, offensichtlich nicht. Zwar wiederholt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein ums andere Mal sein Mantra, er sei zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen bereit. Darunter subsumiert er Positionen wie den ungebremsten Siedlungsbau und den Anspruch auf ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels, die er als unverhandelbar voraussetzt, obgleich sie für die Palästinenser zwangsläufig nicht hinnehmbar sind. Machen diese geltend, daß Netanjahus Formel von Verhandlungen ohne Vorbedingungen darauf hinausläuft, daß sie von vornherein essentielle Forderungen preisgeben sollen und damit bereits verloren hätten, bevor sie überhaupt am Verhandlungstisch Platz nehmen, bezichtigt er sie fehlender Verhandlungsbereitschaft.

Unter diesen Voraussetzungen gleicht der Friedensprozeß für den Nahen Osten einer Prozession ins Nirgendwo. Initiativen werden gestartet und versanden wieder, Forderungen erhoben und zurückgewiesen, Appelle verhallen folgenlos, Resolutionen werden ignoriert. Solange sich die israelische Regierung der prinzipiellen Unterstützung seitens ihrer Verbündeten sicher sein kann, die sie finanziell, militärisch, politisch und ökonomisch alimentieren, wird sich daran auch nichts ändern. Die Kontroversen gleichen einem bloßen Wellenschlag auf der Oberfläche, die das Fundament der Zusammenarbeit nicht berühren. Bezeichnenderweise hat der scheidende US-Präsident Barack Obama, dessen gestörtes Verhältnis zu Netanjahu und der rechtsnationalen Regierung in Jerusalem in aller Munde ist, Israel mit 38 Milliarden US-Dollar für Rüstungskäufe in den nächsten zehn Jahren den größten Militärdeal der Geschichte zugeschanzt. Und dies obwohl Netanjahu 2012 für Obamas Gegenkandidaten Mitt Romney Wahlkampf gemacht und 2015 in einer Rede vor dem US-Kongreß zum Widerstand gegen Obamas Iran-Politik aufgerufen hat.

Mehr als 130 Länder haben Palästina als unabhängigen Staat anerkannt. Die Vereinten Nationen räumten Palästina 2012 gegen den Widerstand der USA den Status als Beobachterstaat ein, womit auch die Weltgemeinschaft den Staat Palästina anerkannt hatte. In Resolutionen spricht die UNO allerdings von "besetzten Palästinensergebieten". 2015 hat die UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit dafür gestimmt, daß die Flagge Palästinas auf dem Gebäude gehißt werden soll. [1] Am 23. Dezember wurde dank der Enthaltung der USA im Sicherheitsrat die UN-Resolution 2334 beschlossen, die Israels Siedlungsbau verurteilt, weil er wegen des Landraubs Haus für Haus die international angestrebte Gründung eines Palästinenserstaats unmöglich mache. Dies war die erste Resolution des UN-Sicherheitsrats gegen den Siedlungsbau seit 1979, verbunden mit der Forderung eines sofortigen Stopps israelischer Siedlungsaktivitäten im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Kurz darauf schlug Außenminister John Kerry in einer ungewöhnlich Israel-kritischen Rede in die gleiche Kerbe. [2]

Seither sprechen Regierungsmitglieder in Jerusalem nur noch voller Verachtung über Obama und richten den Blick auf Donald Trump, den sie für die Personifizierung ihrer machtpolitischen Zukunft halten. Im Oktober hatte Trump den Rechtsanwalt David Friedman nach Jerusalem geschickt, um dort für ihn Wahlkampf zu machen. In einer Rede auf einer Dachterrasse in Sichtweite der Klagemauer verkündete Friedman:

Unter einer Trump-Administration werden die USA Jerusalem als die ewige Hauptstadt Israels anerkennen. Und die US-Botschaft wird nach Jerusalem umziehen. [3]

Der damals noch unbekannte Anwalt wird der nächste Botschafter der USA in Israel. Er ist seit Jahren Chef einer Organisation, die jährlich in den USA Millionenspenden auftreibt, die dann in Siedlungen im Westjordanland fließen, deren Existenz laut den Vereinten Nationen völkerrechtswidrig ist. Zu den Spendern gehören auch Jared Kushner, der Schwiegersohn und künftige Berater des US-Präsidenten, sowie Donald Trump selbst. Dessen Versprechen, er werde nach dem 20. Januar die Nahostpolitik Obamas ausradieren, interpretieren die radikalen Siedler, ihre Statthalter in der Knesset und die Regierung als Aussicht auf paradiesische Zeiten. In Übereinstimmung mit mehreren UN-Resolutionen war bislang die Position Washingtons, daß der endgültige Status Jerusalems in einem einvernehmlichen Vertrag geregelt werden soll. Im Falle eines Umzugs der US-Botschaft nach Jerusalem wären die USA hingegen das erste Land weltweit, das die israelische Annexion Ostjerusalems aus dem Jahr 1968 anerkennen würde.

Den restlosen Einzug ins Gelobte Land dank Donald Trump vor Augen, rief Sportministerin Miri Regev kürzlich in einem Fernsehauftritt: "Wer ist Obama? Der ist doch längst Geschichte!" Und Justizministerin Ayelet Shaked unterstrich spektakulär vor dem Grab der Patriarchen in Hebron mitten im Westjordanland:

Es muss der ganzen Welt und vor allem den Vereinten Nationen gesagt werden, dass sie sich mit den Tatsachen auseinandersetzen müssen. Wir haben das volle Recht auf dieses Land und deshalb werden wir hier weiter bauen und Judäa und Samaria stärken.

In den besetzten Gebieten bauen wie nie zuvor ist das vordringliche Projekt der israelischen Regierung für die Zeit nach dem Machtwechsel in Washington. Naftali Bennett, Bildungsminister und Anführer der radikalen Siedlerpartei, will die gesamte Area C und damit 60 Prozent des Westjordanlandes annektieren. Für einen fiktiven palästinensischen Staat blieben dann nur noch ein paar unzusammenhängende Gebietsfetzen übrig:

Wir sind da jetzt seit 50 Jahren. Da leben fast eine halbe Million Israelis, die zur Armee gehen, ihre Steuern zahlen, aber trotzdem Bürger zweiter Klasse sind, weil sie unter Militärrecht leben. Es ist Zeit, das zu ändern.

Und zwar durch eine Annexion, wie Bennett in aller Offenheit fordert:

Würde die Welt das akzeptieren? Wahrscheinlich nicht. Aber bislang akzeptiert ja auch nicht ein einziges Land der Welt, dass die Klagemauer ein Teil Israels ist. Aber wir Israelis, wir akzeptieren das. Und im Lauf der Zeit wird die Welt das schon akzeptieren.

Daß "die Welt" irrelevant für Israel sei, wo immer keine absolute Interessengleichheit herrscht, meint wohl auch Benjamin Netanjahu. Die Nahost-Friedenskonferenz in Paris, an der mehr als 70 Länder und internationale Organisationen teilnehmen, darunter die Vereinten Nationen, alle UN-Veto-Mächte, die EU und die Arabische Liga, bezeichnet er als "manipuliert" und "nutzlos". Ihr Ziel sei es, "Israel Bedingungen aufzuzwingen, die nicht seinen nationalen Bedürfnissen entsprechen". [4] Eine bemerkenswerte Formulierung, die gewissermaßen eine neue Kategorie staatlicher Selbstherrlichkeit konstituiert, die jegliche internationalen Rechtsauffassungen zur Makulatur erklärt. Im übrigen seien solche Konferenzen nicht mehr als "letzte Zuckungen der Welt von Gestern". "Das Morgen wird anders aussehen - und das Morgen ist sehr nahe", droht Netanjahu den Palästinenserinnen und Palästinensern mit der endgültigen Zerschlagung der Zweistaatenlösung.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/papst-franziskus-trifft-mahmud-abbas-palaestinenser-botschaft-beim-vatikan-a-1130015.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/nahost-konflikt-gipfel-der-kleinen-erwartungen-1.3332203

[3] http://www.deutschlandfunk.de/machtwechsel-in-washington-praesident-trump-hoffnung-der.799.de.html

[4] http://www.zeit.de/news/2017-01/15/diplomatie-netanjahu-nahost-friedenskonferenz-nutzlos-15132203

15. Januar 2017


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