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HERRSCHAFT/1794: Sachsen - schleichende Wachablösung ... (SB)



Das werden Sie jetzt von mir in dieser Form auch nicht hören. Das gebietet schon der Respekt vor den Wählerinnen und Wählern, die in diesem Land am 1. September 2019 entscheiden.
Christian Hartmann (CDU) auf die Frage nach einem klaren Nein zur AfD [1]

Wenn Krisen den Horizont verdüstern, Verelendung und Ausgrenzung das gesellschaftliche Gefüge zerrütten, Nationalstolz beschworen wird und sozialrassistische Tiraden das Feld beherrschen, rutscht die politische Tektonik nach rechts. Die in der Parteienlandschaft grassierende Ratio, die eigene Talfahrt in der Wählergunst lasse sich nur bremsen, indem man reaktionären Ausfällen freien Lauf läßt, beschleunigt diesen Prozeß. Als Frauke Petry der AfD einen moderateren Kurs anempfehlen wollte, um sie koalitionsfähig zu machen, wurde sie vom Gauland-Flügel brachial entsorgt. Dessen Strategie, sich rechtsaußen zu öffnen, aber den Fraktionen des sogenannten Establishments keinen Fußbreit entgegenzukommen, sondern es vor sich her zu treiben, geht bislang auf. Während die Konkurrenz im opportunistischen Buhlen um ein vom Abstieg bedrohtes Bürgertum eigenhändig die letzte verbliebene Kontur demontiert und sich dadurch zunehmend überflüssig macht, präsentiert sich die Rechte als die originäre Stimme empörten Protests.

Wie ihre Protektion seitens des Verfassungsschutzes zeigt, hat sie nichts zu verlieren, wenn AfD und Pro Chemnitz, Identitäre und Hooligans gemeinsam aufmarschieren, um die Straße zu erobern und zur Hetzjagd auf undeutsches Gesindel zu blasen, worunter alles firmiert, was durch ihr nationalistisches, rassistisches, patriarchales Raster des Herrenmenschentums fällt. In ihrem Ruf nach dem starken Staat, einem Arbeitsregime, der Lagerhaltung von Flüchtlingen und im Kampf gegen die verhaßte Linke korrespondiert sie so sehr mit einer repressiven Staatsräson, daß sie als deren fünfte Kolonne klammheimlich instrumentalisiert bis offen verharmlost wird.

Die sächsische AfD ist spätestens seit dem Abgang Frauke Petrys das Kernland einer Radikalisierung der Partei, die zunehmend rechtsextreme Positionen und Strömungen beherbergt wie auch keinerlei Berührungsängste mit Pegida und Konsorten mehr kennt. Welchen Sog dieser Marschtritt auf die in großer Koalition mit der SPD in Sachsen regierende CDU ausübt, unterstreicht der Nackenschlag, den Ministerpräsident Michael Kretschmer dieser Tage einstecken muß. Unmittelbar nach der schmerzhaften Niederlage Angela Merkels bei der Wahl des Fraktionsvorsitzenden in Berlin widerfuhr ihm dasselbe in der Landeshauptstadt Dresden. Nach dem Rücktritt des bisherigen Fraktionschefs Frank Kupfer, der sich aus gesundheitlichen Gründen verabschiedet hatte, stand eine Neuwahl an. Kretschmer, selbst erst seit Dezember im Amt, warb für den ehemaligen Landesjustizminister und heutigen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth. Doch die Fraktion entschied sich ein knappes Jahr vor der Landtagswahl anders.

Während Mackenroth nur 24 Stimmen erhielt, machte der 44jährige Dresdner Christian Hartmann mit 32 Stimmen das Rennen. Wenngleich sich die Kandidaten auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden scheinen, da sie beide als stramme Ordnungspolitiker gelten, wird das klare Votum für den langjährigen Polizisten Hartmann doch als politisches Erdbeben wahrgenommen. Während der Ministerpräsident in der Vergangenheit eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat, läßt der neue Fraktionschef diese entscheidende Zukunftsfrage bewußt offen. Er bezeichnete die AfD zwar wie Kretschmer als "Hauptgegner" der CDU, dem man sich "inhaltlich stellen" müsse. Auf die Frage, wie es bei neuen Mehrheitsverhältnissen nach der Landtagswahl in Sachsen weitergehen könne, antwortete er jedoch ausweichend, er würde die Koalition mit der SPD gerne fortsetzen. Doch genau das erscheint aus heutiger Sicht mit einem Blick auf Umfragen und politische Trends nahezu ausgeschlossen. Wenig später bekräftigte Hartmann sogar, daß es von ihm kein Nein zu einer Koalition mit der AfD nach der Landtagswahl geben werde. "Das werden Sie jetzt von mir in dieser Form auch nicht hören", sagte er im MDR Sachsen. "Das gebietet schon der Respekt vor den Wählerinnen und Wählern, die in diesem Land am 1. September 2019 entscheiden." Es gelte, nach der Wahl vernünftige Entscheidungen zu treffen. [2]

Während die sächsische CDU in den 90er Jahren unter Kurt Biedenkopf noch Traumergebnisse von mehr als 50 Prozent erzielte, gelang es der AfD bei der Bundestagswahl im September 2017 sogar, bei den Zweitstimmen die CDU knapp zu überholen und damit stärkste Partei zu werden. Diese Niederlage führte zum Rücktritt von Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Kretschmer übernahm im Dezember die Staatskanzlei. Wirklich verbessert hat sich die Lage der Christdemokraten in Sachsen seither nicht. Da die AfD im Freistaat immer weiter zulegt, während CDU und SPD in der Wählergunst sinken, wird die große Koalition ihre Mehrheit im Landtag nicht verteidigen können. Nach Stand aktueller Umfragen müßte Kretschmer nach der Wahl eine Viererkoalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP bilden, falls er nicht mit der AfD oder der Linken paktieren will, was er kategorisch ausgeschlossen hat.

Michael Kretschmer hatte es von Anfang an schwer, die angeschlagene CDU zusammenzuhalten. In der konservativ geprägten Landespartei halten es nicht wenige Funktionäre für einen Fehler, sich eine Zusammenarbeit mit der AfD zu verbieten. Gerade hat der Regierungschef angesichts der Ausschreitungen und Hetzjagden in Chemnitz, des Angriffs auf ein jüdisches Restaurant und der rechtsradikalen Aufmärsche in mehreren anderen Städten die bislang härtesten Wochen seiner politischen Karriere hinter sich. Hartmann war bei der Bundespolizei und in der Polizeiausbildung im Freistaat tätig, der Innenexperte gehört seit 2009 dem Sächsischen Landtag an. Er hat bei der Wahl des neuen Fraktionsvorsitzenden seinen Hut selbst in den Ring geworfen und mit seinem Erfolg die Weichen auf Kurskorrektur gestellt. Daß er offenläßt, ob man sich nach der Landtagswahl mit der AfD ins Benehmen setzt, stellt eine klare Distanzierung von der bisherigen Position des Ministerpräsidenten dar und stärkt die Sympathisanten einer möglichen Koalition mit der Rechten in der Partei.

Bei einer Umfrage vom 12. Juni führten CDU (32 Prozent), AfD (24) und Die Linke (19) das Feld an, während SPD (9), FDP (6) und Grüne (6) weit abgeschlagen waren. Damit erzielte die sächsische CDU gut ein Jahr vor den Landtagswahlen rund 10 Prozentpunkte weniger als 2014, während die AfD ihre Anhängerschaft um mehr als 14 Prozentpunkte vergrößert hat. Hält dieser Trend an, wäre nach der Wahl am 1. September 2019 eine Koalition von CDU und AfD die einzig realistische Option zur Regierungsbildung. Es bedarf keines hellseherischen Talents um vorherzusagen, daß Sachsen in einem Jahr von diesen beiden Parteien regiert wird und die AfD dabei möglicherweise sogar der Seniorpartner ist.

Auch in anderen ostdeutschen Bundesländern wird eine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD längst nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. So sagte Ingo Senfleben, CDU-Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer im Landtag des rot-rot regierten Brandenburg, in einem Interview im April, nach den Wahlen 2019 müsse mit allen Parteien geredet werden. Anfang der Woche empfahl ein CSU-Kommunalpolitiker seiner Partei drei Wochen vor der Landtagswahl in Bayern ebenfalls eine Koalition mit der AfD und wurde deshalb aus der Stadtratsfraktion im mittelfränkischen Erlangen geworfen. Bundesweit ist die AfD im Aufwind und erstmals zweitstärkste Partei hinter der Union. Im Deutschland-Trend von Infratest Dimap für das ARD-Morgenmagazin legte sie bei der Sonntagsfrage zwei Punkte zu und erreichte 18 Prozent. Die Union käme danach nur noch auf 28 Prozent, das schlechteste Ergebnis seit Bestehen des Deutschland-Trends im November 1997. Was Sachsen absehbar vorexerzieren wird, könnte damit sogar auf Bundesebene bittere Realität werden. Würde die Union im Zweifelsfall eher in die Opposition gehen, als mit der AfD zu koalieren, wenn sich sonst niemand mit der Rechtspartei ins Bett legen will? Daß diese Frage rhetorisch ist, belegen vorauseilende Steigbügelhalterdienste, wie sie sich derzeit in Dresden abzeichnen.


Fußnoten:

[1] www.mdr.de/sachsen/hartmann-fraktionsvorsitzender-cdu-afd-100.html

[2] www.welt.de/politik/deutschland/article181678354/CDU-Sachsen-Christian-Hartmann-traegt-Kretschmers-Anti-AfD-Kurs-nicht-mit.html

27. September 2018


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