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HERRSCHAFT/1809: Brasilien - Auftakt für die Bibel-, Blei- und Bullenfraktion ... (SB)



Wir haben jetzt die einzigartige Möglichkeit, unser Land neu aufzubauen. Wir werden die Ordnung wiederherstellen.
Jair Bolsonaro bei seiner Amtseinführung als Präsident

Jair Bolsonaro, der den Eliten Brasiliens goldene Zeiten in Aussicht stellt, die mit forcierter Ausbeutung und Verelendung, massiver Repression und ungezügeltem Raubbau an den natürlichen Ressourcen befeuert werden sollen, hat am 1. Januar 2019 das Amt als 42. Präsident des Landes angetreten. Der ehemalige Fallschirmjäger und Hauptmann der Reserve steht für eine Krisenbewältigung im Dienst der reichsten und mächtigsten Fraktionen, einer Allianz aus religiösen Fundamentalisten, Militärs und Großgrundbesitzern, der sogenannten Bancada BBB, der Bibel-, Blei- und Bullenfraktion, unterstützt von weiteren einflußreichen Wirtschaftskreisen, Investoren und der US-Regierung. Seine Antwort auf die schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Landes, während der das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2015 und 2016 um acht Prozent gesunken ist und von der sich die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas mit rund 210 Millionen Einwohnern so langsam wie nie zuvor erholt, ist die Verherrlichung der Militärdiktatur (1964-1985), das Heilsversprechen einer rigorosen "Säuberung" und eine rassistische Feindbildproduktion, die nicht-weiße Menschen, Frauen, Minderheiten und emanzipatorische Bewegungen zum Freiwild erklärt.

Angesichts eines dramatischen Verfalls der Lebensbedingungen, um sich greifender existentieller Unsicherheit und eskalierender Gewalt bedient er mit einer rechtsextremen Ideologie die in der brasilianischen Gesellschaft tiefverwurzelte Kultur von Rassismus und Chauvinismus. Als Garant der Herrschaftsverhältnisse, Schützer der Eigentumsordnung und Retter der von Abstiegsängsten heimgesuchten Schichten bläst er zur Hetzjagd auf Schwächere, um das Regime der Starken vor jeglichem Aufbegehren gegen Ausplünderung, Unterdrückung und Verfügung zu schützen. Er hat sich weder an die Macht geputscht noch als Wolf im Schafspelz das höchste Staatsamt erschlichen, vielmehr wurde er gerade wegen seiner aggressiven Tiraden und unverhohlenen Drohungen gewählt. Was immer man seinem Wahlkampf mittels der sozialen Medien an manipulativen Praktiken ankreiden kann, griffe es doch viel zu kurz, von einem Täuschungsmanöver zu sprechen.

Als Abgeordneter hatte Bolsonaro im brasilianischen Fernsehen gefordert, man müsse den Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso wegen dessen Wirtschaftspolitik umbringen. Darüber hinaus würde man "mit Wahlen nichts erreichen". Dies gelinge nur, wenn man die "Arbeit der Militärgeneräle vollendet und 30.000 Korrupte umbringt". Im Rahmen des Amtsenthebungsverfahrens gegen die damalige Präsidentin Dilma Rousseff, die unter der Diktatur inhaftiert und gefoltert worden war, rühmte er im Kongreß mit Coronel Carlos Alberto Ustra einen der Hauptverantwortlichen der Folter. Als einzigen Fehler der Militärjunta bezeichnete er es, daß diese nur gefoltert habe, anstatt alle zu töten. Im Wahlkampf drohte sein Vize-Kandidat mit einem "Putsch", sollte es die Sicherheitslage nach der Wahl erfordern. Kurz vor der Stichwahl kündigte Bolsonaro seinen Anhängern per Telefonansprache eine "Säuberung" unter Oppositionellen an, wie sie Brasilien noch nie gesehen habe. Wer nicht ins Ausland gehe, werde inhaftiert. [1] Seinen Gegenkandidaten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei und dessen Unterstützer bezeichnete er als "rote Banditen", die "ausgelöscht" gehörten. Einer Abgeordneten im Parlament sagte er ins Gesicht, sie sei es nicht wert, von ihm vergewaltigt zu werden. Und bei anderer Gelegenheit erklärte er, er ziehe es vor, seinen Sohn bei einem Verkehrsunfall zu verlieren, als einen schwulen Sohn zu haben. Und diese Liste seiner verbalen Attacken ließe sich noch ellenlang fortsetzen. Wie wollte da jemand allen Ernstes behaupten, er habe es nicht gewußt, oder naiv annehmen, das sei alles nur heiße Luft und werde nie in die Tat umgesetzt!

Welcher Kurs angelegt ist, unterstreicht auch das 22köpfige Kabinett, das von Militärs, konservativen Evangelikalen und Vertretern der Agrarlobby dominiert wird. Der ultraliberale Paolo Guedes will als Superminister für Wirtschaft und Finanzen staatliche Hürden für Unternehmer und Handelsschranken soweit wie möglich abbauen. Er ist ein später Vertreter der "Chicago-Boys", jener neoliberalen Ökonomen um den US-amerikanischen Professor Milton Friedman, der an der Universität von Chicago lehrte. Die "Boys" haben schon einmal die wirtschaftspolitischen Geschicke eines lateinamerikanischen Staates gelenkt, als unter dem Diktator Augusto Pinochet ab 1973 in Chile Gesundheit, Straßenbau, Schulen und Universitäten privatisiert wurden. Dies hatte massive soziale Konflikte zur Folge, die das Land bis heute prägen. Wenngleich Bolsonaro verspricht, an dem einst von Lula aufgelegten Sozialprogramm "Bolsa Familia" festzuhalten, wird die in Brasilien ohnehin riesige Kluft zwischen Arm und Reich noch größer werden. [2]

Neuer Justizminister ist Sérgio Moro, der als Richter die Verurteilung des früheren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu einer langen Haftstrafe erwirkt hatte. Er brachte mittels dünner Indizien den aussichtsreichsten Kandidaten ins Gefängnis, diskreditierte die Arbeiterpartei und machte dem rechtsextremen Hinterbänkler Jair Bolsonaro den Weg frei. Moro soll auch die öffentliche Ordnung unterstehen, und so kündigte er bereits strenge Maßnahmen gegen Korruption an, womit natürlich vor allem die Oppositionsparteien gemeint sein dürften. Im vergangenen Jahr wurden in Brasilien mehr als 63.000 Menschen getötet, die neue Regierung will Gewalt mit Gewalt bekämpfen. Ängste löste vor allem in der LGBT-Community die Meldung aus, daß der erzreaktionäre evangelikale Prediger Magno Malta Familienminister werden soll.

Im Kongreß stellt Bolsonaros Partei künftig die zweitgrößte Fraktion, wobei ihn eine parteiübergreifenden Allianz unterstützt, die gemeinsam mehrheitsfähig sein dürfte. Damit schwinden die parlamentarischen Möglichkeiten, ihn politisch einzudämmen. Zudem hat er mit seinen vergifteten Aussagen de facto eine Lizenz zum Töten erteilt. Wenn das berüchtigte polizeiliche Killerkommando Bope künftig Verdächtigte erschießt oder Farmer im Norden Indigene oder Umweltaktivisten aus dem Weg räumen, dann wissen sie, daß sie im Einverständnis mit dem Präsidenten handeln. Jeder Brasilianer soll eine Waffe tragen dürfen, um sich zu verteidigen. "Waffen sind Instrumente, leblose Objekte, die man zum Töten benutzen kann - aber auch zum Retten von Leben", heißt es in seinem Regierungsprogramm. Mitglieder der brasilianischen Polizei, die in der Vergangenheit zu einem wesentlichen Teil für das Ausmaß der Gewalt verantwortlich war, sollen eine Art Freifahrtschein bekommen. Er sieht vor, daß Polizisten nicht juristisch verfolgt werden können, wenn sie bei der Arbeit Verdächtige töten.

Das Erwachsenenstrafrecht soll künftig schon ab 16 Jahren angewendet werden, Häftlingen soll das Recht auf Freigang gestrichen werden. Verurteilten Vergewaltigern droht Bolsonaro mit Kastration. Haus- und Landbesetzungen sollen mit Terrorismus gleichgesetzt und mit einer Höchststrafe von 30 Jahren Haft geahndet werden. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, alles Progressive zurückzudrehen, das seine Vorgänger eingeführt haben. Der Präsident beschimpft alles, was nicht wie er weiß, männlich und heterosexuell ist. Er attackiert Schwarze, Indigene, Frauen und Homosexuelle, womit er auch die einflußreichen evangelikalen Kirchen auf seine Seite geholt hat. "Brasilien über alles - Gott über allen" - mit diesem Slogan ist sein Regierungsprogramm überschrieben.

In den Schulen soll die "Indoktrinierung" und "frühreife Sexualisierung" beendet werden. Zu diesem Zweck sollen Sexualkunde und Genderthemen aus dem Unterricht verbannt werden und statt dessen Fächer wie "Moralische und bürgerliche Erziehung" auf den Lehrplan kommen, die zuletzt zu Zeiten der Militärdiktatur unterrichtet wurden. Lehrern soll zudem verboten werden, ihre politische Meinung im Unterricht zu äußern, was zweifelsfrei auf Anhänger der Linken in der Lehrerschaft abzielt. Bolsonaro hat die Schüler aufgefordert, ihre Lehrer bei Verstößen zu filmen. In den Hauptstädten der 26 Bundesstaaten soll in den nächsten zwei Jahren jeweils eine Militärakademie geschaffen werden.

Jair Bolsonaro sperrte Journalisten von Folha de S. Paulo und anderen Zeitungen von seiner ersten großen Pressekonferenz aus: "Diese Zeitung ist erledigt", drohte er Folha, der er die öffentlichen Anzeigenaufträge entziehen will, weil sie im Wahlkampf kritisch über seine Methoden berichtet hatte. Journalistinnen und Journalisten, die an der Vereidigungszeremonie teilnehmen wollten, waren aufgefordert worden, sieben Stunden vorher einzutreffen. Mehrere berichteten, Wachleute hätten ihre Verpflegung für die Wartezeit beschlagnahmt, darunter Äpfel und Gabeln, da diese angeblich ein Risiko darstellten. Auf Bolsonaros repressiver Agenda steht auch ein Krieg gegen alle oppositionellen Printmedien, die er bei seinem Aufstieg an die Macht komplett umgangen hatte, um seine Deutungshoheit über die sozialen Medien durchzusetzen.

Folha darf sich in guter Gesellschaft fühlen, da Anhänger Bolsonaros eine Liste mit Namen von 700 Kulturschaffenden veröffentlicht haben, die sie zu "Feinden" erklären. Unter ihnen sind die Schauspielerinnen Camila Pitanga und Patrícia Pillar, der Schriftsteller Fernando Morais, die Musiker Caetano Veloso, Chico Buarque und Gilberto Gil sowie die Theologen Frei Betto und Leonardo Boff. Bossa-Nova-Star Chico Buarque erlebt das nicht zum ersten Mal, er mußte schon während der Diktatur in den 1960er Jahren ins Exil gehen. [3]

Für die zahlreichen indigenen Völker Brasiliens, die in Schutzgebieten leben, brechen unter dem neuen Präsidenten schwere Zeiten an. "Nicht einen Millimeter mehr" wolle er ihnen Platz geben, sagte Bolsonaro im Wahlkampf. 129 dieser Gebiete sollen überprüft, der Schutzstatus könnte ihnen womöglich entzogen werden. Bolsonaro ist jedoch nicht nur eine Gefahr für die Menschen in Brasilien, sondern für die gesamte Welt. Zu den zentralen Projekten der neuen Regierung gehört es, das Amazonasgebiet zur wirtschaftlichen Ausbeutung freizugeben. Bolsonaro spielt offen mit dem Gedanken, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen, in dem Brasilien eine Schlüsselrolle einnimmt. Dem größten Regenwald der Erde kommt eine essentielle Rolle bei dem Versuch zu, den Klimawandel doch noch aufzuhalten. Bolsonaro wie auch die Militärs und Agrarlobbyisten, die mit ihm an die Macht gelangen, leugnen das. [4]

"Wir haben jetzt die einzigartige Möglichkeit, unser Land neu aufzubauen. Wir werden die Ordnung wiederherstellen", verkündete der 63jährige Bolsonaro bei seiner Inauguration vor den Abgeordneten. Als erste Amtshandlung will der neue Staatschef per Dekret das Waffenrecht liberalisieren, damit sich "gute Bürger" verteidigen könnten. Der neue Präsident Brasiliens erfüllt alle Merkmale eines rechtsextremen Politikers mit einer Ausnahme: Er ist kein Antisemit, sondern wie sein Vorbild Donald Trump ein Bewunderer Israels, weshalb er die brasilianische Botschaft offiziell von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen will. Bei der Amtseinführung waren als ausländische Gäste unter anderem Benjamin Netanjahu, Chiles Präsident Sebastián Piñera und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban präsent. Donald Trump wurde von seinem Außenminister Mike Pompeo vertreten, gratulierte Bolsonaro aber per Twitter zu einer "großartigen Antrittsrede" und sicherte ihm die Unterstützung der USA zu.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/ausland/bolsonaro-rechtsextrem-101~_origin-81609c7f-15a5-4e66-89b9-750b524b8494.html

[2] www.sueddeutsche.de/politik/brasilien-bolsonaro-reformen-1.4270745

[3] www.sueddeutsche.de/politik/brasilien-bolsonaros-umstrittene-superminister-1.4197856

[4] www.sueddeutsche.de/politik/brasilien-bolsonaro-praesidentschaftswahl-1.4189341

2. Januar 2019


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