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HERRSCHAFT/1812: Überwachung - rechts nicht wie links ... (SB)



Aber mein Gott, wie viele dumme Äußerungen gibt es in anderen Parteien auch. Sie können einzelne Äußerungen nicht der Partei als Ganzes zurechnen.
Alexander Gauland (Vorsitzender der AfD) [1]

Während die Wahlverwandtschaft zwischen dem deutschen Inlandsgeheimdienst und dem rechten Spektrum Urständ feiert, könnte es um das Akzeptanzmanagement des Verfassungsschutzes nicht besser bestellt sein. Was in der Vergangenheit naturgemäß das Licht der Öffentlichkeit scheute, ist heute integraler Bestandteil des tagespolitischen Diskurses. Mußten die Verfassungsschützer in jüngerer Zeit auch jede Menge Prügel einstecken, diverse Köpfe rollen lassen und ihr Personal auf der Führungsebene in Teilen auswechseln, hat das allenfalls vordergründig ihrem Ansehen, nicht aber ihrer Funktion im Dienste der Staatsräson geschadet. Da sich die zahnlose Kritik an ihrem Treiben seit dem sogenannten NSU-Skandal darauf eingeschossen hat, von einem Behördenversagen zu fabulieren, beherrscht der Ruf nach einem effizienteren Sicherheitsapparat das Feld. Wer wollte sich da noch erdreisten, die Grundsatzfrage zu stellen, wessen Interessen der Geheimdienst zur Durchsetzung verhilft, und folglich seine Abschaffung fordern!

Die aktuelle Kontroverse um die Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD ganz oder in Teilen unter die Lupe nehmen sollte, schwört das breite Spektrum sogenannter besorgter Bürgerinnen und Bürger geradezu auf die fragwürdige These ein, daß sich der Geheimdienst auf sein Kerngeschäft besinnen und ihre Sicherheit vor extremistischen Bestrebungen gewährleisten solle. Nach links funktioniert das seit langem wie ein gut geöltes Räderwerk, nicht nur was radikale autonome Gruppierungen betrifft. So wird Die Linke zwar als Gesamtpartei nicht mehr beobachtet, wohl aber stehen alle als "offen extremistisch" eingestuften Teile der Partei im Fokus verfassungsschützerischer Observation. Dazu zählen die Kommunistische Plattform, die Sozialistische Linke, die Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí, die Antikapitalistische Linke, das Marxistische Forum, der Geraer/Sozialistische Dialog sowie das trotzkistische Netzwerk marx21, die zusammen rund fünf Prozent der Parteimitglieder ausmachen. [2]

Wenn der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland generell die Beobachtung von Parteien durch den Inlandsgeheimdienst auch mit Blick auf die Linken ablehnt und erklärt, er halte "den Versuch, mit Verfassungsschutzmitteln eine demokratische Auseinandersetzung zu führen, grundsätzlich für falsch", sagt er dies aus akut gebotenen taktischen Erwägungen und spricht mit gespaltener Zunge. Ihm ist zweifellos bewußt, daß linke und rechte Positionen staatlicherseits höchst unterschiedlich eingestuft und bekämpft werden, weshalb er sich an dieser Stelle milde gibt, was den parteipolitischen Gegenpol im Parlament betrifft.

Davon abgesehen könnte der Extremismusbegriff vager kaum sein, wie selbst das "Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste" (2017) belegt, das von dem Verfassungsschutzausbilder Jan-Hendrik Dietrich und dem Kanzleramtsjuristen Sven-R. Eiffler herausgegeben wird. Darin moniert der Bochumer Rechtsprofessor Julian Krüper eine "geradezu groteske Ballung unbestimmter Rechtsbegriffe". Wenn "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind", überwacht werden dürfen, kommt ein Kampfbegriff bedarfsgerecht zur Anwendung, der insbesondere die herrschende Eigentumsordnung durch das Gewaltmonopol des Staates schützt.

Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Alternative für Deutschland als Prüffall eingestuft, wodurch die Partei stärker in den Blick des Inlandsgeheimdienstes rückt. Zwar ermittelt das BfV nicht mit verdeckten Methoden, wie etwa V-Leuten oder dem Abhören der Telefonverbindungen. Die öffentlichen Äußerungen der Parteimitglieder und "offen zutage tretende Verbindungen" zur rechtsextremen "Identitären Bewegung" sollen jedoch untersucht werden, um das Ausmaß extremistischer Bestrebungen in der AfD festzustellen. Dabei schwelt die Kontroverse um eine mögliche Beobachtung der Partei, zu der die Überprüfung nun führen könnte, bereits einige Jahre. [3]

So erklärte die damalige AfD-Chefin Frauke Petry Ende Januar 2016, Grenzpolizisten sollten gegen Flüchtlinge "notfalls auch von der Schußwaffe Gebrauch machen", um diese am illegalen Übertritt zu hindern. Der bayerische Verfassungsschutz beobachtete einzelne AfD-Politiker, Anlaß seien Bezüge zur rechtsextremistischen und islamfeindlichen Szene. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon äußerte sich antisemitisch. Spätestens ab 2016 wurden Verbindungen zwischen Mitgliedern der "Jungen Alternative" und der als rechtsextrem eingestuften "Identitären Bewegung" publik. Mit Janik Brämer war sogar ein rechtsextremer Aktivist zeitweise Vize-Vorsitzender des JA-Landesverbands in Berlin. Der ehemalige mecklenburgische AfD-Landespolitiker Holger Arppe lobte die "Identitäre Bewegung" 2016 als "klug, gewitzt". Mit Martin Hohmann bekannte sich sogar ein Bundestagsabgeordneter der AfD öffentlich zur "IB".

Eine klare strukturelle Zusammenarbeit zwischen der AfD und der sogenannten Bewegung zeigte sich in Sachsen-Anhalt. In Halle entstand ein Hausprojekt namens "Flamberg", zu dessen Mietern unter anderem die "Identitäre Bewegung" gehört. Der AfD-Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider betreibt in dem Gebäude ein Wahlkreisbüro und kennt den IB-Mann Martin Sellner persönlich, der als führender Kopf der "IB" in Österreich gilt. Der bekannte AfD-Rechtsaußen Björn Höcke trat mehrmals gemeinsam mit Vertretern der "Identitären Bewegung" auf und nahm im Herbst 2017 gemeinsam mit Sellner an einer Konferenz des rechtsextremen Magazins Compact teil. Im Zuge der Ausschreitungen von Chemnitz marschierten führende AfD-Politiker - unter anderem Höcke und der brandenburgische Landeschef Andreas Kalbitz - gemeinsam mit Rechtsextremen, um nur einige markante Schlaglichter zu nennen.

Als Björn Höcke im Sommer 2018 zum "Kyffhäusertreffen" lud, der Jahrestagung des "Flügels" in der AfD, traten auch Alexander Gauland und dessen Nachfolger an der Parteispitze in Brandenburg, Andreas Kalbitz, ans Rednerpult. Dieser gilt heute als der einflußreichste rechte Politiker in der Partei, mächtiger noch als Höcke. "Wir sind nicht bereit, auch nur auf einen Quadratzentimeter dieses Landes zu verzichten", rief er vom Rednerpult, worauf das Publikum mit Sprechchören "Widerstand! Widerstand!" antwortete. Wie Gaulands Präsenz beim Treffen des "Flügels" abermals belegt, ist die Parteiführung auf Bundesebene weit offen nach rechts.

Zugleich ist sie sich der Gefahr bewußt, daß eine verstärkte Intervention des Geheimdienstes die AfD Wählerstimmen im gemäßigten Spektrum ihrer Wählerschaft kosten könnte. Sie kündigt daher juristische Schritte an und hat sich seit dem Sommer akribisch vorbereitet. So wurden eine "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" eingerichtet und externe Gutachten in Auftrag gegeben, um die Partei möglichst unangreifbar für den Verfassungsschutz zu machen. Dabei geht es vor allem um Kommunikation nach innen und außen, da die mitunter skandalträchtigen Meinungsäußerungen einzelner Mitglieder eingedämmt werden sollen. Spontane Interviews sollen unterbleiben, Pressesprecher und ein Mehraugenprinzip verbale Eskalationen verhindern und zur "Reputationsverbesserung" beitragen. Chatgruppen, aus denen in der Vergangenheit immer wieder Anstößiges hervorbrach, sollen entfallen. Und nicht zuletzt sollen Themen, die sensible Felder wie die Jahre zwischen 1933 und 1945 betreffen, vermieden werden. Zu rechten Gruppierungen, rät der Arbeitskreis, sollten AfD-Mitglieder einen "Sicherheitsabstand" halten. Kreide fressen lautet aus Sicht der Parteiführung das Gebot der Stunde, um interne Zerreißproben abzuwenden und die potentielle Anhängerschaft nicht zu verprellen.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/politik/deutschland/2019-01/alexander-gauland-afd-verfassungsschutz-vorwurf-partei-prueffall-thomas-haldenwang

[2] www.sueddeutsche.de/politik/afd-verfassungsschutz-beobachtung-1.4287608

[3] www.sueddeutsche.de/politik/ueberpruefung-der-afd-in-den-verfassungsschutzbericht-und-nicht-ins-fernsehen-1.4289180

17. Januar 2019


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