Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HERRSCHAFT/1857: AfD - die Besitzstandssicherungspartei ... (SB)



Die Klientel der Neuen Rechten wird nicht ernstgenommen. Als "Protestwähler" und "Wutbürger" werden ihnen psychologisierende Motivlagen nachgesagt, als ob sie nicht wüßten, was sie tun, wenn sie MigrantInnen jagen, ihre Wohnstätten anzünden oder eine AfD wählen, die in Thüringen ganz offen mit präfaschistischen Ansagen auftritt. Wenn Bundesinnenminister Seehofer über rechte Terroristen, deren Vorbild der Massenmörder Andreas Breivik ist, als "frustrierte Menschen" spricht, dann nimmt das ihnen gegenüber geäußerte Verständnis fast karitative Dimensionen an. Dementsprechend zugewandt wird die feindselige Rhetorik der Höcke und Co. als Problem sprachästhetischer Regelverletzung verharmlost, anstatt ihren aggressiven, mit dem Kalkül, die Hetze gegen MigrantInnen, Linke und andere Minderheiten bis an die Schwelle des Bürgerkrieges aufkochen zu lassen, operierenden Durchsetzungsanspruch als brandgefährlich anzuerkennen. Selbst wenn nur 40 Prozent, wie Umfragen ergeben haben, bei der Landtagswahl in Thüringen die AfD aus politischer Überzeugung gewählt haben sollen, dann heißt das doch nicht, daß die übrigen 60 Prozent nicht ganz gezielt eine Partei unterstützen, die auf Rassismus, Nationalchauvinismus und Antifeminismus setzt.

Ohne politische Gegenposition, die nicht davor zurückschreckt, die materiellen Bedingungen sozialer Antagonismen beim Namen der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung zu nennen, verkommen alle demoskopischen und soziologischen Analysen der Rechtsentwicklung zu Beschwichtigungsritualen. Die Konjunktur der völkischen Rechten auf ein wahlarithmetisches, koalitionstaktisches und meinungsstrategisches Problem zu reduzieren unterstreicht die nichtvorhandene Bereitschaft, den zentralen Konflikt sozialer Kämpfe, die private Aneignung allgemein erforderlicher Produktionsmittel, auch nur zu tangieren. Als habe man es mit einer Gesellschaftsmaschine zu tun, wo nur hier und dort an bestimmten Stellschrauben gedreht werden müsse, um die Funktionstüchtigkeit des liberalen Rechtstaates und der repräsentativen Demokratie sicherzustellen, agieren bürgerliche PolitikerInnen und JournalistInnen ihrerseits wie Rädchen in einem Getriebe, dessen Schaltungen Sachzwängen unterliegen, auf die sie keinen Einfluß zu haben vorgeben. Nur nicht an den virulenten Widersprüchen rühren, könnten diese doch das eigene Klasseninteresse und den Gewaltcharakter herrschender Politik offenlegen, lautet die Devise auf den Kommandohöhen von Staat und Gesellschaft.

Derart der Wirkmächtigkeit unverhandelbarer Positionen und unbestechlicher Subjektivität enthoben, können die bürgerlichen Parteien gegenüber der AfD nur ins Hintertreffen geraten. Deren ideologische Doktrin sieht gar nicht vor, soziale Widersprüche gerecht und inklusiv aufzuheben. Ausbeutung und Unterdrückung werden, wenn überhaupt als solche aufgegriffen, als Verschwörung herrschender Kräfte, des "Establishments" oder der "Altparteien" adressiert. Als Lösung propagiert und angestrebt wird ein autoritärer Nationalstaat mit neofeudaler Klassenstruktur, in der allen ParteigängerInnen in Aussicht gestellt wird, sich an der forcierten Entwertung respektive Entfernung nichtdeutscher Konkurrenz in der Lohnarbeit und der Fortsetzung der kolonialistischen und fossilistischen Ausplünderung des Planeten gesundzustoßen.

Von dieser wenn nicht explizit niedergeschriebenen, dann ohne weiteres aus den Äußerungen des Führungspersonals ableitbaren Programmatik unterscheiden sich die bürgerlichen Parteien nur bedingt von der AfD. Im Unterschied zu dieser scheuen sie davor zurück, den eigenen Vorteil offen zum Primat allen Handelns zu erklären und für eine auf Wachstum um fast jeden Preis, also auch den imperialistischer Kriege und unausweichlicher Naturzerstörung, abonnierte Politik zu werben. Der von ihnen gerne angeführte Topos der "gespaltenen Gesellschaft" geht absichtsvoll über den konstitutiven Grundwiderspruch der herrschenden Eigentumsordnung hinweg. Beklagt wird ein Verlust an sozialer Homogenität, als deren Subjekt nur "Nation" oder "Volksgemeinschaft" in Frage kommen können. Nimmt man nur die Akzeptanz, mit der die NATO-Staaten als auch Rußland die antikurdische Vertreibungspolitik der Türkei in Nordsyrien flankieren, dann wird überdeutlich, daß Spaltung, Isolation und Vernichtung wesentliche Merkmale einer Politik sind, die die Welt in zum Zwecke von Vorteilsnahme und Unterwerfung miteinander konkurrierende Nationalstaaten einteilt.

Seit Jahrzehnten in Regierungsverantwortung stehend, sind die ehemaligen Volksparteien mit der Hypothek belastet, nicht spätestens mit dem Sieg in der Systemkonkurrenz die erforderlichen und gut begründeten Weichenstellungen zur Überwindung der alle Menschen betreffenden Krise der Natur- und Produktionsverhältnisse vollzogen zu haben. Was sich heute zur Farce einer nationalen Klimaschutzpolitik steigert, die die grundstürzende soziale Relevanz aller notwendigen Begrenzung des Verbrauches verbliebener Rohstoffe, der Zerstörung biologischen Lebens und der Inanspruchnahme noch nicht zu Brandbeschleunigern mutierter Entsorgungspotentiale ignoriert, spielt dem eurozentrischen und patriarchalen Dominanzstreben der AfD direkt in die Hände.

Der in den Kreisen der Neuen Rechten populäre Autoaufkleber "Fuck you, Greta!" faßt den Kern präfaschistischer Feindseligkeit gut zusammen. Was in ihren Augen als schwach gilt, also etwa Frauen mit einer Behinderung, insbesondere, wenn diese es wagen, ihr Interesse am Erhalt des Planeten mutig zum Ausdruck zu bringen, mit einer sexistischen Ansage neben dem die Luft verpestenden Auspuff anzugreifen läßt echte Männerherzen höherschlagen. Ob mit dem Bekenntnis "Mein Gemüse ist Fleisch" gegen VeganerInnen polemisiert oder intensiver Ressourcenverbrauch als bürgerliches Grundrecht eingefordert wird, bei der AfD finden von RadfahrerInnen und FußgängerInnen in ihrer vermeintlichen Freiheit eingeschränkte Herrenfahrer ebenso Trost und Zuflucht wie bei Worten wie "Emanzipation" und "Gender" zu Schweißausbrüchen und hohem Blutdruck neigende Verfechter maskuliner Dominanz.

Dabei handelt es sich nicht um Karikaturen oder Witzblattfiguren, sondern um SchwalterInnen einer aufstrebenden politischen Macht. Sie ist angetreten, alle durch die Forderung nach Klimagerechtigkeit in Frage gestellten Besitzstände zu verteidigen, was sie zu einer Bedrohung all derer macht, die für soziale und ökologische Fortschritte eintreten. Indem die AfD die Notwendigkeit einer Menschen ohne Ansehen ihrer Herkunft, ihres Geschlechtes, ihrer Religion und Weltanschauung respektierenden sowie die anthropozentrische Ausbeutung der Welt aufhebenden Politik negiert, hat sie in einer zusehends von sprachlicher Brutalität und sozialdarwinistischer Selbstbehauptung bestimmten Gesellschaft gute Aussichten darauf, in den kommenden Verteilungskämpfen eine führende Rolle einzunehmen.

28. Oktober 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang