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HERRSCHAFT/1871: Thüringen - mögliche Konsequenzen ... (SB)



Während die Linken alles tun zu verschleiern, dass sie nicht dazu gehören, verschleiern die Rechten wirkungsvoll, dass sie dazugehören. Der eigentliche Dammbruch passiert, wo Linke im Angesicht einer drohenden Koalition aus Mitte und Faschisten von einem Dammbruch reden.
Felix Bartels in der jungen Welt über linke Politik in Thüringen [1]

Die Partei Die Linke hat sich mit der Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung in Thüringen, die nur mit Zustimmung der CDU zustande kommen konnte, keinen Gefallen getan. Die Allianz mit der Landes-CDU bringt der Linken zwar Anerkennung aus dem bürgerlichen Lager ein, doch diese ist ausschließlich ihrer Bereitschaft geschuldet, linke Prinzipien auf dem Weg in die sogenannte Mitte aufzugeben, um schlußendlich zur Kenntlichkeit einer opportunistischen Kraft zur Sicherung des kapitalistischen Normalbetriebes entstellt zu werden. Bodo Ramelow ist zum Symbol der lange eingeforderten Transformation der Linken zu einem Farbtupfer unter vielen geworden, der lediglich in seiner Austauschbarkeit, nicht jedoch im festen Eintreten für soziale Streitpositionen wahrgenommen wird.

Nur eine "Ramelow-Partei" habe die Chance darauf, eine "grün-rot-rote Regierung im Bund" zu bilden, stellt der Spiegel [2] unter Verweis auf den geläuterten Linksradikalen Joseph Fischer fest. Er habe "sich von seinen Grünen emanzipiert, um als heimlicher Vorsitzender die Richtung vorzugeben" und Die Grünen "zur Fischer-Partei" zu machen. Sein historisches Verdienst, die antimilitaristische Haltung der einst linksalternativen Partei in die Zustimmung zu einer mit humanitären Legitimationsformeln für Kriege in aller Welt scharfgemachten Bundeswehr verwandelt zu haben, hat ihm höchste Meriten als Staats- wie Geschäftsmann eingebracht. Diese um ein Vierteljahrhundert zeitverzögerte Entwicklung bei der Linken eingeleitet zu haben könnte einmal als historisches Verdienst Ramelows gelten. Wer sich in der Rolle des "Landesvaters" so wohl zu fühlen scheint wie er, dem kann die Parteinahme für die Ausgebeuteten und Unterdrückten nur als Verstoß gegen die patriarchale Ordnung des Oben und Unten erscheinen.

Der in der Linkspartei aufbrandende Jubel um Ramelows Wiederwahl soll das ungute Gefühl vertreiben, mit dieser Allianz jegliche linke, antifaschistische und antikapitalistische Unverwechselbarkeit aufs Spiel gesetzt zu haben. So kritisiert Thies Gleiss, Bundessprecher der Antikapitalistischen Linken, die durch den Verzicht darauf, auf schnelle Neuwahlen zu bestehen, vertane "historische Chance, das massiv abgestürzte Vertrauen in die bürgerlichen Parteien und den eigenen Zuspruch in Rekordhöhe für eine neue Offensive für ihr linkes Programm im Interesse der Mehrheit zu nutzen. Linke Forderungen - sogar über das letzte Wahlprogramm hinaus - hätten popularisiert werden können und Thüringen hätte - auch da gibt es in der Geschichte ja Vorläufer - wieder einmal zum Vorreiter einer linken Regierung - ohne SPD und GRÜNE werden können" [3].

Gerade weil die sogenannte Mitte mit strammem Stiefeltritt nach rechts marschiert, ist die Formation einer klar dagegen abgegrenzten und dem sozialdarwinistischen Hauen und Stechen den Kampf ansagenden Linken die Forderung nicht nur des Tages, sondern der ganzen, von spätkapitalistischen Krisenschüben und dem weltweiten Niedergang der natürlichen Lebensgrundlagen bestimmten Epoche. Längst ist der Griff neurechter und neofaschistischer Bewegungen nach der Macht kein lokal oder nationalstaatlich eingrenzbares Phänomen mehr, sondern kündigt mit der ideologischen Gleichsetzung von neoliberaler Marktwirtschaft, nationalchauvinistischer Kriegsbereitschaft, weißer MigrantInnenfeindlichkeit und maskulin durchgesetzter Zweigeschlechtlichkeit das Aufdämmern eines neuen Zeitalters der Barbarei an. Die planetare Synchronizität der sich schockartig aufsummierenden Krisenzyklen läßt die Bolsonaro, Trump und Orban dieser Welt als Prätorianer einer autoritären Staatlichkeit erkennen, deren administrative Handlungsgewalt auf der legalistischen Verstetigung von Sondervollmachten und Notstandsrechten basiert, die die Immunisierungskraft demokratischer Grundrechte längst ausgehebelt haben.

Diesen Hintergrund in demjenigen Land, das den Vollzug genozidaler Landnahme und rassistischer Vernichtungspolitik auf den Begriff faschistischer Ermächtigungspolitik gebracht hat, zu ignorieren ist mehr als geschichtslose Ignoranz. Wer eine Einigkeit demokratischer Parteien suggeriert, die im Falle der CDU und FDP längst zu erkennen gegeben haben, daß es keine Frage prinzipieller Unvereinbarkeit, sondern der passenden Mehrheitsverhältnisse und des günstigen Zeitpunktes ist, ob und wann die AfD zum normalen parlamentarischen Akteur aufgewertet wird, bestätigt die irreführende These von den die bürgerliche Mitte bedrohenden Rändern des parlamentarischen Spektrums. Um dem "Extremismus der Mitte" [4] die Stirn zu bieten, bedarf es klarer und eindeutiger Opposition gegen die immer selbstverständlicher erscheinende Aufhebung des universalen, einst als Inbegriff zivilisatorischen Fortschrittes gefeierten Gleichheitsprinzipes.

Wenn die existenzielle Not von Menschen zum Spielball zwischenstaatlicher Konflikte gemacht wird und auch PolitikerInnen der Linken in den Chor derjenigen einstimmen, die daraus ein bloßes Verwaltungs- und Sicherheitsproblem machen, dann wird der Verselbständigung der damit anerkannten Ungleichwertigkeit von Menschen Tür und Tor geöffnet. Die faktische Trennungslinie, die so zwischen den von bourgeoiser Verächtlichkeit hierzulande betroffenen und den in aller Welt vor lebensbedrohlicher Gewalt fliehenden Menschen gezogen wird, war als klassisches Herrschaftsmittel stets mit linker Gesinnung unvereinbar. Wenn die parlamentarische Linke nach Aufnahme ins bürgerlichen Lager strebt, wie in Thüringen examplarisch durchgespielt, dann gehört die Affirmation herrschaftssichernder Praktiken zum Eintrittspreis in den Klub der Dazugehörigen. Was dann noch bleibt, sind sozialdemokratische Unterwerfungsrituale, bei denen sich um die Brotkrumen gestritten wird, die in immer geringerer Menge vom Tisch fallen.

Stände Die Linke zu den historischen Wurzeln klassenkämpferischer und herrschaftskritischer Praxis, dann würde die von den bürgerlichen Parteien und ihrer Presse mehrheitlich ausgegebene Parole, nicht mit ihr zusammenzuarbeiten, bevor sie nicht der Gegnerschaft zum deutschen Imperialismus abgeschworen habe, von den GenossInnen als faktische Würdigung ihres politischen Kurses verstanden. Wenn sie den Erfolg der Linken in Thüringen hingegen aus Gründen falsch verstandener Parteiräson bejubeln, treten sie die Bremsklötze für die Abfahrt in die politische Bedeutungslosigkeit weg. Was nach außen als Einigkeit der Partei wirken soll, auch wenn sich einigen dabei der Magen verbiegt, dem liegt die authentische Unvereinbarkeit der Bündnispolitik einer "Ramelow-Linken" mit den Alleinstellungsmerkmalen antikapitalistischer und ökosozialistischer Politik zugrunde.

Die im Spiegel am Beispiel Fischers und Ramelows vorgenommene Personifizierung ehemaliger Bewegungsparteien ist paradigmatischer Art. Die Negation des revolutionären und emanzipatorischen Erbes soll unumkehrbar sein, danach bleibt nichts als die zugewiesene Funktion als Rädchen im Getriebe der herrschenden Ordnung. Das ist, wie gesagt, vor dem Hintergrund der für emanzipatorische und antifaschistische Kräfte zu bewältigenden Aufgabe keine opportunistischen Partizipationswünschen geschuldete Kleinigkeit. Für ein Leben, das sich nicht als Überleben auf Kosten anderer definiert, und eine Zukunft, die den nachfolgenden Generationen mehr als verbrannte Erde hinterläßt, bedarf es keiner frommen Hoffnungen, sondern beispielhafter Praxis und kämpferischer Unnachgiebigkeit.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/372195.faschismus-der-dammbruch.html?fbclid=IwAR1ZjYTOkI1DCW-e9ouGef7XwpdEpxU_oxF2HiQt9MHe2wtVQBKvHqq_vuI

[2] https://www.deutschlandfunk.de/presseschau-aus-deutschen-zeitungen.2287.de.html

[3] https://www.antikapitalistische-linke.de/?p=3417

[4] https://www.heise.de/tp/features/Vom-braven-Buerger-zum-braunen-Wuerger-4666321.html?view=print

5. März 2020


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